Der Tod aus dem Krankenhaus

Mehr zum Thema: Experteninterviews, Krankenhaus, Krankenhausmörder, Mord, fahrlässig, Patientenakte, Exhumierung
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Ein Pfleger aus Norddeutschland wurde wegen mehrfachen Mordes verurteilt. Was können Betroffene und Angehörige tun, die medizinisches Personal wegen vorsätzlicher Taten oder fahrlässigen Fehlern verdächtigen?

Der Krankenhausmörder von Oldenburg/Delmenhorst hat mich zu diesem Interview bewegt. Auch mein Großvater starb in einem Krankenhaus, in dem der Pfleger vermutlich im entsprechendem Zeitraum arbeitetete.

Und natürlich geben seit diesem Wissen die Gedanken keine Ruhe mehr. Wäre er wieder gesund geworden? Ist er ein Opfer des Mörders geworden? Hätte sein Tod verhindert werden können?

Philipp Wendel
Rechtsanwalt
Mühltorstr. 9/1
71364 Winnenden
Tel: 07195/589260
Web: http://www.rems-murr-kanzlei.de
E-Mail:
Strafrecht, Medizinrecht, Verkehrsrecht, Miet- und Pachtrecht

Was können Angehörige tun, die beim Tod eines geliebten Menschen ein ungutes Gefühl haben? Die vermuten, der Angehörige ist durch Fremdeinwirkung oder fehlerhafte Behandlung gestorben? Wie ist der Umgang generell in Krankenhäusern, mit medizinischen Fehlern und vorsätzlichen Taten?

Wir haben Rechtsanwalt Philipp Wendel gefragt, wie Betroffene vorgehen können und wo sie Unterstützung finden.

Angehörige haben das Recht auf Einsicht in die Patientenakte

123recht.de: Herr Wendel, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben. Mein Großvater starb auf einer Station, auf der der verurteilte Pfleger möglicherweise gearbeitet hat. Bin ich als Enkelin überhaupt berechtigt, mich einzumischen und Nachforschungen zu betreiben?

Rechtsanwalt Wendel: Natürlich sind Sie als Enkelin hierzu berechtigt. Nach dem Tod des Patienten haben Sie als Angehörige sogar das Recht auf Einsicht in die Patientenakte Ihres verstorbenen Großvaters aus § 630 g Absatz 3 BGB, da Sie ein berechtigtes Interesse daran haben, Auskunft über die Todesursache zu erhalten.

123recht.de: Was kann ich denn tun, um der Sache auf den Grund zu gehen?

Rechtsanwalt Wendel: Sie fordern das Krankenhaus - unter Hinweis auf § 630 g BGB - auf, Ihnen Einsicht in die Patientenakte zu gewähren bzw. Ihnen Abschriften der Akte zu übersenden. Die entstehenden Kopier-, Verpackungs- und Versendungskosten müssten Sie in diesem Fall aber selbst tragen.

123recht.de: Was mache ich, wenn das Krankehaus sich quer stellt, die Krankenakte bekomme ich vielleicht gerade noch, aber den Dienstplan von damals verweigert man mir evtl.?

Rechtsanwalt Wendel: Zu Recht. Im Dienstplan sind die Arbeitszeiten der Beschäftigten eingetragen. Es sind also personenbezogene und abteilungsinterne Daten, welche vom Krankenhaus geschützt werden müssen. Unter einer Patientenakte - auf die sich Ihr Einsichtsrecht erstreckt - wird die Gesamtheit der über diesen Patienten gespeicherten Informationen verstanden, die in Form einer abgeschlossenen Dokumentation, z. B. von einem Arzt, verantwortet sind. Diese können in einer einheitlichen zentralen Datenbank oder in einem verteilten Krankenhausinformationssystem gespeichert sein. Die Patientenakte erstreckt sich auf alle Behandlungszusammenhänge in diesem Krankenhaus und das unmittelbar daran beteiligte Personal.

Eine Staatsanwaltschaft könnte jedoch im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens den Dienstplan einsehen und auch beschlagnahmen, wenn dies zur Aufdeckung möglicher Straftaten notwendig ist.

Krankenhäuser müssen die Patientenakten nur 10 Jahre aufbewahren

123recht.de: Kann das Krankenhaus sich auf Datenschutz oder Verjährung berufen?

Rechtsanwalt Wendel: Nein. Das Recht auf Akteneinsicht zählt zu den zentralen Rechten der Patienten sowie deren Erben und Angehörigen, das gegenüber den Interessen des Krankenhauses überwiegt. Es ist Grundlage für die Kenntnis des eigenen Gesundheitszustandes und für die Bewertung der Behandlung und damit Voraussetzung für die Wahrnehmung der medizinischen Selbstbestimmung und des medizinischen Rechtsschutzes.

