Entschädigung für TUI-Geschädigte?

Mehr zum Thema: Experteninterviews, TUIfly, TUI, Flugausfälle, Entschädigung, Krankmeldung, Flug, Fluggastrechte
4,86 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
7

Flugausfälle wegen vieler Krankmeldungen bei TUIfly - das sind Ihre Rechte als Reisende

Seit den Gerüchten um die Neuordnung der Airline Tuifly gibt es nicht nur bei Mitarbeitern erhebliche Unruhen, sondern auch unzählige geschädigte Reisende, deren Flüge oder sogar ganze Urlaube ausfallen. Nach ersten Aussagen von TUI denkt man nicht an eine Entschädigung der Reisenden. 123recht.de hat mit Rechtsanwalt Johannes Kromer gesprochen, der Geschädigten durchaus Mut macht, für ihre Ansprüche zu kämpfen.

Rechtsanwalt Kromer: "Die Erkrankung von Mitarbeitern ist kein von außen kommendes Ereignis ohne betrieblichen Zusammenhang"

123recht.de: Herr Kromer, an Flugausfälle aufgrund Streiks mussten sich manche leider bereits gewöhnen. Bei Tuifly melden sich die Mitarbeiter krank - wo sind die Unterschiede?

Johannes Kromer
Partner
seit 2013
Rechtsanwalt
Tannenweg 17
72654 Neckartenzlingen
Tel: 07127/349-1208
Web: http://www.rechtsanwalt-kromer.de
E-Mail:
Gesellschaftsrecht, Wirtschaftsrecht, Arbeitsrecht, Maklerrecht, Vertragsrecht
Preis: 60 €
Antwortet: ∅ 3 Std. Stunden

Rechtsanwalt Kromer: Hier wird scheinbar juristisches Neuland betreten. Bei Streiks ist die Rechtslage weitestgehend klar, aber bei TUIfly geht es gerade nicht um einen Streik. Auf seltsame Weise suchte eine Krankheitswelle zahlreiche Tui-Mitarbeiter auf, so dass zahlreiche Flüge gestrichen wurden. Dies scheint mir ein einmaliger Vorgang zu sein.

123recht.de: Viele Flüge fielen in den letzten Tagen wegen des akuten Personalmangels bei TUIfly aus. TUI selbst hat bereits verkündet, keinerlei Entschädigung für die Reisenden anzubieten. Was ist hierzu Ihre Meinung?

"Die Unternehmenskultur hat erhebliche Auswirkungen auf die durchschnittliche Erkrankungsdauer"

Rechtsanwalt Kromer: Dies halte ich für fragwürdig. TUI beruft sich auf „höhere Gewalt". Ein klassisches Beispiel für höhere Gewalt sind Naturkatastrophen. In dem Zusammenhang sei beispielsweise auf den isländischen Vulkan Eyjafjallajökull verwiesen, der im Jahr 2010 ebenfalls für Chaos im Flugverkehr sorgte. In solchen Fällen höherer Gewalt hat sich die Fluggesellschaft nichts vorzuwerfen und muss damit keine Entschädigung bezahlen.

123recht.de: Warum überzeugt Sie die Argumentation von TUI nicht?

Rechtsanwalt Kromer: Sie passt meines Erachtens nicht. Der Bundesgerichtshof hat den Begriff der höheren Gewalt etwas sperrig als von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und trotz äußerster Sorgfalt nicht abzuwendendes Ereignis definiert (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.1987, Az. VII ZR 172/86). Die Erkrankung von Mitarbeitern ist aber kein von außen kommendes Ereignis ohne betrieblichen Zusammenhang. Dass Mitarbeiter gelegentlich arbeitsunfähig erkranken, ist völlig üblich. Auch gewisse Krankheitswellen sind nicht unüblich. Damit muss ein Flugbetreiber planen und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen treffen.

Übrigens wurde vor Kurzem der so genannte Fehlzeiten-Report 2016 von der AOK veröffentlicht. Klares Ergebnis: Die Unternehmenskultur hat erhebliche Auswirkungen auf die durchschnittliche Erkrankungsdauer in einem Unternehmen.

