Der Zeuge im Strafverfahren

Mehr zum Thema: Strafrecht, Zeuge, Strafverfahren, Beweis, Auskunftsverweigerungsrecht, Aussage, Vorladung
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Welche Rechte, Pflichten und Risiken treffen den Zeugen als Beweismittel im Strafrecht

Wenn eine Zeugenladung im Briefkasten liegt, stellen sich viele Fragen. Einige der häufigsten möchte ich hier ansprechen und beantworten. Welche Rechte, Pflichten und Risiken hat ein Zeuge?

Der Zeugenbeweis ist das häufigste, zugleich aber wohl unzuverlässigste Beweismittel im Strafprozess. Selbst vom Geschehen Unbeteiligte können herangezogen werden, um häufig erst sehr lange Zeit nach einem vermeintlich beobachteten Vorfall Auskunft über das Geschehen zu geben. Das ist oft weder einfach, noch angenehm. Andererseits kommt es vor, dass Personen zu Sachverhalten vernommen werden sollen, zu denen sie aus den verschiedensten Gründen nichts sagen wollen. Grund genug, die bestehenden Verpflichtungen und Rechte etwas genauer zu betrachten.

Matthias Düllberg
Partner
seit 2010
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Grabenstraße 38
44787 Bochum
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Jugendstrafrecht, Verkehrsstrafrecht, Ordnungswidrigkeiten, Verwaltungsrecht
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1. Muss ein Zeuge überhaupt aussagen?

Zunächst ist zu betrachten, ob eine Person überhaupt zur Sache aussagen muss. Grundsätzlich trifft die Aussageverpflichtung erst einmal jeden. Die Strafprozessordnung kennt allerdings einige mehr oder weniger häufige Ausnahmen von dieser Pflicht, die so genannten Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte. Auf die hier relevantesten Rechte soll kurz eingegangen werden.

a) Das Zeugnis und damit die Aussage insgesamt kann verweigert werden, wenn ein Zeuge mit dem/der Beschuldigten verheiratet, verlobt, nah verwandt oder verschwägert ist (§ 52 StPO). Das umfassende Zeugnisverweigerungsrecht soll den Familienfrieden sicherstellen und überdies Zeugen davor bewahren, aus familiärer Solidarität falsche Aussagen zu treffen. Das Recht, die Aussage insgesamt zu verweigern, besteht dabei völlig unabhängig von dem erwarteten Inhalt der Aussage oder dem Willen des/der Beschuldigten. Ein Zeuge kann so beispielsweise auch dann die Aussage in einem Verfahren gegen einen Angehörigen verweigern, wenn dieser ihn darum bittet und das vorteilhaft wäre.

Über das Aussageverweigerungsrecht ist jeder Zeuge vor seiner Vernehmung zu unterrichten. Tritt z.B. das Verlöbnis erst im laufenden Verfahren ein, oder entscheidet der Zeuge sich erst nach einer Aussage bei der Polizei vor Gericht zu schweigen, dürfen vorherige Aussagen nicht mehr im Verfahren verwertet werden. Auch dies ist ihm mitzuteilen. Wird eine der Belehrungen unterlassen, ist die Aussage für das weitere Verfahren unverwertbar. Einzig eine Aussage vor einem Richter kann durch Vernehmung dessen gleichwohl eingeführt werden, wobei diesbezüglich die höchstrichterliche Rechtsprechung gegenwärtig im Fluss ist.

b) Gemäß § 53 StPO darf bzw. muss das Zeugnis zudem von sog. Berufsgeheimnisträgern verweigert werden, sofern diese nicht von ihrer Schweigepflicht entbunden sind. Anders als bei dem zuvor beschriebenen Aussageverweigerungsrecht werden derartige Zeugen allerdings nicht zwingend mit den gleichen Folgen über ihr Recht belehrt. Es ist von Berufsgeheimnisträgern zu erwarten, dass sie ihre Verschwiegenheitspflicht kennen und achten. Sagen sie dennoch aus, mögen sie sich regresspflichtig machen. Ihre Aussage ist aber verwertbar.

c) Etwas komplizierter ausgestaltet ist das Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO. Aus dieser Vorschrift folgt, dass die Antworten auf die Fragen verweigert werden können, deren wahrheitsgemäße Beantwortung die Gefahr einer eigenen Strafverfolgung nach sich zieht. Landläufig bekannt und leider auch in vielen gerichtlichen Belehrungen wird dies mit den unzureichenden Worten übersetzt,

der Zeuge dürfe die Antwort auf Fragen verweigern, durch deren wahrheitsgemäße Beantwortung er sich selbst belasten müsste.

Diese bekanntere Floskel greift erheblich zu kurz, da das Auskunftsverweigerungsrecht gerade nicht nur für Fragen gilt, die auf eine Selbstbelastung zielen. Vielmehr genügt nach dem Wortlaut des Gesetzes bereits die Gefahr der Strafverfolgung. Diese kann wesentlich früher gegeben sein. So ist unter Umständen etwa bei einer Wirtshausschlägerei mit teilweise unbekannten Personen nicht auszuschließen, dass bereits die Angabe eines Zeugen, er habe sich zur fraglichen Zeit in dem Wirtshaus aufgehalten dazu führen kann, einen Ermittlungsansatz und damit die Gefahr der eigenen Strafverfolgung zu begründen. Im Einzelfall kann das äußerst schwierig und ohne Kenntnis der Akte kaum einzuschätzen sein. Deshalb kann im Zweifel nur dazu geraten werden, unter Verweis auf § 55 StPO die Auskunft zu verweigern und ggf. eine entsprechende Entscheidung über dieses Auskunftsverweigerungsrecht abzuwarten.

