Brokdorf und die Folgen

Mehr zum Thema: Grundrechte, Verfassung, Brokdorf, Versammlung, Demonstration, Versammlungsfreiheit, Gefahrenprognose
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Von Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans W. Alberts

Die Grundrechtsdogmatik zu Art. 8 GG wurde grundlegend im Brokdorf-Urteil des Bundesverfassungsgerichts formuliert (BVerfGE 69.315). Bis heute arbeiten sich die Instanzgerichte an diesem Urteil ab.

Vorzustellen ist OVG Lüneburg, U. v. 22.9.2005 NJW 2006.391 ff. :

  • Zutreffend wird ein Eingriff in die Willensfreiheit als Eingriff in Art. 8 GG bezeichnet. Allerdings fordert das OVG ein gewisse Verbindlichkeit staatlichen Handelns. Soweit nur allgemeine Hinweise gemacht werden, sollen diese nicht ausreichen, werden aber konkrete Maßnahmen ins Auge gefasst, ist ein so genanntes Gefährderanschreiben ein Eingriff in Art. 8 GG

  • Zutreffend wird der Weg zur Versammlung als durch Art. 8 GG geschützt angesehen. Das gilt auch dann, wenn die Versammlung im Ausland stattfinden soll. Der Ort des Versammlungsgeschehens unterliegt nicht dem Art. 8 GG, aber der Weg dorthin (OVG, aaO S. 393)

  • Zutreffend werden Anforderungen an die Konkretheit der Gefahrenprognose gestellt. Nicht nach einer Art Rasenmäherprinzip alle ansprechen, die irgendwie in betracht kommen, ist rechtmäßig, sondern nur diejenigen, bei denen man aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon ausgehen kann, das diese bei der in Bezug genommenen Versammlung unfriedlich werden könnten (OVG aaO S. 394). Es ist keine Ruhmestat für einen Rechtsstaat, dass dieses Grundrecht immer wieder durch Entdifferenzierung in seiner Substanz gefährdet wird. Immerhin erfolgt die Korrektur durch ein Gericht.

  • Überraschend wird die Generalklausel des niedersächsischen Polizeigesetzes herangezogen (OVG aaO S. 393). Ohne jede weitere Begründung wird diese als ausreichende Rechtsgrundlage für einen Eingriff in Art. 8 GG angesehen. Alle Meinungen, die auf die Polizeifestigkeit des Art. 8 GG oder auf den abschließenden Charakter des Versammlungsgesetzes hinweisen, werden schlicht ignoriert. Für den Ausgang dieses Verfahrens ist es von untergeordneter Bedeutung, weil das Gericht ja die Rechtswidrigkeit des Gefährderanschreibens bejaht hat, aber grundsätzlich sind gegen diesen Ansatz erhebliche Einwände zu erheben. Die Generalklausel eines Polizeigesetzes kann aus den genannten Gründen alleine niemals ausreichen, einen Eingriff in Art. 8 GG zu rechtfertigen. Mindestens müsste man mit den so genannten Minusmaßnahmen arbeiten.

Auch nach zwanzig Jahren sind die Erkenntnisse des Brokdorf-Urteils nicht in vollem Umfang in die Rechtsprechung der Instanzgerichte eingegangen.

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