Der ärztliche Behandlungsfehler:

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Eine Einführung mit Beispielen aus der Rechtsprechung

Zentral für einen Arzthaftungsprozess sind die Fragen, ob dem Arzt ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, von welcher Art dieser Fehler ist und ob der Arzt dabei die gebotene Sorgfalt missachtet hat. Der Arzt hat seinen Patienten fachgerecht, dem aktuellen wissenschaftlichen Stand entsprechend, zu behandeln. Einen konkreten Heilerfolg schuldet er indes nicht, denn ein Behandlungsvertrag wird nicht als Werkvertrag, sondern als Dienstvertrag betrachtet. Verlangte man vom Arzt einen Erfolg im Sinne eines gelungenen Heilprozesses und nicht nur ein fachgerechtes Bemühen um einen solchen, so würde man ihn auch für Umstände verantwortlich machen, auf die er keinen Einfluss hat. Denkbar ist es, dass ein Patient auf eine Therapie nicht anspricht, obwohl diese durchaus das Mittel der Wahl darstellt.

Maßstab für die gebotene Sorgfalt:

Sowohl vertraglich als auch deliktisch schuldet der Arzt seinem Patienten die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Diese bestimmt sich nach dem so genannten Facharztstandard, d.h. der Arzt muss die Maßnahmen ergreifen, die von einem aufmerksamen und gewissenhaften Arzt aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden können. Zivilrechtlich gilt ein objektivierter Fahrlässigkeitsbegriff, wonach der Arzt für ein Verhalten, das nicht dem Facharztstandard entspricht, auch dann haftungsrechtlich einzustehen hat, wenn dieses aus seiner persönlichen Lage heraus eigentlich entschuldbar wäre.

Sicherlich gibt es zahlreiche Schnittstellen bei der Klassifizierung der einzelnen Behandlungsfehler. In der Rechtsprechung hat sich jedoch ein gewisses System herausgebildet, nach dem die Fehler wie folgt katalogisiert werden können:

Die Fehler im Einzelnen

Übernahmeverschulden:

Falls ein Arzt eine Tätigkeit übernimmt, von der er weiß oder zumindest wissen müsste, dass er ihr nicht gewachsen ist, liegt ein so genanntes Übernahmeverschulden vor. Wenn er nicht die nötigen Kenntnisse oder Fertigkeiten aufbringt, hat er den Patienten zu einem Facharzt bzw. in ein Krankenhaus zu überweisen oder einen Konsiliararzt (vom behandelnden Arzt zur Beratung hinzugezogener zweiter Arzt, insbesondere bei einem unklaren Krankheitsbild) zu Rate zu ziehen. Auch die Aufnahme eines Patienten in ein Krankenhaus, dessen Ausstattung im konkreten Fall unzureichend ist, kann ein Übernahmeverschulden darstellen.

Beispiele:

  • Ein Anfänger führt selbstständig ohne Hinzuziehung eines erfahrenen Facharztes eine Operation durch (BGH Versicherungsrecht 1998, 634).
  • Ein Kinderarzt belässt es bei der Maskenbeatmung eines Neugeborenen und unterlässt es, einen kompetenten Kollegen herbeizurufen. Dieser hätte eine medizinisch indizierte Intubation (Einführen eines Schlauches über Mund oder Nase zur Sicherung der Atemwege) durchführen können und damit die vitalen Funktionen des Säuglings sichergestellt (OLG Stuttgart Versicherungsrecht 2001, 1560).
  • Ein Heilpraktiker wird invasiv (Eingriff, bei dem ein Instrument in den Körper bzw. in ein Körpergefäß eindringt) tätig, obwohl ihm dies nicht gestattet ist und er kraft seiner Ausbildung nicht über eine diesbezügliche Kompetenz verfügt (Münch, Versicherungsrecht 1991, 471).

Diagnosefehler:

Von einem Diagnosefehler spricht man, wenn der Arzt die von ihm erhobenen oder ihm übermittelten Befunde falsch deutet. Die Rechtsprechung ist allerdings sehr zurückhaltend mit der Annahme eines Behandlungsfehlers in diesem Bereich. Dies erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die Symptome nicht immer eindeutig sind, sondern auf verschiedenste Ursache hindeuten können. Erforderlich ist danach, dass sich die „Diagnose entweder als eine völlig unvertretbare Fehlleistung darstellt oder sie entweder auf der Unterlassung elementarer Befunderhebungen beruht oder die Überprüfung einer ersten Arbeitsdiagnose im weiteren Behandlungsverlauf fehlerhaft versäumt wurde." (BGH Versicherungsrecht 1992, 1263).

