BU-Rente muss auch bei Wiedereinstieg in Teilzeit weitergezahlt werden

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OLG Stuttgart: Vor Erkrankung Vollzeit, nach Erkrankung nur noch Teilzeit - das ist leidensbedingte Herabsetzung der Arbeitszeit und Verweisung scheidet aus

Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn Versicherten diejenigen Tätigkeiten, die ihre frühere Arbeitstätigkeit ausgemacht haben, aufgrund ihrer Komplexität sowie der körperlichen und geistigen Anforderungen nahezu nicht mehr möglich sind und ansonsten nur noch kleine frühere Tätigkeitsbereiche verbleiben, die noch ausgeübt werden können. Das ist gerade bei Wiedereinstieg ins Berufsleben nach längerer Krankheitspause in Form von Teilzeitarbeit wichtig.

Der Fall: Nach einem Jahr Arbeitsunfähigkeit Wiedereinstieg ins Berufsleben mit Teilzeit

Aufgrund einer Hirnschädigung (Schwindel- und Lähmungserscheinungen) befand sich die Klägerin mehrfach in Rehabilitationsmaßnahmen. Nach einer mehr als einjährigen Arbeitsunfähigkeit vereinbarte sie mit ihrem Arbeitgeber, ab dem 01. Juli 2009 ihre wöchentliche Arbeitszeit von Vollzeit auf 20 Stunden zu reduzieren (Teilzeit). Eine Anfang März 2009 beantragte Berufsunfähigkeitsrente lehnte das beklagte Versicherungsunternehmen ab. Eine 50-prozentige Berufsunfähigkeit komme bei der Klägerin nicht in Betracht. Zudem müsse sie sich auf die nunmehr ausgeübte Tätigkeit in Teilzeit verweisen lassen.

Klausel in den Vertragsbedingungen stellt auf üblichen Prognosezeitraum von 6 Monaten ab

Das OLG Stuttgart stellte klar, dass vorliegend Berufsunfähigkeit vorliegt. Das war deshalb der Fall, weil die Klägerin wegen ärztlich nachgewiesener Krankheit in einer Art Rückschau aller Voraussicht nach mindestens sechs Monate ununterbrochen zumindest 50 Prozent außer Stande war, den von ihr vor Erkrankung ausgeübten Beruf in Vollzeit - so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war - nachzugehen.

Die Begründung des Gerichtes: leidensbedingte Herabsetzung der Arbeitszeit

Den Stuttgarter Richtern kam es auf die Vollzeittätigkeit an, denn die Umstellung von 35 auf 20 Stunden der technische Assistentin war leidensbedingt. Grundlage für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist demnach der Beruf, der zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübt worden ist. Dies ist hier - anders als das beklagte Versicherungsunternehmen annimmt - eine ausgeübte Tätigkeit in Vollzeit. Die Reduzierung der Arbeitszeit erfolgte aus krankheitsbedingten Gründen und war damit leidensbedingt, so dass die neu gestaltete Tätigkeit nicht Grundlage der Beurteilung der Berufsunfähigkeit sein kann. Entscheidend ist dabei, wie die Erwerbstätigkeit des Versicherungsnehmers konkret ausgestaltet war, als er unfähig wurde, sie so fortzusetzen, wie er sie in gesunden Tagen ausgeübt hat. Der Klägerin waren aufgrund der Komplexität und der körperlichen und geistigen Anforderungen diejenigen Tätigkeiten, die ihre frühere Arbeitstätigkeit (in Vollzeit) ausgemacht haben, nahezu nicht mehr möglich. Ihr verblieben bei der Tätigkeit (in Teilzeit) nur ergänzende Zuarbeiten, die sie nur mit großen Zeitaufwand erledigen konnte. Damit war der Kern der vormaligen Tätigkeit weggefallen, eine Berufsunfähigkeit zu bejahen.

Relevanz für die Praxis ist groß, weil Verweisungsklausel häufig vertraglich vereinbart wird

Verweist das Versicherungsunternehmen - etwa im Rahmen der regelmäßigen so genannten Nachprüfungen - auf eine mittlerweile ausgeübte Teilzeittätigkeit, muss Ihr Anwalt klären, wie es zu dieser Teilzeittätigkeit kam. War Auslöser die zur Berufsunfähigkeit führende Krankheit, kann das Versicherungsunternehmen nicht auf die Teilzeittätigkeit abstellen.

Unser Tipp: Sie sind froh, eine monatliche BU-Rente zu erhalten, wollen aber neben der Rente wieder beruflich tätig sein? Lassen Sie sich, bevor Sie irgendwelche Informationen oder Auskünfte erteilen, unbedingt von einem Spezialisten für Berufsunfähigkeitsrecht beraten.

Das Urteil: Oberlandesgericht Stuttgart vom 31. März 2016, 7 U 149/15