1:1 in der Frage der obligatorischen Erfassung von Fingerabdrücken in Reisepässen

Mehr zum Thema: Grundrechte, Verfassung, Erfassung, Reisepass, Datenschutz, Europäischer Gerichtshof, Fingerabdruck
4,67 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
9

VG Gelsenkirchen legt Frage der obligatorischen Erfassung von Fingerabdrücken im Reisepass dem Europäischen Gerichtshof vor

Im Dezember 2004 verabschiedete der Europäische Rat die Verordnung (EG) 2252/2004. Diese legt fest, dass in allen (nicht vorläufigen) Reisepässen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union Fingerabdrücke der Passinhaber zu speichern sind. Daraufhin wurde im Jahr 2007 in der Bundesrepublik das Passgesetz geändert.

Mit Urteil vom 14. September 2011 entschied das Verwaltungsgericht Dresden (Az. 6 K 1234/09), dass die obligatorische Erfassung von Fingerabdrücken in Reisepässen weder gegen Europarecht noch gegen das Grundgesetz verstoße.

 Zu einer anderen Einschätzung gelangt nunmehr das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen in einem Beschluss vom 15. Mai 2012 (Az. 17 K 3382/07). Das VG Gelsenkirchen verweist zunächst darauf, dass Zweifel bestehen, ob die Europäische Union vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Kompetenz hatte, passrechtliche Regelungen zu treffen. Weiterhin verweist das Gericht auf Zweifel an der demokratischen Legitimierung der Entscheidung des Europäischen Rates. Zwar musste das Europäische Parlament der Verordnung nicht ausdrücklich zustimmen, jedoch fehlte es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Europäischen Parlaments. Denn das Parlament wurde lediglich zur Frage der fakultativen Aufnahme der Fingerabdrücke in Reisepässe angehört; die Entscheidung zur obligatorischen Speicherung wurde erst nach Anhörung des Europäischen Parlaments getroffen. Weiterhin äußert das Verwaltungsgericht berechtigte Zweifel an der Vereinbarkeit der Verordnung mit den europarechtlichen Grundrechten auf Schutz persönlicher Daten und auf Privatsphäre. Insoweit verweist das Gericht auf geäußerte Bedenken von Kritikern der Regelung, wie die hohe Fehlerrate bei Grenzkontrollen sowie die Angriffsanfälligkeit gegen unbefugtes Auslesen der Daten. Wegen des geringen Sicherheitsgewinns sei als verhältnismäßige Alternative die Verwendung herkömmlicher Reisepässe mit hohen Sicherheitsstandards, wie sie frühere deutsche Reisepässe aufwiesen, in Betracht zu ziehen.

Aufgrund dieser Bedenken legte das Verwaltungsgericht die Frage der Gültigkeit von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG) 2252/2004 dem Europäischen Gerichtshof vor. Die Entscheidung hat zunächst keine Auswirkung auf die Ausstellungspraxis der Behörden, da die obligatorische Speicherung von Fingerabdrücken in § 4 Abs. 3, Abs. 4 Passgesetz festgeschrieben ist. Falls der Europäische Gerichtshof zu der Auffassung gelangt, dass die Verordnung (EG) 2252/2004 unwirksam ist, wäre in einem zweiten Vorlageverfahren die Verfassungsmäßigkeit von § 4 Abs. 3 Passgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen. Bis zur Klärung dieser Frage besteht unter Umständen noch mehrere Jahre keine Rechtssicherheit.