123recht.de: Aber sind derartig hohe Krankenquoten wie bei TUIFly wirklich noch zu erwarten?

Rechtsanwalt Kromer: Sicherlich überrascht diese Dimension. Aber es ist dennoch ein rein innerbetriebliches Thema und damit meines Erachtens – legt man die Definition des Bundesgerichtshofs zugrunde - keine höhere Gewalt.

123recht.de: Dies ist Ihre persönliche fachliche Meinung. Sind Ihnen weitere Einschätzungen bekannt?

Rechtsanwalt Kromer: Viele Kollegen wurden von der Aussage, dass keine Entschädigungen geleistet werden, überrascht. Soweit ich dies beurteilen kann, wird dies nahezu durchgängig als äußerst fraglich betrachtet. Nach Medienberichten hat sogar Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt Passagiere dazu aufgerufen, ihre Rechte geltend zu machen.

Bis zu 600 Euro Entschädigung nach der Fluggastrechte-Verordnung

123recht.de: Was heißt das nun für von der aktuellen Krise Betroffene?

Rechtsanwalt Kromer: Wichtig ist, zunächst nach der Person des Reisenden zu differenzieren. Wurde der Flug separat gebucht oder war er Teil einer Pauschalreise? Lassen Sie mich mit dem einfacheren Fall beginnen: der einzeln gebuchten Reise.

123recht.de: Sehr gerne. Welche Rechte stehen einem Reisenden zu, der über TUIfly einen Flug gebucht hat, der nun annulliert wurde?

Rechtsanwalt Kromer: Den Fall regelt Art. 7 der Fluggastrechte-Verordnung. Diese sieht – im Fall von Flugausfällen – je Passagier eine pauschale Entschädigungssumme vor. Diese ist abhängig von der Länge der Flugreise:

  • Bei Flügen mit einer Entfernung von maximal 1500 km werden je Passagier EUR 250,00 Entschädigung fällig.
  • Bei Flügen innerhalb der EU mit einer Entfernung zwischen 1501 und 3500 km sind EUR 400, in allen anderen Fällen EUR 600 vorgesehen.

Daneben sind von der Fluggesellschaft natürlich auch die bereits erhaltenen Zahlungen zurückzuerstatten.

123recht.de: Gilt dies auch, wenn eine Umbuchung auf einen anderen Flug möglich war?

Rechtsanwalt Kromer: In diesem Fall kommt es darauf an, ob Sie dadurch eine Verspätung haben.

  • Einen Anspruch auf EUR 125,00 haben Passagiere eines Fluges mit einer Entfernung von maximal 1500 km, wenn die Verspätung mindestens zwei Stunden beträgt.
  • Einen Anspruch auf EUR 200,00 hat jeder Passagier eines Fluges, der zwischen 1501 und 3500 km innerhalb der EU beträgt, wenn die Verspätung mindestens drei Stunden beträgt.
  • Einen Anspruch auf EUR 600 haben Passagiere aller übrigen Flugrouten bei einer Verspätung von mindestens 4 Stunden.

123recht.de: Wie sieht es bei Pauschalreisen aus?

Rechtsanwalt Kromer: Hier ist die Situation etwas komplexer. Im wesentlichen gibt es zwei Situationen: Die Reise kann verspätet und damit verkürzt angetreten werden – also zum Beispiel einen Tag später – oder die Reise fällt insgesamt aus.

Der Unterschied ist hier, dass der Reisevertrag nicht mit der Fluggesellschaft, sondern mit dem Reiseveranstalter abgeschlossen wurde.

Grundsätzlich gilt zunächst das eben Gesagte entsprechend: Gegen die Airline kann ein Entschädigungsanspruch wegen Flugausfall oder Flugverspätung geltend gemacht werden. Dies ist ein Anspruch, der sich hier direkt gegen TUIFly und nicht etwa gegen den Reiseveranstalter richtet.

Bei Pauschalreise zusätzlich Schadensersatz wegen entgangener Urlaubsfreude möglich

123recht.de: Das heißt, dass der Reiseveranstalter fein raus ist?

