Abgrenzung von Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit bei Pflegekräften

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Scheinselbstständiger Arbeitnehmer oder tatsächlich selbstständig

Die Entwicklung geht immer mehr dahin, dass Selbstständige Tätigkeiten ausüben, die traditionell von Arbeitnehmer ausgeführt wurden. Doch nicht immer handelt es sich dann wirklich um Selbstständige – oft sind die Mitarbeiter tatsächlich scheinselbstständige Arbeitnehmer. Relevant ist die Unterscheidung etwa für die Frage, ob die betroffenen Mitarbeiter Kündigungsschutz genießen. Bei Selbstständigen ist das nicht der Fall, Scheinselbstständige haben dagegen als Arbeitnehmer Kündigungsschutz. Bei Pflegeberufen wie Altenpflege oder Krankenpflege ist die Abgrenzung besonders wichtig.

Wichtiges Urteil zur Abgrenzung

In einem Urteil vom 10. Dezember 2012 – L 2 R 13/09 – hat das Landessozialgericht Hamburg Ausführungen zu den wesentlichen Abgrenzungskriterien gemacht. Wissen muss man dazu, dass im Sozialrecht der Begriff des Beschäftigten maßgeblich ist und nicht der des Arbeitnehmers. Diese Begriffe sind nicht identisch, die jeweiligen Argumente aber sehr ähnlich und deswegen auch durchaus auf Streitigkeiten im Arbeitsrecht übertragbar.

Bei Pflegekräften grundsätzlich beides möglich

Die Tätigkeiten des Altenpflegers oder Krankenpflegers können grundsätzlich als Selbstständiger wie auch als Arbeitnehmer ausgeübt werden. Dazu das Landessozialgericht: Dass der Gesetzgeber in § 2 S 1 Nr. 2 SGB VI selbst anerkennt, dass Pflegepersonen selbstständig sein können, führt nicht dazu, die Grundsätze der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit zu suspendieren.

Entscheidende Kriterien persönliche Abhängigkeit, Eingliederung in einen fremden Betrieb und Weisungsgebundenheit

Der Arbeitnehmer muss in persönlicher Abhängigkeit zum Arbeitgeber stehen, damit es sich um Scheinselbstständigkeit und damit eine versicherungspflichtige Tätigkeit handelt. Dazu das Gericht: Dies verlangt Eingliederung in einen fremden Betrieb und Weisungsgebundenheit. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitskraft gekennzeichnet. Der Pflegeberuf bringt es naturgemäß mit sich, dass in enger Abstimmung mit Dritten und an vorgegebenen Örtlichkeiten die Leistungen erbracht werden müssen. Das allein führt noch nicht zwingend zu einer Scheinselbstständigkeit bzw. zur Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses. Es muss allerdings bei den Kriterien, die nicht zwingend durch die Art und Weise der Leistungserbringung bedingt sind, umso genauer darauf geachtet werden, ob diese typische Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses oder einer Selbstständigkeit verwirklichen.

Bei Entscheidungsspielraum nicht immer Selbstständigkeit

Um Scheinselbstständigkeit zu vermeiden, werden die Verträge in der Praxis oft so ausgestaltet, dass die Selbstständigen gewisse Entscheidungsspielräume haben. Doch das hilft nicht immer. Dazu das Gericht: Auch abhängig Beschäftigten verbleibt in ihrer Tätigkeit typischerweise ein Entscheidungsspielraum, auf unvorhergesehene Situationen nach eigenem Ermessen zu reagieren.

Nicht alle typischen Risiken für Selbstständige verhindern eine sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung

Häufig werden den Pflegekräften typische unternehmerische Merkmale verschafft. Insbesondere wird ihnen das Unternehmerrisiko zugesprochen. Dazu das Landessozialgericht: Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass der Pflegekraft für einen Beschäftigten untypische Belastungen und Risiken auferlegt werden, wie z. B. fehlende Lohnfortzahlung bei Arbeitsausfall und im Krankheitsfall oder kein Urlaubsanspruch. Das bedeutet noch nicht, dass derartige Kriterien völlig relevant sind. Sie führen umgekehrt in der Praxis dazu, dass zum Beispiel bei Urlaub, Entgeltfortzahlung bei Krankheit usw. in jedem Fall ein Beschäftigungsverhältnis angenommen wird.

Täuschungsversuche riskant

Völlig unerheblich sind regelmäßig Kriterien, die nur auf dem Papier verwirklicht werden bzw. von einer Partei gegenüber der anderen behauptet werden. Dazu das Landessozialgericht: An einer Eingliederung in einen fremden Betrieb ändert nicht, wenn die Pflegekraft dem Auftraggeber gegenüber den Anschein erweckt, sie sei Inhaber eines nach § 132 SGB V zugelassenen Pflegedienstes mit eigenen Mitarbeitern, um einen besonders hohen Stundenlohn zu erhalten. Das ist für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung ohne Bedeutung. Gelegentlich wirken auch Auftraggeber und Pflegekraft zunächst einvernehmlich an einer Vortäuschung der Selbstständigkeit mit. Auch das ist letztlich bei einer späteren Beurteilung irrelevant. Insbesondere der Auftraggeber kann sich damit aus der Haftung nicht herausreden.

Behandlung durch das Finanzamt nicht relevant

Wie das Finanzamt die von der Pflegekraft erzielten Einkünfte bewertet, spielt für die Frage des Vorliegens einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung keine Rolle. Dazu das Gericht: Zwischen arbeits- und sozialrechtlicher Einordnung von Einkünften einerseits und steuerrechtlicher Bewertung andererseits besteht ebenso wenig eine Bindung wie umgekehrt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bewertung durch das Finanzamt vielleicht sogar zutreffend ist. Die sozialversicherungsrechtliche, finanzamtliche und arbeitsrechtliche Beurteilung der Begrifflichkeit kann durchaus voneinander abweichen.

Quelle des zitierten Urteils

Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 10. Dezember 2012 – L 2 R 13/09 –, juris.

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