Die Abfindung im Arbeitsrecht - das müssen Arbeitnehmer wissen

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Wann und wie entsteht ein Anspruch auf Abfindung und was muss der Arbeitnehmer dabei beachten?

Streit mit dem Arbeitgeber und schon flattert eine Kündigung ins Haus. Und nun? Was ist mit einer Abfindungen? Wann und wie bekommt man diese überhaupt? Gibt es Argumente für eine Abfindung und Situationen, in denen man von einer Abfindung Abstand nehmen sollte? Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht Dr. Elke Scheibeler erklärt, worauf es bei einer Abfindung ankommt und was Arbeitnehmer rechtlich beachten müssen.

Abfindungen sind eine Entschädigung für den Arbeitsplatzverlust

123recht.de: Frau Dr. Scheibeler, was ist eine Abfindung überhaupt? Welche Arten der Abfindung gibt es im Arbeitsrecht?

Elke Scheibeler
Partner
seit 2010
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Heinz-Fangman-Str. 2
42287 Wuppertal
Tel: 0202 76988091
Web: http://www.kanzlei-scheibeler.de
E-Mail:
Insolvenzrecht, Miet- und Pachtrecht, Kaufrecht, Vertragsrecht

Rechtsanwältin Scheibeler: Eine Abfindung ist eine Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes. In den meisten Fällen wird diese gezahlt, wenn eine Kündigung ausgesprochen wurde und deren Wirksamkeit vom Arbeitnehmer angezweifelt wird. Der Arbeitgeber lässt sich so das Risiko eines Kündigungsrechtsstreits quasi abkaufen. Ebenso ist es denkbar, einen Rechtsstreit um die Wirksamkeit eines befristeten Arbeitsvertrags gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden. Möglich ist auch, dass bei Entlassungen in größeren Unternehmen ein so genannter Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt wird. Im Sozialplan werden dann Abfindungen festgelegt, die automatisch an die ausscheidenden Arbeitnehmer gezahlt werden, auch wenn diese gegen die Kündigung nicht vorgehen.

Ohne Sozialplan kein Anspruch auf Abfindung

123recht.de: Wann hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Abfindung?

Rechtsanwältin Scheibeler: Nur wenn diese im Sozialplan vereinbart ist oder wenn das Gericht den Arbeitgeber im Rahmen eines Auflösungsantrags verurteilt. Letzteres kommt aber in der Praxis kaum vor. In den anderen Fällen erfolgt diese durch einen Vergleich und ist Verhandlungssache. Eine Kündigungsschutzklage dagegen richtet sich formal auf Wiedereinstellung, die allerdings auch seitens der Arbeitnehmer in den meisten Fällen nicht gewünscht wird. Durch die Kündigung ist die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer meist so beschädigt, dass eine weitere Zusammenarbeit keinen Sinn macht.

123recht.de: Was sind die üblichen Gründe für eine Abfindung?

Rechtsanwältin Scheibeler: In den meisten Fällen geht es bei einer Abfindung um eine Kündigung, die angezweifelt wird. Manchmal wird aber auch eine Abfindung vereinbart, wenn die Wirksamkeit einer Befristungsabrede im Arbeitsvertrag angezweifelt wird.

123recht.de: Kann der Abfindungsanspruch auch entfallen? Was für Gründe können Sie nennen?

Rechtsanwältin Scheibeler: Wenn die Kündigung des Arbeitgebers wirksam ist, ist natürlich keine Abfindung zu zahlen. Insbesondere bei kleineren Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern besteht kein Kündigungsschutz, in Altfällen bei weniger als fünf Mitarbeitern ohne Auszubildende in Vollzeit. Eine Kündigung, ohne dass ein Grund hierfür vorliegt, ist unter Einhaltung der Frist daher möglich.

Aber auch wenn das Kündigungsschutzgesetz gilt, ist es möglich, dass eine Kündigung vom Arbeitsgericht als wirksam angesehen wird. Die Begründungslast liegt allerdings beim Arbeitgeber, so dass dies meist schwierig ist. Denkbar ist auch, dass der Arbeitgeber die Kündigungsschutzklage anerkennt und das Arbeitsverhältnis fortsetzt. Dann ist natürlich auch keine Abfindung zu zahlen.

Abfindungen können auch außergerichtlich vereinbart werden

123recht.de: Wie werden Abfindungsvereinbarungen getroffen? Ist immer zwingend ein Prozess notwendig?

Rechtsanwältin Scheibeler: Man kann diese auch außergerichtlich im Rahmen einer Aufhebungsvereinbarung oder einer Abwicklungsvereinbarung nach einer Kündigung vereinbaren. Wenn später Arbeitslosengeld bezogen werden soll, ist aber darauf zu achten, dass keine Sperrzeit verhängt wird. Nach einer Änderung der Geschäftsanweisung der Bundesagentur für Arbeit letztes Jahr gibt es hier bei betriebsbedingten Kündigungen, bei denen eine Abfindung gezahlt wird, einen größeren Spielraum für eine außergerichtliche Einigung.

