Viele wollen freiwillig in den Knast......

28. Mai 2017 Thema abonnieren
 Von 
PascalWXP
Status:
Frischling
(22 Beiträge, 3x hilfreich)
Viele wollen freiwillig in den Knast......

Achtung, dieser Post ist Satire, aber ich musste mir bei meiner Arbeit als Streetworker von meinen Klienten diesen Wunsch oft anhören. Deshalb erzähle ich mal aus der Sicht meiner Schützlinge um auf einen gravierenden Misstand hinzuweisen:

Mein Leben läuft im Moment nicht so gut. Ich lebe seit jahren in Berlin in einer städtischen Notunterkunft und die Bedingungen dort sind einfach menschenunwürdig. Eine normale Wohnung zu bekommen ist für mich wegen negativer Schufa und dem angespannten Wohnungsmarkt so gut wie unmöglich. In dieser Unterkunft sind keine Duschen vorhanden, um auf die Toilette zu gehen muss ich 2 Stockwerke tiefer. Wände sind teilweise verschimmelt und alles ist einfach nur dreckig. Es sind 5 weitere Personen auf meinem Zimmer, die machen ständig Lärm, man kann nicht schlafen. Mir reicht es so langsam wie ein Tier hier leben zu müssen. Ein Mitbewohner der gerade aus dem Knast entlassen worden ist, hat mir von den Unterbringunsstandards in der JVA erzählt. Die Lebensbedingungen dort sind um einiges besser als hier. Er würde am liebsten wieder dort "einchecken". Die leben dort zwar nicht in Freiheit, aber das Leben was ich hier führen muss, hat auch wenig mit Freiheit zu tun. In der JVA sind maximal 2 Personen auf einer Zelle untergebracht, die Zellen sind sauber und es sind saubere sanitäre Anlagen in jedem Zimmer vorhanden. Für Essen wird täglich gesorgt und das Essen soll garnicht so schlecht sein, denn die JVA Beamte essen selber täglich davon. Man hat eine einigermaßen geornete Tagesstruktur dort und das Niveau ist um einiges höher als in dieser Notunterkunft. Man kann eine Ausbildung dort machen und sein Leben in den Griff bekommen. Lange Rede kurzer Sinn: Ich will da rein. Jetzt meine Frage an die Juristen unter Euch: Was muss ich tun, um direkt etwa 3 Jahre ohne Bewährung zu bekommen, ohne anderen Menschen einen großen Schaden zuzufügen? Ich will keinen ausrauben oder so, sondern einfach nur meine Unterbringungssituation verbessern.

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9 Antworten
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#1
 Von 
dessteffal
Status:
Schüler
(181 Beiträge, 72x hilfreich)

Ich würde diese Gesprächsrichtung einschlagen:
"direkt 3 Jahre" ist ein ganz schön fauler Ansatz: mit vielen kleinen Straftaten kann man sich mit der Zeit auch einen Aufenthalt "erarbeiten". Schließlich bekommt man den Knast nicht "geschenkt", da darf man sich dann schon dafür anstrengen. Zb die Gesetze lesen und sich einarbeiten in die Strafen. Auch "ind Gefängnis gehen" ist halt "Arbeit"

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#2
 Von 
drkabo
Status:
Weiser
(16464 Beiträge, 9282x hilfreich)

Die Vorfreude auf die JVA dürfte aber im Regelfall verfliegen, wenn man erfährt, dass man da
- arbeiten muss
- kein Smartphone haben darf
- kein Internetanschluss verfügbar ist
- nach 18 Uhr keine Freunde treffen kann

Signatur:

Für alle meine Beiträge gilt §675(2) BGB.

