Der Schwerbehindertenausweis für Krebspatienten

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Wann hat man Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis, wie wird der Grad der Behinderung bestimmt und was ändert sich durch den Ausweis?

Bei Behinderung denken wir meist an offensichtliche Behinderungen, wie z.B. Blindheit, Lähmungen oder geistige Behinderungen. Eine Krebserkrankung ist mir persönlich dabei noch nie in den Sinn gekommen. Da ich nun seit Sommer mit einer Brustkrebserkrankung selbst betroffen bin, bin ich über den Vorschlag gestolpert, ich solle doch einen Schwerbehindertenausweis beantragen.

Aber was habe ich eigentlich davon? Und ist Krebs wirklich eine Behinderung? Rechtsanwalt Pierre Aust ist so nett, meine Fragen zu beantworten.

Pierre Aust
Partner
seit 2013
Rechtsanwalt
Lüningsweg 6
33719 Bielefeld
Tel: 0521 5602341
E-Mail:
Versicherungsrecht, Sozialversicherungsrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht, Ordnungswidrigkeiten
Preis: 70 €
Antwortet: ∅ 2 Std. Stunden

123recht.de: Herr Aust, stimmt es, dass Krebspatienten einen Schwerbehindertenausweis beantragen können?

Rechtsanwalt Aust: Ja, das ist tatsächlich richtig, da eine Krebserkrankung stets eine Behinderung im Sinne des Sozialgesetzbuches IX (SGB) darstellt. Als Behinderung im Sinne des Gesetzes wird eine Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft definiert.

Diese Beeinträchtigung wird immer dann angenommen, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit des Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Die gesetzliche Definition ist hier, wie Sie sehen, sehr allgemein gehalten und auch tatsächlich schwer verständlich.

Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

123recht.de: Woher weiß man, welche Beeinträchtigungen anerkannt sind?

Rechtsanwalt Aust: Die angesprochene Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft wird nach dem Willen des Gesetzgebers prozentual bewertet. Hierbei wird bei der prozentualen Einstufung jede Erkrankung nach Art und Ausmaß der durch Sie verursachten Funktionsbeeinträchtigungen bewertet. Dieses wird dann durch den Grad der Behinderung (GdB) ausgedrückt.

Um diese prozentuale Einstufung einheitlich vorzunehmen, hat der Gesetzgeber die so genannte Versorgungsmedizin Verordnung erlassen. Hier ist tatsächlich fast jede Erkrankung aufgeführt und in der Höhe anhand der Schwere der Auswirkungen bewertet. Diese Versorgungsmedizin Verordnung können Sie z.B. beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales online einsehen und auch in Buchform kostenlos bestellen.

123recht.de: Wonach richtet sich bei Krebspatienten der Grad der Behinderung? Ich weiß von Brustkrebspatienten, die zwischen 50% und 80% bekommen haben. Wer entscheidet das?

Rechtsanwalt Aust: Bei Krebserkrankung richtet sich der GdB zunächst nach dem befallenen Organsystem (z.B. Brustkrebserkrankung) und danach nach dem Ausmaß der Krebserkrankung. Hierbei spielt die medizinische Einstufung der „Bösartigkeit" und des Umfang des körperlichen Befalls durch den Tumor (TNM-Klassifikation) eine entscheidende Rolle. Die Ärzte benutzen die so genannte TNM Klassifikation zur prognostischen Aussage hinsichtlich der Heilungsaussichten und diese bestimmt häufig auch die weitere Therapie. Diese Klassifikation wird nach der in Betracht kommenden Entfernung des Tumors und dem Abschluss der Behandlung durchgeführt. Hierzu wird auch dann die immer durchgeführte Untersuchung des Tumors durch einen Pathologen berücksichtigt.

Im konkreten Fall einer Brustkrebserkrankung mit operativer Entfernung des Tumors wird der GdB wie folgt eingestuft:

  • Bei Entfernung im Stadium (T1 bis T2) pNO MO: 50
  • Bei Entfernung im Stadium (T1 bis T2) pN1 MO: 60
  • In höheren Stadien: wenigstens 80

GdL wird bei Brustkrebs zunächst für 5 Jahre gewährt

123recht.de: Kann der einmal festgestellte Wert irgendwann auch wieder geändert werden, z.B. bei vollständiger Heilung?

