Betriebliche Übung - wie funktioniert das eigentlich?

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Ansprüche des Arbeitnehmers auf eine bestimmte Leistung können auch ohne schriftliche Regelung entstehen

Viele haben es schonmal erlebt: Jedes Jahr gibt es Sonderzuwendungen und dann plötzlich nicht mehr. Oder Regelungen, die bisher galten, werden einfach umgeschmissen, obwohl man drauf vertraut hat. Rechtsanwalt Greif klärt im Gespräch mit 123recht.de auf, wann ein Anspruch aus betrieblicher Übung entsteht und wie er beseitigt werden kann.

123recht.de: Betriebliche Übung hat man schon einmal gehört, aber was ist das eigentlich genau?

Rechtsanwalt Greif: Dieser Begriff bezeichnet letztendlich die Folge des Verhaltens eines Arbeitgebers. Aufgrund dieses Verhaltens kann zu Gunsten des Arbeitnehmers ein durchsetzbarer Rechtsanspruch auf eine bestimmte Leistung entstehen. Als Beispiel hierfür kann die wiederholte Zahlung von Weihnachtsgeld am Ende eines Jahres benannt werden. Der Arbeitgeber hat z.B. in den Jahren 2013, 2014 und 2015 mit der Lohnabrechnung für November jeweils ein Weihnachtsgeld in Höhe von 200,00 € brutto abgerechnet und ausgezahlt. Eine schriftliche Vereinbarung über einen Anspruch auf Zahlung von Weihnachtsgeld bestand nicht. Im Jahr 2016 erfolgt keine Zahlung. Aufgrund der so genannten betrieblichen Übung kann der Arbeitgeber dann aber durchaus verpflichtet sein, dem Arbeitnehmer auch im November 2016 ein Weihnachtsgeld zu zahlen.

Mindestens dreimal muss eine Leistung gewährt sein, um eine betriebliche Übung entstehen zu lassen

123recht.de: Wie entsteht eine betriebliche Übung konkret? Was sind die Voraussetzungen?

Rechtsanwalt Greif: Im Falle des bereits benannten Weihnachtsgeldes kann eine betriebliche Übung dann entstehen, wenn der Arbeitgeber z.B. drei Jahre in Folge ohne Freiwilligkeitsvorbehalt eine entsprechende Zahlung an den Arbeitnehmer leistet. Der Arbeitnehmer kann dann in der Regel darauf vertrauen, dass das Weihnachtsgeld auch weiterhin gezahlt wird. Allerdings muss beachtet werden, dass keine allgemeinverbindliche Regel besteht, ab welcher Anzahl von Leistungen ein Arbeitnehmer darauf vertrauen darf, dass er die Leistung weiterhin erhält. Es muss daher stets der konkrete Einzelfall betrachtet werden. Dabei ist u.a. auf die Art, Dauer und den Umfang der Leistung abzustellen.

123recht.de: Wo ist der Unterschied zwischen betrieblicher Übung und Gewohnheitsrecht?

Rechtsanwalt Greif: Grundsätzlich besteht kein Unterschied. Die betriebliche Übung ist ein Fall des Gewohnheitsrechts.

Arbeitnehmer sollte sich mit Prüfung einer betrieblichen Übung nicht zu viel Zeit lassen

123recht.de: Worüber, also in welchen Bereichen, kann überhaupt betriebliche Übung entstehen?

Rechtsanwalt Greif: Eine betriebliche Übung kann in sehr vielen Bereichen eines Arbeitsverhältnisses entstehen. In der Regel ist die betriebliche Übung immer dann von Bedeutung, wenn Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nicht ausdrücklich geregelt sind, also keine Anspruchsgrundlage für den Arbeitnehmer besteht. Beispielhaft können hierfür benannt werden: Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld, Regelungen zur Weiterbildung und den damit verbundenen Kosten, Regelungen zur Abgabe einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder die Gewährung eines kostenfreien Parkplatzes auf dem Betriebsgelände.

123recht.de: Was kann ein Arbeitnehmer tun, wenn es eine betriebliche Übung gibt, die dann aber einfach nicht mehr vom Arbeitgeber fortgeführt wird?

Rechtsanwalt Greif: In diesem Fall ist es vorzugwürdig, einem im Arbeitsrecht spezialisierten Rechtsanwalt oder einem Fachanwalt für Arbeitsrecht den Sachverhalt zu schildern, der dann das Vorliegen einer betrieblichen Übung prüft. Liegen die Voraussetzungen vor, kann der Arbeitgeber außergerichtlich zur Zahlung aufgefordert werden. Leistet der Arbeitgeber auch dann keine Zahlung, besteht die Möglichkeit, eine Klage beim örtlich zuständigen Arbeitsgericht einzureichen. Der Arbeitnehmer sollte sich aber mit der Prüfung und möglichen Geltendmachung nicht zu viel Zeit lassen. Insbesondere dann nicht, wenn der Arbeitsvertrag und/oder Tarifvertrag so genannte Ausschlussfristen enthält, also Fristen innerhalb derer etwaige Ansprüche nur gelten gemacht werden können.

123recht.de: Wie geht er am besten vor, gerade im Hinblick auf einen etwaigen Beweis der betrieblichen Übung?

Rechtsanwalt Greif: Dass eine betriebliche Übung besteht, hat der Arbeitnehmer darzulegen- und zu beweisen. Zunächst hat der Arbeitnehmer darzulegen, dass er in der Vergangenheit wiederholt eine Leistung, z.B. Weihnachtsgeld, erhalten hat. Der Nachweis kann u.a. durch die Vorlage der entsprechenden Lohnabrechnungen erfolgen.

Neu eingetretene Arbeitnehmer können von bereits bestehender Übung profitieren

123recht.de: Wie verhält sich eine betriebliche Übung gegenüber neu eintretenden Arbeitnehmern?

Rechtsanwalt Greif: Auch neu eintretende Arbeitnehmer haben in der Regel Anspruch auf eine betriebliche Übung, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bereits Bestand hatte. Im Arbeitsvertrag muss das Bestehen der betrieblichen Übung nicht benannt werden.

123recht.de: Wie und unter welchen Voraussetzungen kann der Arbeitgeber eine betriebliche Übung beenden?

Rechtsanwalt Greif: Liegen die Voraussetzungen für eine betriebliche Übung vor und bestehen keine Vereinbarungen (z.B. Vorbehalte) über diese betriebliche Übung, dann kann der Arbeitgeber diese nicht ohne Weiteres beseitigen. Insbesondere die einseitige Erklärung durch den Arbeitgeber, dass er zukünftig kein Weihnachtsgeld zahlen werde, reicht nicht aus. In der Regel bedarf es für die Beendigung der betrieblichen Übung der Zustimmung durch den Arbeitnehmer. Verweigert der Arbeitnehmer die Zustimmung, kann der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen. Der Arbeitnehmer hat dann die Möglichkeit, die Änderung gerichtlich überprüfen zu lassen.

123recht.de Vielen Dank Herr Greif!

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