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#3
 Von 
PascalWXP
Status:
Frischling
(22 Beiträge, 3x hilfreich)

Zitat (von drkabo):
Die Vorfreude auf die JVA dürfte aber im Regelfall verfliegen, wenn man erfährt, dass man da
- arbeiten muss
- kein Smartphone haben darf
- kein Internetanschluss verfügbar ist
- nach 18 Uhr keine Freunde treffen kann


- Viele wollen sogar arbeiten, kriegen aber draußen keinen Job. Und diejenigen die aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten können, werden in der JVA von der Arbeit freigestellt bzw. es wird nach einer leidensgerechter Tätigkeit gesucht.
- Ein Smartphone können sich viele Leute die dort wohnen eh nicht leisten. Es ist auch sehr schwierig in solchen Notunterkünften ein Smartphone zu betreiben, da die Dinger spätestens nach 1 Woche geklaut werden. Denn man hat keine Möglichkeit sein Hab und Gut über Nacht irgendwo wegzuschließen.
- Um Freunde zu treffen gibt es Umschlusszeiten. Klar ist nach 18 Uhr Schluss. Aber man hat dann wenigstens ein Menschenwürdiges Dach über dem Kopf.

Ich denke mal keine Wohnung zu haben ist ein sehr harter Schicksalsschlag, der mit einer Inhaftierung in einer JVA zumindest vom "Straffaktor" vergleichbar ist. Wer auf der Strasse lebt ist eine ganz arme Sau. Obdachlose stehen in der Hierarchie der Gesellschaft noch weit unter denen von Strafgefangenen. Weil sonst würden die Unterbringungsstandards niemals so weit unter der einer JVA liegen. Das Problem ist der Regierung bekannt, aber sie unternimmt dagegen nichts. Eine JVA ist für diese Leute nichts anderes, als ein niederschwelliges Angebot für Wohnraum.

Man sollte mal definieren was Freiheit überhaupt ist? Freiheit ist doch unter den Bedingungen unter denen Obdachlose leben müssen nix wert.

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#4
 Von 
salkavalka
Status:
Lehrling
(1587 Beiträge, 976x hilfreich)

Ich kann mir keine Straftat vorstellen, die direkt in einer dreijährigen Freiheitsstrafe endet und keinem anderen Menschen einen größeren Schaden zufügt.

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#5
 Von 
guest-12331.10.2017 22:18:45
Status:
Praktikant
(696 Beiträge, 309x hilfreich)

Negativer Schufa -Eintrag ist unwichtig,solange die Agentur die Miete zahlt.

Ansonsten werde ich keine Antwort geben auf letzte Frage, da dies für mich keine Satire ist.

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#6
 Von 
PascalWXP
Status:
Frischling
(22 Beiträge, 3x hilfreich)

Zitat (von Situla):
Negativer Schufa -Eintrag ist unwichtig,solange die Agentur die Miete zahlt.

Ansonsten werde ich keine Antwort geben auf letzte Frage, da dies für mich keine Satire ist.


Mit negativer Schufa bekommt man zwar von der Arge die Miete bezahlt, aber was nützt das, wenn es keine Vermieter mehr gibt, die solche Menschen als Mieter wollen? Auf eine Wohnung bewerben sich 100 Leute. Für eine Sozialwohnung gibt es sehr lange Wartelisten und da werden Familien mit Kindern bevorzugt. Viele Menschen hängen seit Jahren in solchen Notunterkünften(Rattenlöcher) fest.

1x Hilfreiche Antwort

#7
 Von 
Volkmar
Status:
Frischling
(13 Beiträge, 3x hilfreich)

Manchen Wert lernt mancher wohl erst richtig zu schätzen, wenn man ihn verloren hat. Freiheit könnte dazu gehören.

Ich will nicht in Zweifel ziehen, dass Obdachlosigkeit mit all ihren Folgen eine dramatische Erfahrung ist. Ich glaube aber, dass man auf einem Irrweg ist, würde man die Freiheit gegen den Komfort einer JVA eintauschen wollen.

Es gibt ganz sicher intelligentere Strategien, etwas zu ändern.