Das Einsichtsrecht des Patienten beruht auf dem Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs.1 und Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Es hat damit Verfassungsrang. Dieses Recht verjährt auch nicht. Lediglich beträgt die Mindestaufbewahrungsfrist für Patientenakten nur 10 Jahre. Anschließend kann es also sein, dass Ihnen zwar weiterhin grundsätzlich ein Einsichtsrecht zusteht, Sie dieses aber tatsächlich nicht mehr wahrnehmen können, weil das Krankenhaus die Akten inzwischen rechtmäßig vernichtet hat.

123recht.de: Angenommen es stimmt und der verdächtige Pfleger arbeitete tatsächlich zur passenden Zeit auf der Station, wie ist das weitere Vorgehen? An wen wende ich mich? Gibt es vielleicht Hilfsorganisationen, die mich unterstützen?

Rechtsanwalt Wendel: Anzeige erstatten können Sie entweder bei der Polizei oder direkt bei der Staatsanwaltschaft. Daneben macht es sicher Sinn, auch einen Rechtsanwalt einzuschalten. Dieser kann durch Akteneinsicht in Erfahrung bringen, was das Ergebnis etwaiger eingeleiteter Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft ist. Zudem kann der Rechtsanwalt Ihnen auch ein Überblick darüber verschaffen, welche Ansprüche Ihnen möglicherweise gegen den Pfleger zustehen und wie diese durchzusetzen sind.

Schließlich können Sie sich auch an den Weißen Ring als Hilfsorganisation wenden. Die Hilfeleistungen reichen von menschlichem Beistand und persönlicher Betreuung über die Begleitung zu Terminen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht etc.

Eine Exhumierung ist nicht zwingend notwendig

123recht.de: Mein Großvater wurde verbrannt. Gibt es dann überhaupt noch Beweismöglichkeiten?

Rechtsanwalt Wendel: Beweismöglichkeiten lassen sich z.B. auch aus Umständen ermitteln, wie Ihr Großvater gestorben ist. Eine (nicht mehr mögliche) Exhumierung ist nicht zwingend notwendig.

123recht.de: In den wenigsten Fällen sind es wohl vorsätzliche Taten, und nicht immer sterben die Patienten. Manchmal handelt es sich auch um versehentlich begangene Fehler des Klinikpersonals. Was sollten Betroffene in einem solchen Verdachtsfall tun? Wie gehen Krankenhäuser generell mit solchen Verdachtsfällen um?

Rechtsanwalt Wendel: Besteht der Verdacht, dass ein Angehöriger möglicherweise durch einen Behandlungsfehler gestorben ist, sollte man sich wie bereits einleitend aufgezeigt, um die Patientenakte bemühen. Deren Inhalt sollte dann durch einen Sachverständigen dahingehend gutachterlich überprüft werden, ob die Behandlung richtig war und korrekt ausgeführt wurde oder ob der eingetretene Tod auf anderen Ursachen beruht. Hierfür gibt es bei den Ärztekammern der Länder Gutachterkommissionen oder den Medizinischen Dienst der Krankenkassen.

123recht.de: Haben Krankenhäuser überhaupt ein Interesse an der Aufklärung solcher Fälle?

Rechtsanwalt Wendel: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Krankenhäuser werden inzwischen wie Unternehmen geführt. Natürlich haben Krankenhäuser ein Interesse daran, dass es schon überhaupt nicht zu Behandlungsfehlern kommt. Wenn dies doch einmal der Fall sein sollte, dann wird sich ein Krankenhaus grundsätzlich nicht der Haftung entziehen, indem es die Aufklärung des tatsächlichen Sachverhalts verhindert.

Die Probleme bei der Durchsetzung von Ansprüchen der Betroffenen und Angehörigen spielen sich dann eher in der medizinischen und rechtlichen Würdigung des aufgeklärten Sachverhalts ab.

Hier haben auch die hinter den Krankenhäusern stehenden Versicherer ein Interesse daran, Ansprüche abzuwehren. Die Krankenhäuser selbst propagieren oft Transparenz und würden an Glaubwürdigkeit und Vertrauen verlieren, wenn sie versuchen würden, Behandlungsfehler durch Verhinderung der Aufklärung zu vertuschen.

123recht.de: Vielen Dank, Herr Wendel.

Leserkommentare
von OlDie13347 am 16.04.2015 15:55:26# 1
Hinweis: In fast allen Bundesländern ist auf Grund der Vorschriften in den jeweiligen Landeskrankenhausgesetzen bei stationären Krankenhausaufenthalten eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren verpflichtend!!! MfG