Die Kirchenmaus darf auch klagen

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Bundesverwaltungsgericht öffnet staatlichen Rechtsweg zur Überprüfung von Grundrechtsverstößen bei Kirchenmitarbeitern

Wie wollen wir es eigentlich halten mit dem Verhältnis von Kirche und Staat? Dürfen die Kirchen sich selbst verwalten, sich eigene Regeln geben und diese eigenständig intern allein vor Kirchengerichten verhandeln lassen? Kann dann ein staatliches Gericht kirchliche Entscheidungen kontrollieren, aufheben oder gar ersetzen? Oder darf die Kirchenmaus nicht vor die - bildlichen - Schranken der weltlichen Gerichte treten? Ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ändert die bisherige Rechtsprechung und gibt neue Leitlinien vor. (Bundesverwaltungsgericht, Urteil v. 27.02.2014, Az. 2 C 19.12)

95 Jahre Verfassungsrecht: offene Fragen aktuell wie nie

Art. 140 GG schreibt fest, dass die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung weiter gelten sollen. Und so ist das Recht von 1919 auch heute noch Verfassungsrecht: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde." (Art. 137 Abs. 3 WRV)

95 Jahre hat es aber gedauert, bis das Bundesverwaltungsgericht nun klärte, in welchem Umfang das Kirchenrecht und die kirchlichen Personalentscheidungen einer staatlichen Prüfung vor Gericht unterliegen. Die Positionen könnten gegensätzlicher nicht sein: betroffene Pfarrerinnen und Pfarrer wünschen sich eine unabhängige, staatliche Justiz mit vollem Überprüfungsrecht; sie reklamieren die "Schranken des für alle geltenden Gesetzes" für sich. Die Kirchen hingegen berufen sich auf die "selbstständige" Verwaltung ihrer Angelegenheiten "ohne Mitwirkung des Staates".

Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Wortlaut einer Vorschrift nicht sofort und eindeutig aufzuklären ist, genau hierzu sind dann die Gerichte berufen. Aber welche?

Der im konkreten Fall betroffene Pastor musste zunächst nicht vor die staatlichen Gerichte ziehen, sondern vor die innerkirchlichen Gerichte.

Wie funktioniert das Kirchenrecht?

Die evangelische Kirche hält hierfür zwei Instanzen eigener Verwaltungsgerichte vor. Die Evangelische Kirche im Rheinland damals eine sogenannte "Verwaltungskammer" (die heute aus zwei Kammern besteht und daher "Kirchliches Verwaltungsgericht" heißt) und einen Verwaltungsgerichtshof in zweiter Instanz.

Die Klage des ehemaligen Pastors im Sonderdienst scheiterte vor dem Kirchengericht. Das Gericht teilte mit, es könne schlicht einen Großteil der Argumente des Klägers nicht berücksichtigen. An Grundrechte sei die Kirche nicht gebunden, die Rechtmäßigkeit kirchlicher Gesetze (also zum Beispiel das Sonderdienstgesetz) dürfe das Gericht nicht überprüfen.

Die Revision zum Kirchengericht der zweiten Instanz wurde beantragt, aber nicht zugelassen. Der kirchliche Rechtsweg war beendet und in weiten Teilen der Argumentation abgeschnitten.

Denn tatsächlich kennt das Kirchenrecht eine Prüfung an den staatlichen Grundrechten nicht. Die Kirchengerichte sind eben "nur" an das Kirchenrecht und die Heilige Schrift gebunden, das weltliche Recht findet in der Regel nur dort Berücksichtigung, wo es mit dem Kirchenrecht wortgleich ist. Sonderdienstgesetze für Pastoren kennt die Bundesrepublik aber nicht und daher gab es auch keine vergleichbaren Gesetzeslagen.

Ein Dilemma! Denn meint die Weimarer Reichsverfassung von 1919 tatsächlich die vollständige Selbstverwaltung, inklusive eigener Rechtsetzung und Rechtsprechung, dann würde hier der Justizgewährungsanspruch völlig leer laufen.

So hielt es die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bis zu diesem Jahr.

Ab sofort bewegen sich auch Kirchen "im Rahmen des für alle geltenden Gesetzes"

Mit seiner Entscheidung, die auf den 27.02.2014 datiert ist, und die der Senat in der ersten Juni-Woche der Evangelischen Kirche im Rheinland und dem klagenden ehemaligen Pastor zugestellt hat, gibt das Bundesverwaltungsgericht seine bisherige Rechtsprechung auf.

Es ordnet damit seine Rechtsprechung neu und findet eine einheitliche Linie mit anderen Bundesgerichten, namentlich dem Bundesgerichtshof, der in Zivilsachen bereits in den Vorjahren den Rechtsweg öffnete.

Von nun an soll der Justizgewährungsanspruch des Art. 19 Abs. 4 GG den Weg auch zu den staatlichen Verwaltungsgerichten öffnen. Es ist und bleibt Aufgabe des Staates auch innerkirchliche Akte auf ihre Vereinbarkeit mit dem staatlichen Recht zu überprüfen. Damit werden insbesondere Verletzungen von Grundrechten oder Grundentscheidungen des staatlichen Gesetzgebers zum Maßstab auch für innerkirchliche Maßnahmen.

Die Rechtsprechung ist aber gehalten, das geschützte Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften zu achten: "Für diese Wechselwirkung gilt, dass sich der Staat desto stärker mit rechtlichen Vorgaben für die Tätigkeit der Religionsgesellschaft und einer gerichtlichen Überprüfung derselben zurückzuhalten hat, je näher der jeweilige Akt der Religionsgesellschaft dem Kernbereich des Selbstbestimmungsrechts, insbesondere der Verkündigung ihrer Glaubenslehre steht." (Rz. 20)

Dies soll verhindern, dass staatliche Gerichte die Berufung oder Entlassung eines Pfarrers rückgängig machen, oder dass der Staat die Kirchen in ihrer moralischen Grundüberzeugung reglementiert. Ausdrücklich hält das Bundesverwaltungsgericht fest: "Fragen wie z.B. die nach Glaubenslehre und Kirchenrecht in den Religionsgesellschaften unterschiedlich beurteilte Ehelosigkeit von Geistlichen und der Zugang von Frauen zu geistlichen Ämtern sind daher von den staatlichen Gerichten nicht zu überprüfen." (Rz. 21)

Aber wo ist dann im jeweiligen Einzelfall die Grenze? Es bleibt spannend im Verhältnis von Staat und Kirche.

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