Beispiele:

  • Eine Venenthrombose wird nicht erkannt, obwohl der Patient nach längerem Liegen über ein ständig geschwollenes Bein klagt (OLG Hamm Versicherungsrecht 2002, 315)
  • Auf einem Röntgenbild wird eine eindeutig nachweisbare Schenkelhalsfraktur nicht erkannt (LG Bielefeld Versicherungsrecht 1999, 1245)
  • Eine Röntgenaufnahme wird von einem Radiologen falsch gedeutet und dadurch ein Bronchialkarzinom verkannt (OLG Hamm Versicherungsrecht 2002, 578)
  • Ein Patient, der seit Jahren an einer koronaren Herzerkrankung litt, wurde vom behandelnden Arzt nicht unverzüglich in eine Klinik zur Herzkatheteruntersuchung eingewiesen, obwohl der Patient über einen "enormen Druck in der Brust" klagte und das EKG deutliche Veränderungen zeigte (OLG Bamberg Versicherungsrecht 2005, 1292)

Nichterheben von Befunden:

Es bleibt meistens nicht dabei, dass der Arzt nur die Symptome eines Patienten im Wege der Diagnose zu bewerten hat. In der Regel hat der Arzt im Anschluss an die Begutachtung seines Patienten die erforderlichen Befunde zu erheben. Bei der Annahme eines Behandlungsfehlers in diesem Bereich ist die Rechtsprechung weniger zurückhaltend. Ein Behandlungsfehler liegt demnach vor, wenn elementare Befunderhebungen unterlassen werden oder eine erste Diagnose nicht durch weitere Kontrollbefunde überprüft wird.

Beispiele:

  • Unterlassene CT- oder Kernspinuntersuchung bei einer lang anhaltenden Weichteilschwellung im Bereich der Schläfe, wobei sich später herausstellte, dass ein bösartiger Tumor dafür ursächlich war (OLG Stuttgart Versicherungsrecht 2000, 1545)
  • Bei einem begründeten Verdacht auf eine tiefe Beinvenenthrombose erfolgte keine in einem solchen Fall gebotene weitere diagnostische Abklärung im Wege einer gebotenen Phlebographie (Röntgendarstellung venöser Gefäße) (OLG Oldenburg, Versicherungsrecht 1999, 318).
  • Wird aus dem Kniegelenk ein trübes Punktat gewonnen, so stellt es einen groben Behandlungsfehler dar, wenn eine schnelle bakteriologische Untersuchung nicht vorgenommen wird; in diesem Fall kam es zu einer späteren Gelenkversteifung bei dem Patienten (OLG Köln Versicherungsrecht 1992, 1003).

Organisations- und Kooperationsverschulden:

Die Behandlungsabläufe sind sachgerecht zu organisieren und zu koordinieren. Krankenhäuser und Ärzte haben eine angemessene personelle Ausstattung zu gewährleisten. Das Personal ist sachgerecht auszuwählen, einzusetzen und in geeigneter Form zu überwachen. Der Facharztstandard muss durch die Organisation interner Abläufe mittels Richtlinien und Weisungen sichergestellt werden. Zudem ist der notwendige hygienische, medikamentöse und apparative Standard aufrechtzuerhalten.

Ein Organisationsverschulden liegt z.B. vor, wenn ein Krankenhaus personell unterbesetzt ist. Der Träger des Krankenhauses kann dies nicht damit entschuldigen, dass das Budget dafür nicht ausreicht. Andererseits hat ein Patient keinen Anspruch auf die denkbar beste apparative Ausstattung, wenn die durchgeführte Behandlung einem guten ärztlichen Standard entspricht (OLG Köln AZ: 5 U 103/97)

Beispiele:

  • Eine Belegklinik für Geburten teilte den Belegärzten nicht mit, wo der Schlüssel zum Operationssaal verwahrt wird. In dem Fall (OLG Stuttgart Versicherungsrecht 2000, 1108) kam es infolge der deshalb verspäteten Durchführung einer Sectio (Schnittentbindung) zu einer Hirnschädigung des Kindes.
  • Der Chef- /Oberarzt hat sich vor einem operativen Eingriff zu vergewissern, ob der ihm assistierende Arzt, der sich in der Weiterbildung zum Facharzt befindet, über die notwendigen Kenntnisse der OP-Technik sowie der Risiken des Eingriffs verfügt (OLG Düsseldorf Versicherungsrecht 1994, 352).
  • Das CTG wird durch den nicht hierfür ausgebildeten und nicht richtig unterwiesenen Pflegedienst und nicht durch einen Arzt oder eine qualifizierte Hebamme überwacht (BGH NJW 1996, 2429).
  • Ein Anästhesist, der für eine Intensivstation verantwortlich ist, kann sich grundsätzlich darauf verlassen, dass die Röntgenbilder hinsichtlich des Vorliegens von Frakturen korrekt ausgewertet wurden (OLG Hamm Versicherungsrecht 1983, 884)

Therapiewahlfehler

Hierunter fallen die Fälle, in denen die Diagnostik oder die gewählte Therapiemethode schon in ihrer Auswahl fehlerhaft sind. Zu beachten ist, dass die Rechtsprechung dem Arzt hier ein weites Ermessen einräumt. Der Arzt ist nicht immer auf den jeweils sichersten therapeutischen Weg festgelegt. Stehen - wie sehr häufig – mehrere Therapiemethoden zur Auswahl, hat der Arzt ein Wahlrecht bezüglich der konkreten Methode im Rahmen der medizinischen Indikation. Unter verschiedenen Therapiemethoden, die hinsichtlich der Belastungen für den Patienten und der Erfolgsaussichten im Wesentlichen gleichwertig sind, kann der Arzt daher frei wählen.

