Was darf Satire?

Mehr zum Thema: Experteninterviews, Satire, Karikatur, Beleidigung, Darstellungsform, Kunstfreiheit, Religion, Beschimpfung, Konsequenzen
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Wie ist Satire rechtlich einzuordnen und welche Rechte haben Personen, die von Satire betroffen sind?

"Alles", antwortete Kurt Tucholsky 1919 auf die ihm gestellte Frage "Was darf die Satire?". Aber ist diese Antwort noch aktuell? Wo liegen die rechtlichen Grenzen, und was ist eine Satire überhaupt? 123recht.de versucht im Interview mit Rechtsanwalt Dr. Newerla - auch vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse - etwas Licht ins (rechtliche) Dunkel zu bringen.

Satire ist ein unbestimmter Begriff

123recht.de: Herr Newerla, was ist Satire?

Danjel-Philippe Newerla
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seit 2008
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Informationstechnologierecht, Fachanwalt für Gewerblicher Rechtsschutz, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
Langener Landstraße 266
27578 Bremerhaven
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Rechtsanwalt Dr. Newerla: Eine fest stehende oder sogar gesetzliche Definition des Begriffs der Satire existiert bislang nicht. Ursprünglich lässt sich das Wort Satire auf die lateinische Bezeichnung „satira" zurückführen, was in etwa so viel bedeutet wie eine „mit Früchten gefüllte Schale".

Im älteren Sprachgebrauch wurde unter diesem Begriff vor allem eine Spottdichtung verstanden, die sich insbesondere auf gesellschaftliche Zu- und Missstände bezogen und diese in verächtlicher oder überspitzter Weise dargestellt hat.

Heutzutage wird der Begriff der Satire sehr viel weiter verstanden. Es handelt sich hierbei vor allem um prosaisch verfasste Texte über gesellschaftliche Zustände und Ereignisse, aber auch in Bezug auf Personen.

Satire ist nicht auf eine bestimmte Darstellungsform beschränkt

123recht.de: Fällt eine Karikatur auch darunter?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Die Satire ist nicht auf eine bzw. wenige Darstellungsformen beschränkt. Theoretisch kann alles als Satire im weiteren Sinne bezeichnet werden, das die typischen Merkmale dieses Genres aufweist, also insbesondere die verächtliche oder überzeichnende Darstellung eines Zustandes, Ereignisses oder einer Person.

Somit kann im Einzelfall auch eine grafische Darstellung, wie etwa die Karikatur einer Person, unter den Satire-Begriff fallen.

123recht.de: Wer entscheidet das im Zweifel, ein Gericht?

Ja, auch die Rechtsprechung hat sich schon häufig mit der Zulässigkeit von satirischen Karikaturen auseinandersetzen müssen z.B. das Landgericht Berlin zur "Schweinchen-Karikatur" (Urteil vom 20.10.2009 , Az. 27 O 705/09) oder das Oberlandesgericht Dresden zur satirischen Nacktdarstellung einer Person der Zeitgeschichte.

Satire kann durch die Kunstfreiheit geschützt sein

123recht.de: Wo ist die Grenze zu einem flachen Witz? Ab wann ist Satire Kunst?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Ob eine Darstellung witzig ist, muss letztendlich derjenige beurteilen, der diese wahrnimmt. Nicht umsonst weiß schon der Volksmund, dass sich über Humor genau wie über Geschmack vortrefflich streiten lässt. Was der eine sehr originell und witzig findet, ist für den anderen vielleicht flach und abgedroschen. Eine klare Trennlinie zwischen einem „guten" und einem „flachen" Witz lässt sich daher meines Erachtens nicht eindeutig bestimmen.

Der zweite Teil der Frage ist genauso schwierig zu beantworten. Als Ausgangssituation müsste geklärt werden, was Kunst überhaupt ist, um anschließend eine Einordnung von Satire vornehmen zu können. Das Bundesverfassungsgericht hat versucht, den Begriff der Kunst zu definieren, was nicht leicht gefallen ist. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht feststellen müssen, dass eine klare und allgemeinverbindliche Definition des Kunstbegriffs nicht möglich ist. Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen drei Kunstbegriffen:

1. Materieller Kunstgriff (BVerfGE 30, 173, 188)

Nach dem sog. materiellen Kunstbegriff kann eine freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen sowie Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden, als Kunst verstanden werden.

2. Formaler Kunstbegriff (BVerfGE 67, 213, 225)

Hiernach liegt dann Kunst vor, sofern das konkrete Objekt einem bestimmten Werktypus zugeordnet werden kann (z.B. Bildhauerei, Gemälde, Oper, etc.).