123recht.de: Wenn es zu einem arbeitsrechtlichen Prozess kommt - wer übernimmt die Gerichtskosten?

Rechtsanwältin Scheibeler: Gerichtskosten fallen im Arbeitsprozess ohnehin nur bei einem Urteil an und werden demjenigen auferlegt, der verloren hat. Ein Vorschuss ist anders als bei den Amts- und Landgerichten nicht zu zahlen. Im Falle eines Vergleiches oder einer frühen Klagerücknahme werden keine Gerichtskosten berechnet.

Abfindungen werden i.d.R. am Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt

123recht.de: Wann ist die Abfindung fällig? Also wann muss sie konkret bezahlt werden?

Rechtsanwältin Scheibeler: Dies ist Vereinbarungssache. Üblicherweise wird die Abfindung zum Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlt. Ich habe aber Mandanten gehabt, die in Abstimmung mit ihrem Steuerberater eine Auszahlung im Folgejahr wünschten, da dort wegen der Arbeitslosigkeit und des geringeren Einkommens wohl weniger Abzüge zu erwarten waren.

123recht.de: Wie hoch fällt eine Abfindung normalerweise aus? Handelt es sich dabei um Brutto- oder Nettobeträge?

Rechtsanwältin Scheibeler: Die so genannte Daumenregel besagt, dass für eine unwirksame Kündigung ein halbes Bruttomonatsentgelt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit gezahlt wird. Die Abfindung wird brutto vereinbart.

123recht.de: Kann sie höher sein, gibt es Höchstgrenzen?

Rechtsanwältin Scheibeler: Die Abfindung kann dann je nach Aussichten nach oben oder unten verhandelt werden. Wenn der Rechtsstreit länger dauert und die Kündigungsfrist kurz war, wird oft auch der Annahmeverzugszeitraum berücksichtigt. Dies sind die Monate mit Gehältern, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nachzahlen müsste, wenn er den Rechtsstreit verliert. Große Unternehmen können die Abfindung von sich auch stark erhöhen, z.B. im Rahmen von Frühpensionierungen. Höchstgrenzen gibt es nicht.

123recht.de: Was ist, wenn man der Abfindung zugestimmt hat, kann man nachträglich noch was machen und z.B. eine höhere rausschlagen?

Rechtsanwältin Scheibeler: Man kann natürlich den Vergleich bzw. die Aufhebungsvereinbarung wegen Irrtums oder Täuschung anfechten. Dies ist aber meistens schwierig.

Abfindungen werden meist bei Kündigungen vereinbart

123recht.de: Was sind Ihre häufigsten Fälle im Zusammenhang mit Abfindungen?

Rechtsanwältin Scheibeler: Die meisten Abfindungen vereinbare ich wohl nach Kündigungen. Danach kommen die Fälle einer unwirksamen Befristungsabrede. Meist geht es in letzteren Fällen den Arbeitnehmern aber eher um eine Festanstellung als in den Kündigungsfällen, so dass die Vergleichsbereitschaft gering ist.

123recht.de: Wie stehen die Chancen?

Rechtsanwältin Scheibeler: Das ist ganz unterschiedlich. Bei einer fristgemäßen Kündigung in einem Kleinbetrieb sind diese oft schlecht für den Arbeitnehmer. Wenn das Kündigungsschutzgesetz gilt, sind diese besser, da die Rechtsprechung tendenziell arbeitnehmerfreundlich ist. Bei einer Befristung kommt es im Einzelfall auf die Klausel an.

Nachteile können beim Bezug von Sozialleistungen entstehen

123recht.de: Welche Nachteile kann eine Abfindung für den Arbeitnehmer haben?

Rechtsanwältin Scheibeler: Nachteile in dem Sinne eigentlich keine. Möglich ist, dass eine Abfindung auf das Arbeitslosengeld angerechnet wird, wenn die Kündigungsfrist verkürzt wurde. Ärgerlich sind auch die Fälle, in denen die Rechtsstreite sehr lange dauern und die Arbeitnehmer inzwischen Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) beziehen. Dann wird die Abfindung nämlich ggf. als verwertbares Vermögen angesehen und die Zahlung des Jobcenters gekürzt.

123recht.de: Sind Abfindungen sozialversicherungspflichtig?

Rechtsanwältin Scheibeler: Nein, sind sie nicht.

123recht.de: Sie sprachen die Steuerproblematik bereits an. Ist eine Abfindung also zu versteuern, gibt es Unterschiede zum Gehalt?

Rechtsanwältin Scheibeler: Aufgrund einer Gesetzesänderung seit 2006 fallen direkt Steuern an, vorher vorgesehene Freibeträge wurden abgeschafft. Allerdings ist der Steuerbetrag geringer, als wenn es normales Gehalt wäre. Es wird ein höherer Betrag ausgezahlt als wenn es sich um Lohn handeln würde.

123recht.de: Vielen Dank Frau Scheibeler für das informative Gespräch.

Dr. Elke Scheibeler
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