Auch wenn es opportun erscheint, die Regierung für alles mögliche verantwortlich zu machen - für die Sauberkeit in einer Notunterkunft ist das wohl ziemlich weit hergeholt.

Ich würde Klienten, die solche Argumentationsstränge vortragen, in Richtung eigener Verantwortung und damit einhergehendem Veränderungspotential beraten.

1x Hilfreiche Antwort

#8
 Von 
!!Streetworker!!
Status:
Unbeschreiblich
(30226 Beiträge, 9517x hilfreich)

Tach Kollege...

..wobei ich aufgrund dessen

Zitat:
Lange Rede kurzer Sinn: Ich will da rein. Jetzt meine Frage an die Juristen unter Euch: Was muss ich tun, um direkt etwa 3 Jahre ohne Bewährung zu bekommen, ohne anderen Menschen einen großen Schaden zuzufügen? Ich will keinen ausrauben


eher davon ausgehe, dass Du selbst der "Wohnheimbewohner" bist. Aber sei es drum...

Kurz zu mir: Ich bin seit 20 Jahren Sozialarbeiter in der Straffälligen- und Haftentlassenenhilfe angegliedert an den Justizsozialdienst in Niedersachsen. Die ersten 6-7 Jahre davon war ich u.a. auch als Streetworker unterwegs. Weiterhin habe ich mehrere Jahre ein kleines Übergangswohnheim für Haftentlassene (bzw. die Abteilung Übergangswohnen meiner Dienststelle) gemeinsam mit einer Kollegin geleitet.

Ich habe in den 20 Jahren niemanden getroffen, der kommuniziert hätte lieber wieder in den Knast zu wollen, als in Freiheit zu bleiben. Ohne Frage gibt es Leute, die aufgrund der Tatsache dass Sie mehr Zeit ihres Lebens im Knast verbracht haben als draussen, drinnen besser klarkommen als draussen. Dass liegt aber nicht an der schlechten Unterbringung "draussen", sondern daran, dass sie es nicht hinbekommen (auch nicht unter "normalen Bedingungen" mit eigener Wohnung usw.) draussen ein "normales" Leben zu führen, wenn man Ihnen nicht ganz klare Regeln und Strukturen vorgibt und entsprechende Regelverstöße nicht direkt zu Konsequenzen führen. Solch ein "enges Korsett" (so eng wie sie es bräuchten) ist aber mit einem selbstbestimmten Leben in Freiheit nicht vereinbar. Letztendendes ist es bei -zumindest einem guten Teil- dieser Leute dann oft so, dass sie ihre Zeit draussen als "Urlaub" (vom Knast) ansehen, den sie sich durch weitere Straftaten bzw. das dadurch erlangte Geld "luxuriös" gestalten (wobei der Begriff Luxus da etwas anders besetzt ist, als bei "Normalbürgern") und wenn es dann irgendwann zuende ist (beendet durch Polizei/Jusitz), ist es halt so. "Angst" vor dem Knast oder davor wieder rein zu müssen haben die nicht (mehr).



Zitat:
Ich lebe seit jahren in Berlin in einer städtischen Notunterkunft und die Bedingungen dort sind einfach menschenunwürdig. Eine normale Wohnung zu bekommen ist für mich wegen negativer Schufa und dem angespannten Wohnungsmarkt so gut wie unmöglich.