3. Offener Kunstbegriff (BVerfGE 67, 213, 226)

Mit dem offenen Kunstgriff wollte das Bundesverfassungsgericht bewusst die Tür für neue zukünftige Kunstformen offen lassen. Hiernach kann dann von Kunst gesprochen werden, wenn eine künstlerische Äußerung vorliegt, die einer nicht eingrenzbaren Interpretation zugänglich ist.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen: Es lässt sich nicht pauschal und allgemeinverbindlich festlegen, ob Satire Kunst ist oder nicht. Hier kommt es wieder auf den Einzelfall an. Satire kann also Kunst sein, muss es aber nicht.

Auch Satire darf nicht beleidigen!

123recht.de: Satiriker berufen sich auf die Meinungsfreiheit. Aber wie weit darf diese gehen? Darf man "satirisch" beleidigen?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Wie weit Satire gehen darf ist wieder eine Frage des Einzelfalles. Wie bereits eben ausgeführt kann sich derjenige, der die satirische Darstellung veröffentlicht hat oder dieses vorhat, auf die Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen. Es muss also eine Abwägung zwischen der Kunstfreiheit einerseits und den Rechten (insbesondere allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 1,2 GG) der von der Satire betroffenen Person vorgenommen werden.

Das ist im Einzelfall sicherlich nicht einfach.

Eine Beleidigung, die übrigens eine Straftat darstellt, ist jedenfalls auch nicht unter dem Deckmantel der Satire zulässig.

123recht.de: Darf ich auch konkret Religionen und Würdenträger veralbern? Wie sieht es mit Mohammed-Karikaturen aus?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Dieses ist ein sehr aktuelles und umso sensibleres Thema, was z.B. die aktuellen Vorfälle im Paris im Zusammenhang mit dem Satire-Magazin Charlie Hebdo gezeigt haben. Sicherlich kommt es auch hier wieder auf die konkrete Art der Darstellung an.

Ich persönlich würde aber eindeutig dort die Grenze ziehen (bzw. besser noch vorher), wo sich Zugehörige zu einer bestimmten Religion oder Würdenträger verunglimpft fühlen könnten. Von der Darstellung einer Mohammed-Karikatur würde ich prinzipiell eher abraten.

"Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen ist keine Bagatelle"

123recht.de: Dieter Nuhr wurde bereits einmal wegen der "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen" angezeigt. Was droht bei einer Verunglimpfung?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Auch hier ist natürlich keine pauschale Antwort, die Allgemeingültigkeit beanspruchen könnte, möglich. Die „Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen" ist aber keine Bagatelle, sondern im deutschen Rechts gem. § 166 StGB sogar ein Straftatbestand. Der Gesetzgeber wollte hiermit vor allem den hohen verfassungsrechtlichen Rang des Grundrechts auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Grundgesetz herausstellen und besonders unter Schutz stellen.

Sofern ein Gericht tatsächlich im Einzelfall zu der Überzeugung gelangen sollte, dass der Tatbestand des § 166 StGB erfüllt ist, drohen bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder bei minder schweren Fällen eine Geldstrafe.

"Oft hilft ein ehrliches und klärendes Gespräch"

123recht.de: Was sollte man tun, wenn man sich durch Satire verunglimpft fühlt?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Hier sollten nicht sofort Anwälte und Gerichte beschäftigt werden. Erste „Anlaufstelle" sollte derjenige sein, der die als verunglimpfend empfundene Darstellung veröffentlicht hat. Oft hilft meiner Erfahrung nach ein ehrliches und klärendes Gespräch. Eine Darstellung kann so schneller von einer Internetseite genommen werden, als es jedes Gericht veranlassen könnte.

Es gibt aber leider auch Fälle, in denen gutes Zureden bzw. die Bitte um das Verständnis für die eigene Situation nicht ausreicht. In diesem Fall wäre durchaus zu empfehlen, juristische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Zunächst sollte von einem Anwalt oder einer Anwältin (Schwerpunkt im Medienrecht) geprüft werden, ob die konkrete Darstellungsform der Satire überhaupt zulässig ist. Sollte diese Prüfung ergeben, dass die Satire unzulässig ist, sollte derjenige, der die beanstandete Darstellung veröffentlicht hat, zunächst außergerichtlich zur Entfernung sowie zukünftiger Unterlassung aufgefordert werden.

Erfolgt auch hierauf keine Reaktion, so sollte schließlich gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Oft bietet sich hier die Möglichkeit einer einstweiligen Verfügung, um die betreffenden Darstellungen so schnell wie möglich entfernen zu lassen.