Rechtsanwalt Aust: Ja, bei Krebserkrankungen ist stets eine so genannte Heilungsbewährung zu berücksichtigen. Dieses bedeutet, dass der hohe GdB zunächst nur für fünf Jahre (z.B. bei einer Brustkrebserkrankung) gewährt wird. Wenn in diesem Zeitraum kein Wiederauftreten der Krebserkrankung festzustellen ist, wird der GdB dann nach den tatsächlich verbliebenen Funktionseinschränkungen bewertet. Dieses sind bei Brustkrebserkrankung häufig Abflussstörungen im Lymphsystem durch Entfernung von Lymphknoten oder auch z.B. psychische Störungen aufgrund der Angst vor dem Auftreten einer neuen Krebserkrankung.

Der Ablauf des Verfahrens bis zur Entscheidung über den GdB ist meist insoweit einheitlich, dass die Versorgungsverwaltung die Befund- und Behandlungsberichte Ihrer behandelnden Ärzte beizieht und dann einem Arzt, der über eine entsprechende Fortbildung im Bereich der Sozialmedizin verfügt, vorlegt. Dieser bewertet dann in einer schriftlichen Stellungnahme unter Berücksichtigung der vorliegenden Befunde die Höhe des GdB.

123recht.de: Wie bekomme ich den Schwerbehindertenausweis?

Rechtsanwalt Aust: Hierzu ist ein Antrag bei der zuständigen Versorgungsverwaltung notwendig. Problematisch ist hierbei ein wenig, dass in den verschiedenen Bundesländern verschieden Behörden zuständig sind. In NRW sind z.B. die Kreise und die Kreisfreien Städte für die Bearbeitung der Anträge zuständig. Eine genaue Übersicht der zuständigen Behörden finden Sie z.B. unter:

http://www.einfach-teilhaben.de/DE/StdS/Schwerbehinderung/GdB_Ausweis/auswe…

Sie können sich auch direkt an die für Sie zuständige Stadtverwaltung wenden und dort die Antragsformulare erhalten.Dann wird im Falle Ihrer Krebserkrankung ein Feststellungsbescheid erlassen. Aus diesem ergeben sich die Höhe des GdB´s und die Art der Funktionsbeeinträchtigung. Dabei tauchen im Bescheid keine medizinischen Fachbegriffe auf, sondern allgemein verständliche Umschreibungen. Danach können Sie sich dann durch die Versorgungsverwaltung den Schwerbehindertenausweis ausstellen lassen.

123recht.de: Wie gehe ich vor, wenn mein Antrag abgelehnt wird oder ich mit dem Grad der Behinderung nicht einverstanden bin?

Rechtsanwalt Aust: Für diesen Fall ist der durch die Behörde erfolgte Bescheid durch die Einlegung eines Widerspruches anfechtbar und überprüfbar. Sie müssen diesen Widerspruch innerhalb von einem Monat nach Zugang des Bescheides, schriftlich bei der Behörde einreichen, die den Bescheid erlassen hat. Bei der Begründung des Widerspruches sollte darauf eingegangen werden, warum Sie mit der Einstufung im Hinblick auf die Auswirkungen der Erkrankungen nicht einverstanden sind.

Hierbei benötigen Sie jedoch zunächst eine Einsicht in die entsprechende Verwaltungsakte, um beurteilen zu können, ob die Einstufung im Hinblick auf die Versorgungsmedizin Verordnung sachgerecht vorgenommen wurde. Im Hinblick auf die Komplexität der entsprechenden Versorgungsmedizin Verordnung und der auch benötigten medizinischen Fachkenntnisse würde ich Ihnen raten, entsprechende fachanwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Alternativ besteht ebenso die Möglichkeit, sich durch verschiedene Sozialverbände in Deutschland (z.B. SoVD) oder die Gewerkschaft vertreten zu lassen, wenn eine entsprechende Mitgliedschaft besteht.

Steuerliche Vorteile, Freistellung von Mehrarbeit und Anspruch auf Teilzeitarbeit

123recht.de: Welchen Vorteil bietet der Behindertenausweis?

Rechtsanwalt Aust: Der Behindertenausweis bietet insbesondere wenn Sie im Erwerbsleben stehen zahlreiche Vorteile. Dieses sind der erweiterte Kündigungsschutz gemäß § 85 SGB IX, der Zusatzurlaub von bis zu 5 Tagen gemäß § 125 SGB IX und die Möglichkeit einer frühzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente gemäß § 37 und 236a SGB VI.

Weiterhin bestehen auch gegenüber dem Arbeitgeber zahlreiche Ansprüche auf Arbeitserleichterung (z.B. Freistellung von Mehrarbeit / Anspruch auf Teilzeitarbeit) wenn diese behinderungsbedingt notwendig sind. Hierbei sind die Integrationsämter für die Belange der schwerbehinderten Menschen im Arbeitsleben zuständig und vertreten Sie wenn notwendig auch gegenüber dem Arbeitgeber. Eine Übersicht hierüber erhalten Sie ebenso auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (www.einfach-teilhaben.de).

