Cannabis auf Rezept

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Welche Vorraussetzungen müssen Patienten erfüllen, um Marihuana vom Arzt verschrieben zu bekommen?

Seit dem 1.März 2017 darf Cannabis von Ärzten als Medikament verschrieben werden. Wie genau funktioniert das, gibt es Ausnahmen? Was müssen Patienten wissen? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Jan Gregor Steenberg.

Patienten brauchen für medizinische Cannabisprodukte keine Ausnahmegenehmigung mehr

123recht.de: Herr Steenberg, was ist so neu an der Cannabisabgabe auf Rezept? Das gab es doch schon in der Vergangenheit, z.b. bei Krebspatienten.

Jan Gregor Steenberg
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Rechtsanwalt
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Strafrecht, Arbeitsrecht, Versicherungsrecht

Rechtsanwalt Steenberg: Neu ist, dass es nun keiner Ausnahmegenehmigung mehr bedarf, um auf medizinische Cannabisprodukte zurückzugreifen. Bislang war eine solche Versorgung ausschließlich im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung möglich. Die Kosten für die Versorgung mussten in aller Regel von den Patienten selbst getragen werden. Dies fällt zukünftig weg. Auch hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, Krankheiten zu definieren, bei denen eine Verschreibung von Cannabis möglich ist.

Jedoch muss auch klargestellt werden, dass die Cannabisversorgung weiterhin eine Ausnahme bleibt. Wer also unter gelegentlich auftretenden Kopfschmerzen leidet, der sollte sich keine zu große Hoffnung machen, dass sein Hausarzt zu einer Schmerztherapie mit Cannabis rät. Denkbar ist eine Versorgung insbesondere bei Patienten, die bislang nur schwer und mit erheblichen Nebenwirkungen eingestellt werden konnten. Krankheitsbilder wie eine Neuropathie und Rheuma, Multiple Sklerose und auch Krankheiten, die mit Appetitlosigkeit einhergehen, sind prädestiniert. In besonderem Maße hat der Gesetzgeber aber auf stärkste Schmerzen bei Krebs im Rahmen einer Chemotherapie abgezielt.

Ärtzte dürfen grundsätzlich selbst bestimmen, bei welcher Krankheiten Cannabis verschrieben wird

123recht.de: Es gibt also keinen bestimmten Krankheitskatalog? Darf Cannabis durch Ärzte prinzipiell bei allen Krankheiten verschieben werden?

Rechtsanwalt Steenberg: Genau, ein solcher Katalog ist nicht vorgesehen. Es ist bewusst darauf verzichtet worden, die Verschreibung auf bestimmte Krankheiten zu begrenzen. Somit ist es möglich, auch bei seltenen oder besonders schweren Verläufen Cannabis zu verschreiben. Der Gesetzgeber hat im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens darauf hingewirkt, dass nicht zuerst alle anderen Möglichkeiten ausprobiert werden müssen. Der Einschätzung des behandelnden Arztes kommt somit ein erhebliches Gewicht zu.

Für das Verschreiben von Cannabis muss Erkrankung schwerwiegend sein

123recht.de: Welche Voraussetzungen müssen für eine Verschreibung von Cannabis vorliegen?

Rechtsanwalt Steenberg: Die Voraussetzungen für die Verschreibung sind bei der Versorgung von gesetzlich Versicherten zukünftig in § 31 Abs. 6 SGB V geregelt. Wie sich die privaten Krankenversicherungen positionieren, ist noch nicht klar. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese bei Diagnosen, bei denen die gesetzliche Krankenversicherung einer Therapie mit Cannabis zustimmen würde, ebenfalls einer Versorgung zustimmen. Grundsätzlich schreibt der Gesetzgeber mehrere Voraussetzungen vor:

  1. Es muss sich um eine schwerwiegende Erkrankung handeln.
    Damit ist ausgeschlossen, dass bei leichten Schmerzen verschrieben wird. Der Gesetzgeber möchte weiterhin, dass die Verschreibung nur für Ausnahmefälle gilt. Der Gesetzgeber hat keine Liste von Krankheiten vorgegeben, bei denen eine Verschreibung infrage kommt. Schlussendlich muss der behandelnde Arzt einschätzen, ob die vorliegende Erkrankung grundsätzlich als schwerwiegend anzusehen ist.
  2. Es können nur getrocknete Blüten, Extrakte in standardisierter Qualität und Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon verschrieben werden.
    An dieser Stelle hat der Gesetzgeber besonders viel Wert darauf gelegt, dass klar definiert wird, welche Produkte im Rahmen der Verschreibung abgegeben werden dürfen.
  3. Es muss eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehen.
    Damit ist nochmals klargestellt, dass die Cannabisprodukte einem medizinischen Nutzen dienen sollen. Es muss zumindest wissenschaftlich nachvollziehbare Erkenntnisse geben, dass bei der vorliegenden Erkrankung Cannabis eine Linderung verspricht.
  4. Die Patienten müssen sich dazu verpflichten, an einer Erhebung zum Einsatz der Medikamente teilzunehmen.
    Die Patienten, die Cannabisprodukte auf Kosten der Krankenkasse beanspruchen möchten, müssen an einer Art Studie teilnehmen. Diese soll dazu dienen, den Entscheidungsgremien zukünftig Studiematerial an die Hand zu geben, um den Erfolg der Therapie und auch mögliche Indikationen zu erfassen.
  5. Vor der ersten Verordnung muss die Krankenkasse eine Verschreibung von Cannabisprodukten genehmigen.
    Bevor erstmalig ein Cannabisprodukt verschrieben werden kann, muss die Krankenkasse damit einverstanden sein. Dazu wird der medizinische Dienst der Krankenkassen in den Fall involviert. Dieser wird ein Votum abgeben, ob im vorliegenden Fall die Voraussetzungen einer Therapie mit Cannabisprodukten vorliegen. Die Genehmigung ist einmalig und muss nur vor der ersten Verschreibung eingeholt werden. Bei Folgerezepten ist dies nicht notwendig.

