Bahnstreik, Kitastreik - kritischere Überprüfung der Verhältnismäßigkeit erforderlich

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Der erneute, diesmal unbefristete Streik der GDL wird nun doch beendet. Dennoch gilt: Die Rechtmäßigkeit, insbesondere die Verhältnismäßigkeit von Streiks in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wird von den Gerichten künftig kritischer zu prüfen sein.

Es ist ein wichtiges und zu Recht grundrechtlich geschütztes Recht, das Streikrecht. Es ist auch völlig legitim, dass auch kleine Gewerkschaften von diesem Recht exzessiv Gebrauch machen. Dies muss angesichts der auch persönlichen Diffamierungen gegen die Protagonisten noch einmal ausdrücklich betont werden: Der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, hat Recht, wenn er sich auf grundgesetzlich geschützte Rechte beruft. Genauso wichtig, verständlich und auf dem Boden des Grundgesetzes stehen die Forderungen im Zusammenhang mit dem Kita-Streik.

Trotzdem: Das Ergebnis stimmt nicht. Es kann nicht sein, dass die Art der Ausübung grundgesetzlich geschützter Rechte zu einem Stillstand in wichtigen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge und zu Milliardenschäden führt. Das ist auch gar nicht notwendig. Das Problem bisher ist, dass die Arbeitsgerichte bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Streiks und damit von deren Rechtmäßigkeit die durch die jeweiligen Streiks verursachten Probleme für Dritte nicht ausreichend berücksichtigen. Auch hier sind nämlich Grundrechte betroffen. Nicht ausreichend Berücksichtigung finden auch übergeordnete gesellschaftliche Interessen, wie zum Beispiel das Interesse an einem funktionierenden Bahnverkehr und Kitabetrieb.

So stellte zuletzt das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 07. November 2014 – 9 SaGa 1496/14 –, ausschließlich auf die Arbeitskampfparität ab und sah diese als nicht in einem solchen Maß gestört, dass der Streik rechtswidrig wäre.

Das Landesarbeitsgericht: Das Tarifvertragssystem ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen. Funktionsfähig ist die Tarifautonomie nur, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Gleichgewicht (Parität) besteht. Unvereinbar mit Art. 9 Abs. 3 GG wäre eine Ausgestaltung daher jedenfalls dann, wenn sie dazu führte, dass die Verhandlungsfähigkeit einer Tarifvertragspartei bei Tarifauseinandersetzungen einschließlich der Fähigkeit, einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, nicht mehr gewahrt bliebe und ihre koalitionsmäßige Betätigung weitergehend beschränkt würde, als es zum Ausgleich der beiderseitigen Grundrechtspositionen erforderlich ist (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 20, NZA 2007, 1055). Die Kampfstärke von Koalitionen hängt von einer im Einzelnen kaum überschaubaren Fülle von Faktoren ab, die in ihren Wirkungen schwer abschätzbar sind (vgl. BAG 19. Juni 2007 – 1 AZR 396/06 – Rn. 20, NZA 2007, 1055).

Das Problem im Fall eines Bahnstreiks: Die GDL kann als relativ kleine „Spartengewerkschaft" eine besonders große Wirkung erzielen. Die Bahn kann dem wenig entgegensetzen. Die klassische Antwort einer Aussperrung weitere Arbeitnehmer als Druckmittel scheidet aus. Art. 87e Abs. 4 GG und § 10 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes (AEG) verpflichten die Bahn nämlich, den Betrieb am Laufen zu halten.

Das Landesarbeitsgericht begründete damals: Die Kammer sieht die Schwelle, ab der die Parität der Tarifvertragsparteien ernsthaft in Frage gestellt würde, im vorliegenden Fall noch nicht erreicht. Der Streik war zeitlich auf fünf Tage befristet. Es war ein Notdienst und ein eingeschränkter Bahnverkehr gewährleistet. Dies spricht dafür, dass es der Bahn zumutbar erscheint, ggf. die Folgen eines Arbeitskampfes in einem begrenzten Zeitraum schlichtweg hinzunehmen, ohne selbst zu Arbeitskampfmitteln zu greifen.

Die weiteren Folgen für die Allgemeinheit wurden bei der Abwägung unberücksichtigt gelassen. Das gilt es zu überdenken. Diese Folgen, insbesondere auch der Imageschaden, der bei jedem Streik dem gesamten Bahnbetrieb verpasst wird, haben gesellschaftlich unerwünschte Auswirkungen, wie die Flucht von der Schiene auf die Straße. Nicht umsonst nutzt eine bekannte Mietwagenfirma den Bahnstreik zu Werbezwecken.

Es bleibt daher zu hoffen, dass Gerichte künftig strenger und gründlicher prüfen. Auch und gerade das Streikrecht kann nicht um jeden Preis ausgeübt werden. Das gilt insbesondere dort, wo auf der anderen Seite nicht nur der Arbeitgeber, sondern die gesamte Gesellschaft steht.

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