Unabhängig, ob Sie noch im Erwerbsleben stehen, bietet der Schwerbehindertenausweis auch steuerliche Vorteile durch die zusätzliche Einräumung eines Steuer-Freibetrages. Dieser ist abhängig von der Höhe der GdB. Hinzu kommen noch besondere Vorteile durch die Feststellung so genannter Nachteilsausgleiche(z.B. Möglichkeit der Nutzung eines Schwerbehindertenparkplatzes). Diese sind dann zu gewähren, wenn bestimmte körperliche Funktionen ,z.B. die Gehfähigkeit durch bestimmte Erkrankungen (z.B. Verlust eines Beines im Bereich des Unterschenkels), eingeschränkt sind. Insgesamt kommen diese Nachteilsausgleiche aber bei der von Ihnen angesprochenen Brustkrebserkrankung nur bei sehr schwerwiegenden Verläufen der Erkrankung in Betracht.

123recht.de: Ich darf also nicht auf einem Schwerbehindertenparkplatz parken?

Rechtsanwalt Aust: Im Regelfall einer Brustkrebserkrankung ist dieses eindeutig nicht der Fall. Um auf einen Behindertenparkplatz parken zu dürfen, benötigen Sie den Nachteilsausgleich „aG" im Ausweis. Dieser Nachteilsausgleich wird immer dann gewährt, wenn Ihre Gehfähigkeit durch die Erkrankung auf Dauer so stark herabgesetzt ist wie bei der von der Versorgungsmedizin Verordnung bestimmten Vergleichsgruppe. Hier sind exemplarisch z.B. Doppeloberschenkelamputierte, Querschnittgelähmte etc. aufgeführt worden. Insgesamt muss Ihre Gehfähigkeit im Hinblick auf die laufende Rechtsprechung der obersten Sozialgerichte so beeinträchtig sein, dass Sie sich außerhalb Ihres Kraftfahrzeuges nicht mehr oder nur noch mit fremder Hilfe selbständig fortbewegen können.

Schwerbehindertenquote bei Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern

123recht.de: Was für Vor- und Nachteile bekommt mein Arbeitgeber, wenn ich plötzlich als Schwerbehinderte gelte?

Rechtsanwalt Aust: Über die Nachteile, die Ihr Arbeitgeber durch Ihre Schwerbehinderung erfährt, sollten Sie sich eigentlich keine großen Sorgen machen. Insgesamt sind diese z.B. durch den erweiterten Kündigungsschutz und den Anspruch auf behinderungsbedingte Freistellung z.B. von Mehrarbeit eher gering und werden den Arbeitgeber eindeutig nicht zu einer Kündigung veranlassen. Die entsprechenden Vorteile der Schwerbehinderung für Sie im Arbeitsleben kommen jedoch erst in Betracht, wenn Sie Ihren Arbeitgeber durch die Vorlage des Schwerbehindertenausweises informieren. Den zugrunde liegenden Bescheid sollten Sie Ihrem Arbeitgeber nicht vorlegen, da sich hieraus die Art Ihrer Erkrankung ergibt.

Vorteile hat Ihr Arbeitgeber durch Ihre Schwerbehinderung insgesamt dadurch, dass er seine Schwerbehindertenquote erfüllen kann und somit keine oder weniger Ausgleichsabgaben zahlen muss. Gesetzlich ist vorgesehen, dass ein Arbeitgeber mit mindestens 20 Angestellten wenigstens 5 Prozent dieser Plätze mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen hat. Wenn er diese Quote nicht erfüllt, muss er eine prozentuale Abgabe zahlen. Diese kommt im Wesentlichen den Integrationsämtern zur Erfüllung Ihrer gesetzlichen Aufgabe zu Gute.

Insgesamt ist jedoch festzustellen, dass gerade bei Personen, die im Erwerbsleben stehen, der Antrag auf Feststellung einer Behinderung bei einer Krebserkrankung wesentlich höhere Vorteile mit sich bringt. Sie sollten daher im jeden Fall einen Antrag stellen und die Entscheidung dem Arbeitgeber vorlegen. Wenn Sie sich im konkreten Fall unsicher sind, wäre eine anwaltliche Beratung sicherlich empfehlenswert.

123recht.de: Vielen Dank Herr Aust!

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