Kein Abgleich mit dem Führungszeugnis

123recht.de: Wie sieht es bei einschlägigen Vorstrafen mit Drogen aus? Gibt es einen Abgleich mit den Strafverfolgungsbehörden? Können Vorstrafen Auswirkungen auf eine mögliche Verschreibung haben?

Rechtsanwalt Steenberg: Ein entsprechender Abgleich ist vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Es ist also ausschließlich auf den medizinischen Nutzen des Cannabis abzustellen. Auch ein Arzt wird im Vorfeld kein Führungszeugnis einholen. Sollte jedoch eine Suchterkrankung vorliegen, so können diverse Aspekte gegen eine solche Therapie sprechen. Insbesondere bleibt es weiterhin strafbar, wenn entsprechende Produkte weitergegeben werden. Es handelt sich um Betäubungsmittel. Der Umgang mit diesen ist streng limitiert. Sollte es also zu einem Missbrauch kommen, so ist mit einem sofortigen Ermittlungsverfahren zu rechnen.

Cannabis zu Hause anbauen ist weiterhin verboten

123recht.de: Darf ich Cannabis auch zu Hause anbauen, wenn ich es verschrieben bekommen habe?

Rechtsanwalt Steenberg: Der Anbau zu Hause ist und bleibt grundsätzlich verboten. Mit der Neuregelung soll auch genau dies verhindert werden. Der Anbau des medizinischen Cannabis wird durch Behörden überwacht. Damit soll sichergestellt werden, dass auch nur medizinisch reines Cannabis verwendet wird. Weiterhin sind durch den Gesetzgeber Obergrenzen vorgesehen. Diese könnten bei einem privaten Anbau nicht oder nur schwer überprüft werden. Daher wird ein Anbau zu Hause zukünftig vollkommen ausgeschlossen sein. Eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenversicherungen ist auch ausschließlich für die Abgabe in einer Apotheke vorgesehen.

Cannabismedikamente gibt es in Tablettenform, Tropfen und auch als Extrakt bzw. in Blütenform

123recht.de: Sie sprachen bereits Blüten und Tabletten an. Wie muss man sich das vorstellen - in was für Formen wird den Patienten Cannabis verschrieben?

Rechtsanwalt Steenberg: Cannabis wird für die Patienten zukünftig in Tablettenform, Tropfen und auch als Extrakt bzw. in Blütenform in Apotheken zu beziehen sein. Besonders gilt es zu beachten, dass es eine Höchstmenge gibt, die ein Arzt für einen Patienten innerhalb von 30 Tagen verschreiben darf. Diese beträgt 100.000 Milligramm. In begründeten Ausnahmefällen, die schriftlich auf der Verschreibung zu kennzeichnen sind, kann diese Höchstmenge überschritten werden.

Gesetzlich Versicherte müssen zuzahlen

123recht.de: Wenn Krankenkassen die Kosten übernehmen, muss der Patient trotzdem etwas zuzahlen?

Rechtsanwalt Steenberg: Soweit die Voraussetzungen einer Kostentragung und insbesondere die Genehmigung der Krankenkasse vorliegt, so werden die Kosten von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen. Es ist anzunehmen, dass auch private Krankenversicherungen entsprechend die Kosten übernehmen. Jedoch gilt es zu beachten, dass die Zuzahlungen auch bei Cannabisprodukten gelten. So müssen gesetzlich Versicherte eine Zuzahlung von derzeit 5 € bis max. 10 € je Verordnung selbst beisteuern.

123recht.de: Was muss ein Patient tun, wenn seine Krankenversicherung eine Kostenübernahme ablehnt?