Rechtliche Konsequenzen können auch aus dem Ausland drohen

123recht.de: Der türkische Präsident Erdogan ließ vor einiger Zeit den deutschen Botschafter wegen einer Karikatur in einem deutschem Schulbuch einbestellen. Können Künstlern auch rechtliche Probleme über Landesgrenzen hinweg drohen?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Dies ist theoretisch möglich, es kommt hier vor allem auf den Verbreitungsweg an. Wenn also eine satirische Darstellung über die Landesgrenzen hinaus verbreitet wird, z.B. über das Internet, können auch in einem anderen „Empfängerland" rechtliche Sanktionen drohen. Hier ist z.B. denkbar, dass ein anderes Rechtssystem eine Darstellungsweise verbietet oder sogar unter Strafe stellt, die in Deutschland zulässig wäre bzw. noch von der Kunstfreiheit geschützt wird.

123recht.de: Darf man Markennamen bzw. bekannte Werbeslogans satirisch verwenden oder kann man dadurch vom Unternehmen abgemahnt werden?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: An dieser Stelle passt ein Klassiker unter den juristischen Antworten sehr gut: Es kommt darauf an.

Konkret hängt die Zulässigkeit in diesem Fall nämlich davon ab, ob eine Rechtsverletzung vorliegt. Dieses muss im konkreten Einzelfall geprüft werden, da jeder Fall unterschiedlich zu beurteilen und Satire nicht gleich Satire ist. Eine pauschale Antwort ist daher im Vorfeld leider nicht möglich.

Hierzu möchte ich kurz zwei Beispiele nennen:

Die Verwendung des Markennamens könnte eine Verletzung von Markenrechten darstellen. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine markenmäßige Verwendung, also ein Handeln im geschäftlichen Verkehr. Hat allerdings eine Privatperson den Markennamen im rein privaten Zusammenhang zu satirischen Zwecken verwendet, so scheidet eine Markenrechtsverletzung aus.

In Bezug auf einen Werbeslogan könnte es schon wieder anders aussehen. Hier wäre zu prüfen, ob der Slogan urheberrechtlich geschützt ist, was der Fall ist, wenn er eine gewisse geistige Schöpfungshöhe aufweist, also in gewissem Maße kreativ und individuell ist. Eine Urheberrechtsverletzung ist sowohl durch Unternehmen, als auch durch Privatpersonen möglich, so dass auch ein privater Verbraucher hier Probleme bekommen könnte. Sofern aber der Slogan nur als Anregung dient und im Gesamtkontext einer künstlerischen Satire so eingebettet ist, dass ein neues Gesamtkunstwerk (also bestehend aus Slogan und satirischem Beiwerk) ergibt, so kann dies im Einzelfall dafür sprechen, dass eine Verwendung zulässig sein kann.

Die Verbreitung einer Karikatur kann Urheberrechte verletzen

123recht.de: Karikaturen werden gerne über Soziale Netzwerke verbreitet. Darf man das so einfach?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Sofern jemand (also z.B. ein Verlag oder Künstler) beabsichtigt, eine Karikatur zu veröffentlichen, sollte zunächst geprüft werden, ob die konkrete Darstellung keine Rechte Dritter verletzt, also insbesondere nicht beleidigend ist.

Stellt sich die konkrete Darstellung der Satire nach dieser Prüfung als rechtlich unbedenklich heraus, so steht einer Veröffentlichung über Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und co. grundsätzlich nichts entgegen. Vor der Veröffentlichung sollte schließlich noch geprüft werden, ob die Nutzungsbedingungen der Plattform, auf der der satirische Inhalt veröffentlicht werden soll, gegebenenfalls ein Verbot von Satire vorsieht.

Anders sieht es wiederum aus, wenn ich nicht der Urheber einer Karikatur bin und diese im Internet verbreite. Grundsätzlich können sämtliche Bilder, Grafiken, Zeichnungen, Karikaturen, Texte und Videos dem Urheberechtsschutz in Deutschland unterliegen. Daher sollte man immer wachsam sein, welche Inhalte öffentlich zugänglich gemacht, geteilt oder verlinkt werden, sowohl als Plattformbetreiber als auch Plattformnutzer.

123recht.de: Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung im Zusammenhang mit Satire und Medien?

Rechtsanwalt Dr. Newerla: Sowohl die Presse als auch jeder einzelne von uns selbst hat eine Verantwortung, was den Umgang mit Satire angeht. Spätestens seit Charlie Hebdo sollten wir uns dessen bewusst sein, dass mit Satire verantwortungsvoll umgegangen werden sollte und viel Schaden angerichtet werden kann. Keine Pressefreiheit rechtfertigt verlorene Menschenleben. Daher sollte meiner Meinung nach immer darauf geachtet werden, dass Satire nicht ehrverletzende oder beleidigende Züge annimmt.

123recht.de: Wir bedanken uns ganz herzlich für das Gespräch.

Mit freundlichen Grüßen von der Nordseeküste

Dr. Danjel-Philippe Newerla,Rechtsanwalt

Fachanwalt für IT-Recht
Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht-

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