Rechtsanwalt Kromer: Jein. Theoretisch können Sie auch wegen einer Verspätung Ansprüche gegen den Reiseveranstalter geltend machen. In der Praxis wird hierzu die so genannte Frankfurter Tabelle angewendet, die bei Verspätungen ab 4 Stunden eine Entschädigung von 5 Prozent des anteiligen täglichen Reisepreises vorsieht. Für jede weitere Stunde sind weitere 5 Prozent vorgesehen.

Aber zu beachten ist, dass Sie nicht sowohl gegenüber der Airline als auch gegenüber dem Reiseveranstalter die volle Summe fordern können. Die Entschädigung der Airline wird auf die Entschädigung vom Reiseveranstalter angerechnet.

Daneben gelten aber noch die ganz normalen Regelungen bei Pauschalreisen.

123recht.de: Das heißt?

Rechtsanwalt Kromer: Fällt die Reise komplett aus, besteht natürlich – neben der Entschädigung nach der Fluggastrechte-Verordnung – ein Rückzahlungsanspruch bezüglich des bereits gezahlten Reisepreises. Daneben kann noch ein Schadensersatzanspruch wegen entgangener Urlaubsfreude bestehen.

"Es ist jedem zu empfehlen, seine Rechte durchzusetzen"

123recht.de: Was raten Sie den betroffenen Personen jetzt konkret? Wie sollten sie vorgehen?

Rechtsanwalt Kromer: Da ich gute Erfolgsaussichten sehe, ist natürlich jedem zu empfehlen, seine Rechte durchzusetzen. Hierzu sollte die Fluggesellschaft zunächst zur Zahlung aufgefordert werden. Hierbei ist unbedingt eine angemessene Zahlungsfrist zu benennen. Üblich wären hier 2 Wochen. Sollte binnen dieser Frist keine Zahlung erfolgen, stellt sich die Frage des weiteren Vorgehens.

123recht.de: Was kommt hier in Betracht?

Rechtsanwalt Kromer: In Betracht kommt hier recht viel. Über die verschiedenen Möglichkeiten, eine Forderung durchzusetzen, hatten wir uns bereits im April unterhalten. Interessant für Personen, die keinen Rechtsanwalt beauftragen wollen, kann die Kontaktierung der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e.V. (SÖP) sein.

123recht.de: Vielen Dank!

Anmerkung 123recht.de: Rechtsanwalt Kromer hat uns mitgeteilt, dass die zuständigen Gerichte in Hannover erwartungsgemäß der TUI-Argumentation nicht gefolgt sind und entsprechend den Reisenden eine Entschädigung zugesprochen haben. Dies hat nun sogar bereit der EuGH durch Urteil vom 17.04.2018 (Az.: C-195/17) bestätigt, der ausdrücklich besagt, dass massenhaften Krankmeldungen keinen "außergewöhnlichen Umstand" darstellen.

Gerne stehe ich Ihnen für weitere Informationen zur Verfügung. Ich setze mich bundesweit für Ihre Interessen ein.

Rechtsanwalt Kromer
Tannenweg 17
72654 Neckartenzlingen
info@rechtsanwalt-kromer.de
www.rechtsanwalt-kromer.de
Wollen Sie mehr wissen? Lassen Sie sich jetzt von diesem Anwalt schriftlich beraten.
Leserkommentare
von Rechtsanwalt Johannes Kromer am 18.04.2018 09:23:19# 1
Update: die zuständigen Gerichte in Hannover sind erwartungsgemäß der TUI-Argumentation nicht gefolgt.
Nun hat auch der EuGH durch Urteil vom 17.04.2018 (Az.: C-195/17) entschieden, dass die massenhaften Krankmeldungen keinen "außergewöhnlichen Umstand" darstellen.
    
Das könnte Sie auch interessieren
Reiserecht Entschädigung / Ausgleichszahlung bei Flugverspätung oder -annullierung
Reiserecht Fluggastrechte und Schadensersatz bei Flugverspätungen, Annullierung oder Ausfall