Rechtsanwalt Steenberg: In diesen Fällen sollte unbedingt der Rat eines versierten Medizinrechtlers eingeholt werden. In den meisten Fällen wird es Sinn machen, einen Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen. In dringenden Fällen kann es auch sein, dass man gerichtliche Hilfe beanspruchen muss. Über ein Sozialgericht lässt sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes sehr schnell eine vorübergehende Lösung erreichen. Gerade bei palliativen Situationen kann eine solche Hilfe notwendig sein.

123recht.de: Wie soll die ausreichende Versorgung der Patienten mit Cannabis gesichert werden?

Rechtsanwalt Steenberg: Die Versorgung wird behördlich organisiert. Zuständig ist das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das den Anbau, die Sicherheit und Kontrolle der Cannabisproduktion gewährleistet.

Patienten dürfen Cannabis ausschließlich über Apotheken beziehen - Straßenkauf bleibt Straftat

123recht.de: Muss ich mich zwingend über Apotheken versorgen? Darf ich auf Straßenhandel ausweichen oder drohen mir dann als Patient Strafen wie jedem gesunden Konsumenten? Kann mir der Entzug der Erlaubnis drohen?

Rechtsanwalt Steenberg: Der Bezug kann nur über eine Apotheke und nur mittels eines Betäubungsmittelrezeptes erfolgen. Es ist dringend davon abzuraten, sich auf illegale Weise Cannabisprodukte zu besorgen. Abgesehen von der Strafbarkeit kann auch überhaupt nicht abgeschätzt werden, welche Wirkstoffzusammensetzungen in welcher Qualität auf dem Schwarzmarkt angeboten werden. Eine Versorgung kann ausschließlich über die Apotheke erfolgen. Jeglicher anderer Bezug war und bleibt eine Straftat. Wenn gegen die Vorgaben des Betäubungsmittelgesetzes verstoßen wird, so ist es zumindest nicht auszuschließen, dass dies auch für den Bezug von Cannabisprodukten Konsequenzen nach sich zieht.

123recht.de: Können Sie noch etwas zu der Situation sagen wenn man Autofahrer ist und als Patient Cannabis verschrieben bekommen hat. Darf man dann überhaupt noch Autofahren? Was ist dabei generell zu beachten.

Rechtsanwalt Steenberg: Die Regelung für den Straßenverkehr dürfte analog zu sonstigen Medikamenten, insbesondere BtM sein. Zu Morphin finden sich typischerweise folgende Hinweise:

"Verkehrstüchtigkeit und Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen

Das Arzneimittel kann die Aufmerksamkeit und das Reaktionsvermögen beeinträchtigen. Sie können dann auf unerwartete und plötzliche Ereignisse nicht mehr schnell genug und gezielt reagieren.Besprechen Sie mit Ihrem Arzt, ob und unter welchen Voraussetzungen Sie z. B. Autofahren können. Eine verstärkte Beeinträchtigung ist insbesondere zu Beginn der Behandlung, bei Erhöhung der Dosis und bei einem Wechsel des Arzneimittels zu erwarten sowie im Zusammenwirken mit Alkohol oder der Einnahme von Beruhigungsmitteln. Daher dürfen Sie dann keine Kraftfahrzeuge führen, Maschinen bedienen oder andere gefahrvolle Tätigkeiten ausführen."

Im Zweifel wird also die Fähigkeit, am Straßenverkehr teilzunehmen, nicht bejaht werden können. Dies muss explizit mit dem behandelnden Arzt geklärt werden. Möglicherweise besteht auch eine Obliegenheit gegenüber der eigenen KFZ-Versicherung, dieser diesen Umstand mitzuteilen. Sollte es zu einem Unfall kommen, so wird das Betriebsrisiko eines KFZ, welches von einem Fahrer geführt wird, welcher Cannabis (in rechtlich erlaubter Weise) konsumiert, deutlich höher einzustufen sein, als dasjenige eines Fahrers ohne entsprechende Medikation.

Ob die Führerscheinstellen (Verwaltungsrecht) ggf. die Fähigkeit absprechen, am Straßenverkehr teilzunehmen, kann bislang nicht beantwortet werden. Dies bleibt abzuwarten. Sollte es jedoch vermehrt zu Unfällen kommen, so sind entsprechende Maßnahmen durchaus denkbar. Dazu ist jedoch eine gesetzliche Grundlage unumgänglich.

123recht.de: Wie schätzen Sie nach dieser Novelle die Chance auf weitere Lockerungen im Umgang mit Cannabis ein?

Rechtsanwalt Steenberg: Es bleibt abzuwarten, wie der Umgang mit Cannabis sich etabliert und die einzelnen Patienten darauf reagieren. Mit einer generellen Legalisierung ist eher nicht zu rechnen. Denkbar wäre jedoch, sollten sich die ersten Jahre erfolgreich abzeichnen, dass beispielsweise weitere Medikamente auf Basis von Cannabis für bestimmte Erkrankungen als Standardmedikation etabliert werden.

123recht.de: Vielen Dank für das informative Interview.

Jan Gregor Steenberg LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz

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