Beispiele:

  • Ein für die Nachbehandlung eines an der Wirbelsäule operierten Patienten zuständiger Arzt missachtet eine eindeutige Anweisung des Operateurs (hier die Anordnung einer Fixation mit einem Becken-Bein-Gips wegen einer instabilen Wirbelsäule). Dies stellt einen groben Behandlungsfehler dar, da allein der Operateur die postoperative Situation beurteilen kann (OLG München Versicherungsrecht 1991, 1288).
  • Ein Facharzt für Orthopädie behandelt einen Patienten auf eine Venenentzündung, obwohl dieser tatsächlich an einem akuten embolischen Gefäßverschluss leidet (OLH Hamm Versicherungsrecht 1989, 292)
  • Wenn nach der Entnahme eines übel riechenden Wundsekretes alle Symptome eines Gasbrandes vorliegen, ist es grob fehlerhaft, zunächst eine Angiographie (Darstellung von Blutgefäßen mittels Röntgenstrahlen, wobei ein Kontrastmittel, d. h. ein Stoff, der für Röntgenstrahlen kaum durchlässig ist, in das Blutgefäß injiziert wird; auf dem Röntgenbild zeichnet sich dann der mit Kontrastmittel gefüllte Gefäßinnenraum ab.) durchzuführen, anstatt nach dem Auftreten von Zeichen für einen Kreislaufverfall sofort operativ zu intervenieren (OLG Hamm Versicherungsrecht 1998, 104).

Therapiefehler

Der Arzt ist verpflichtet, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um einen nach dem jeweiligen naturwissenschaftlichen Erfahrungsstand erkennbaren Schaden an der Gesundheit seines Patienten abzuwenden. Ein Therapiefehler begeht der Arzt, wenn er eine veraltete Methode anwendet, d.h. eine solche, die aufgrund von gesicherten Kenntnissen in der Medizin obsolet ist.

Beispiele:

  • Der Arzt operiert trotz eindeutiger Hinweise auf eine Entzündung in einem Gebiet, ohne zuvor abzuklären, ob dort ein bakterieller Entzündungsprozess abläuft (OLG Oldenburg Versicherungsrecht 1992, 184).
  • Grob fehlerhaft ist auch die Fortsetzung einer Cortisontherapie nach der Feststellung einer erhöhten Blutsenkungsgeschwindigkeit (OLG Versicherungsrecht 1992, 1096)
  • Ein grob fehlerhaftes ärztliches Verhalten kann vorliegen, wenn die Befunde einen Verdacht auf eine Hodentorsion erhärten und der Arzt die hierbei gebotene Freilegung des Hodens unterlässt (OLG Oldenburg Versicherungsrecht 1999, 1284).
  • Kommt während einer Kniepunktion bei einer liegenden Kanüle zu einem Wechsel der Spritzen, hat der behandelnde Arzt hierbei sterile Handschuhe zu tragen (OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 389)

Daneben gibt es Aufklärungsfehler sowie Dokumentationsfehler, die aber für sich betrachtet allein noch nicht zu einem Anspruch führen können. Hierbei können dem Patienten, der grundsätzlich einen Behandlungsfehler beweisen muss, Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast zugute kommen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass es für einen Arzthaftungsfall zwar auf das Vorliegen eines der oben geschilderten Fehler ankommt, jedoch darüber hinaus noch zahlreiche weitere Problemfelder vorhanden sind, wie z.B. die Ermittlung des Klagegegners bei mehreren Beteiligten, Besonderheiten bei der Darlegung- und Beweislastverteilung, die Frage nach der richtige und insbesondere Erfolg versprechenden Vorgehensweise und Taktik und nicht zuletzt der Eintritt eines Schadens, der auf die fehlerhafte Behandlung zurückzuführen sein muss.

Sollten Sie den Verdacht haben, dass bei Ihnen eine ärztliche Behandlung nicht so gelaufen ist, wie es nach den oben skizzierten Anforderungen der medizinrechtlichen Rechtsprechung der Fall sein sollte, können Sie gerne mit uns Kontakt aufnehmen und unverbindlich einen Termin vereinbaren.

Rechtsanwalt Tobias Kraft
Borussiastraße 112
44149 Dortmund

Telefon: (0231) 96 78 77 – 29
Fax: (0231) 96 78 77 – 28
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