Europäischer Haftbefehl und Auslieferung

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Keine Einbeziehung anderer Straftaten wegen Spezialitätsgrundsatz

Ist der Angeklagte nur zur Verfolgung der im Europäischen Haftbefehl bezeichneten Straftaten von einem EU-Mitgliedsstaat ausgeliefert worden und hat der Angeklagte auch nicht auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes verzichtet, verstößt die Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus einem früheren Urteil in die Gesamtfreiheitsstrafe gegen den Grundsatz der Spezialität (Art. 83h Abs. 1 IRG).

Rechtliche Einordnung

Die Entscheidung des BGH zum internationalen Strafrecht betrifft die Frage, wegen welcher Taten ein von einem EU-Mitgliedsstaat ausgelieferter Angeklagter verurteilt werden kann.

Im Recht der Auslieferung stellt § 83h Abs. 1 IRG (Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen) den sog. Spezialitätsgrundsatz wie folgt auf:

Von einem Mitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergebene Personen dürfen

1. wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Tat als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden und

2. nicht an einen dritten Staat weitergeliefert, überstellt oder in einen dritten Staat abgeschoben werden.

Nach dem Wortlaut von Abs 1 Nr 1 darf der auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls überstellte Beschuldigte grundsätzlich nur wegen Taten „verfolgt", „verurteilt" oder einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden, die der Übergabe zugrunde lagen. Trotz des Wortlauts der Bestimmung ist nach dem grundlegenden Urteil des EuGH vom 1.12.2008 zu Art 27 Abs 2 RB-EUHb, der insoweit mit dem Text von§ 83h Abs 1 Nr 1 IRG übereinstimmt, davon auszugehen, dass der ihr zu entnehmende Spezialitätsvorbehalt nur die Vollstreckung von freiheitsentziehenden Maßnahmen, also den Vollzug von Untersuchungs- oder Strafhaft oder einer freiheitsentziehenden Maßregel einschließlich einer vorläufigen Unterbringung hindert.

Sachverhalt der Entscheidung

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum schweren Raub in Tateinheit mit Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 15. Juli 2010 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts und eine Verfahrensrüge gestützten Revision.

Konkret geht es um die Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus einem anderen Urteil, da die Strafe aus diesem Urteil bereits vollstreckbar war. Damit stellte sich die Frage, ob gegen § 83h Abs. 1 Nr. 1 IRG verstoßen wird, wenn trotz des Vollstreckungshindernisses der Strafe für die bereits abgeurteilte Tat eine nachträgliche Gesamtstrafe gebildet wird.

Entscheidung des BGH

Der BGH lehnt diese Vorgehensweise ab: Der Angeklagte sei nur wegen der konkret benannten Straftaten von Polen nach Deutschland ausgeliefert worden. Für das bereits rechtskräftige weitere Urteil lag eine Auslieferungsbewilligung nicht vor. Deshalb greife das Vollstreckungshindernis des § 83h IRG, welches auch dann erfüllt sei, wenn die vollstreckbare Strafe lediglich im Rahmen der Gesamtstrafenbildung einbezogen wird.

Der vorgenannte Europäische Haftbefehl erfasst lediglich die im hiesigen Verfahren gegenständliche Straftat unter Einschluss eines weiteren Delikts, hinsichtlich dessen das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden ist. Nur zur Verfolgung dieser Straftaten ist der Angeklagte, der auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes auch nicht verzichtet hat, von der Republik Polen ausgeliefert worden. Eine Auslieferungsbewilligung zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nordhorn liegt bisher nicht vor.

Bei dieser Verfahrenslage verstößt die Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 15. Juli 2010 in die Gesamtfreiheitsstrafe gegen den Grundsatz der Spezialität (Art. 83h Abs. 1IRG). Die Nichtbeachtung des auslieferungsrechtlichen Spezialitätsgrundsatzes bewirkt ein Vollstreckungshindernis. Eine wegen dieses Hindernisses nicht vollstreckbare Strafe darf nicht in eine Gesamtstrafe einbezogen werden (BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2013 – 3 StR 395/12, NStZ-RR 2013, 178; vom 25. Juni 2014 – 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590 mwN). Dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Nordhorn zur Bewährung ausgesetzt worden ist; ein Anwendungsfall der Ausnahmeregelung des § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG liegt insoweit nicht vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Juli 2011 – 4 StR 303/11, NStZ 2012, 100; vom 25. Juni 2014 – 1 StR 218/14, NStZ 2014, 590).

BGH, Beschluss vom 3. März 2015 – 3 StR 40/15

Urheber: Rechtsanwalt Christian Schilling