Auch in Berlin wird es sicherlich bessere Unterkünfte für Wohnungslose geben, als die beschriebene. Es wäre ja vielleicht auch Deine Aufgabe als Sozialarbeiter für Deinen Klienten einen solchen zu organisieren, zumal wenn der Klient Eigeninitiative zeigt, seine Situation verbessern zu wollen. Als berliner Streetworker ist Dir ja garantiert die Freie Hilfe Berlin e.V. bekannt. Auch dort bekommt man meiner Erfahrung nach gute Hilfe. Davon abgesehen herrscht Freizügigkeit in Deutschland und Europa. Niemand ist daran gehindert Berlin zu verlassen und in eine Ecke des Landes zu ziehen, wo die Situation entspannter ist. Die "fürs Amt" notwendige Begründung ist Formsache. Wenn man keine Umzugshilfe will/braucht (Obdachlose haben in der Regel wenig Möbel ;) ) kann man zur Not auch ganz drauf verzichten. Das Problem mit Wohnung wg. negativer Schufa usw. habe ich hier vor Ort auch. Dennoch bekomme ich jeden(!) früher oder später in einer adäquaten Wohnung unter (sicherlich keine Villa in Hanglage mit im Winter beheiztem Swimming-Pool, aber eben eine "normale" 1-2 Zimmer Wohnung). Wenn es scheitert, dann eher daran, dass der Klient zum Besichtungstermin morgens um halb neun mit 3 Promille Alkohol im Blut aufläuft oder noch das Blut vom gerade gesetzten Druck den Unterarm herunterläuft oder an der Frage, ob denn der Vermieter was dagegen hätte, dass er seine 5 Hunde mitbringen möchte usw.

Auch kein Geheimnis ist, dass viele Obdachlose ein Suchtproblem haben. Wenn das auch hier der Fall ist, wäre -statt Knast- vielleicht eine entsprechende stat. Therapie sinnvoll an die sich eine Adaptionsphase anschliesst und ein soziales Umfeld und soziale Strukturen geschaffen oder reaktiviert werden und man sozusagen einen "Neustart" hingestellt bekommt. Auch hier wäre es Dein Job einen entsprechend motivierten Klienten zu unterstützen.

Zitat:
Ein Mitbewohner der gerade aus dem Knast entlassen worden ist, hat mir von den Unterbringunsstandards in der JVA erzählt. Die Lebensbedingungen dort sind um einiges besser als hier. Er würde am liebsten wieder dort "einchecken".


Dann wird er wahrscheinlich nicht in Tegel eingesessen haben, sondern eher in z.B. Hakenfelde. In Tegel würde wohl kaum ein normaler Mensch "gerne wieder einchecken". Wie schon gesagt: Es ist Dein Job, dem Klienten Alternativen zum Knast aufzuzeigen (z.B. betreutes Wohnen oder wie oben schon gesagt ggf. Therapie), ihn ensprechend "auf die Bahn zu setzen" und zu begleiten, bzw. die Voraussetzungen zu schaffen. Unabdingbar ist natürlich eine Eigenmotivation des Klienten sein Leben zu verbessern. Ohne eine solche bringt es alles nichts. Und "nur" eine Wohnung zu haben nützt dann auch nichts.


Zitat:
Was muss ich tun, um direkt etwa 3 Jahre ohne Bewährung zu bekommen, ohne anderen Menschen einen großen Schaden zuzufügen? Ich will keinen ausrauben oder so,


3 Jahre netto gibt es nicht für "Lutscherklauen"...

Wie gesagt... ich denke, dass Du selbst dieser Wohnheimbewohner bist. Such Dir einen engagierten Sozialarbeiter in einer Einrichtung für Obdachlosenhilfe (in Berlin gibt es davon ja nun genug), der Dir Alterativen aufzeigt und der Dir dabei hilft, den Weg zu ebnen. Wobei .-ich wiederhole mich- Eigenmotivation unabdingbar ist. Und glaub mir eins: Den Wert der Freiheit (jederzeit dahin zu gehen, wo man will, oder es zu lassen, kack*n gehen zu können ohne das der Zellennachbar zuschaut usw.) weiß man erst zu schätzen, wenn man sie nicht mehr hat ...






-- Editiert von !!Streetworker!! am 28.05.2017 17:08

6x Hilfreiche Antwort

#9
 Von 
fb367463-2
Status:
Schlichter
(7422 Beiträge, 3088x hilfreich)

Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!!! Leider kann ich nur 1x Like drücken.

Signatur:

"Valar Morghulis"

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