Auch wenn gemäß § 55 StPO eigentlich nur Antworten auf einzelne Fragen verweigert werden dürfen, kann das Auskunftsverweigerungsrecht auch zu einem umfassenden Zeugnisverweigerungsrecht führen. Dies nämlich dann, wenn quasi jede erdenkliche Frage zwingend die Gefahr einer eigenen Strafverfolgung impliziert, wie etwa in dem beschriebenen Beispielsfall. Auch hierüber ist ein Zeuge selbstverständlich zu belehren.

Liegt keine der beschriebenen Ausnahmen vor, hat ein Zeuge regelmäßig kein Recht, seine Aussage oder einzelne Auskünfte zu verweigern.

2. Wo muss ein Zeuge aussagen?

Es stellt sich dann die Frage, wem gegenüber eine Aussage getätigt werden muss.

a) Aussagen bei der Polizei

Eine Verpflichtung für einen Zeugen, bei der Polizei auszusagen, besteht nicht. Die insoweit polizeilich versandten Vorladungen wären angesichts dessen besser mit Einladung überschrieben. Folgerichtig können Termine dort im Falle einer Verhinderung auch relativ unproblematisch abgesagt oder verschoben werden. Selbst wenn ein Termin ignoriert wird, sind keine weitergehenden Konsequenzen zu fürchten.

b) Aussage gegenüber der Staatsanwaltschaft

Im Falle einer Vorladung zur Staatsanwaltschaft muss dieser Ladung hingegen Folge geleistet werden. Ansonsten hat die Behörde die Möglichkeit, Zwangsgelder zu verhängen oder den Zeugen sogar polizeilich vorführen zu lassen. Gleichwohl wird auch die Staatsanwaltschaft in aller Regel bereit sein Termine mit verhinderten Zeugen abzustimmen. Dies kann dann telefonisch erledigt werden.

Die Verpflichtung, zur Vernehmung zu erscheinen besteht auch dann, wenn eines der weiter oben beschriebenen Aussage- und Auskunftsverweigerungsrechte besteht und die Aussage verweigert werden soll. Die Verweigerung kann dann nach den entsprechenden Belehrungen erklärt werden. Sofern ein Zeuge allerdings ohnehin nicht aussagen möchte, kann sich auch hier ein Anruf bei der Staatsanwaltschaft lohnen. Häufig wird in dem Fall die Berufung auf das Verweigerungsrecht vermerkt und auf die Vernehmung verzichtet.

c) Aussage vor Gericht

Ladungen des Gerichts ist grundsätzlich Folge zu leisten. Ansonsten drohen auch hier Zwangsgeld und polizeiliche Vorführung. Überdies können einem unentschuldigt ausgebliebenen Zeugen die für den Verhandlungstag entstandenen Kosten auferlegt werden.

Sollte der Zeuge gleichwohl verhindert sein, bietet sich auch hier eine Kontaktaufnahme zum Gericht an. Soweit es möglich ist, werden die Interessen des Zeugen berücksichtigt. Sofern ein Erscheinen mit Blick auf diese Interessen für den Zeugen nicht zumutbar ist, etwa weil der Jahresurlaub ansteht oder eine akute Erkrankung vorliegt, wird das Gericht einen neuen Termin finden müssen. In den letztgenannten Fällen bietet es sich an, die Abwesenheit oder Krankheit notfalls mittels Buchungsunterlagen oder Attest belegen zu können.

Soweit die Verhinderung spontan eintrat und eine Benachrichtigung des Gerichts nicht mehr möglich war, sollte der Zeuge dies möglichst schnell nachholen. Etwaige Zwangsmittel werden in diesem Fall wieder aufgehoben, sofern den Zeugen kein Verschulden trifft.

3. Die Aussagesituation – unangenehme Fragen und ängstliche Zeugen

Sofern eine Aussage zu erfolgen hat, kann es gerade bei gerichtlichen Vernehmungen in öffentlicher Hauptverhandlung zu Situationen kommen, die von Zeugen als unangenehm oder sogar beängstigend wahrgenommen werden. Diesen Problemen kann auf dem Boden der Strafprozessordnungen nur bedingt begegnet werden.

a) Der Ausschluss der Öffentlichkeit

Sofern der intimste Lebensbereich eines Zeugen in der Hauptverhandlung thematisiert werden soll, kann der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung beantragt werden. Hierbei ist allerdings das Interesse des Zeugen mit dem strafprozessual äußerst bedeutsamen Öffentlichkeitsgrundsatz abzuwägen. Überwiegen dabei die Interessen eines Zeugen, wird die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung ausgeschlossen und später vom Gericht über den Aussageinhalt informiert. Der Zeuge steht damit jedenfalls etwas weniger im Mittelpunkt des Interesses.

b) Der Ausschluss des Angeklagten

In Fällen, in denen ein Zeuge erhebliche und berechtigte Angst vor dem Angeklagten selbst hat, kann auch dieser unter engen Voraussetzungen ausgeschlossen werden. Daneben kann die Zeugenvernehmung mittels Videoübertragung in einen Nebenraum gesendet werden, von wo aus der Angeklagte die Aussage verfolgen kann, ohne dass der Zeuge direkt mit ihm konfrontiert wird. Auch hierbei sind allerdings die Interessen des Zeugen mit denen des Angeklagten und der StPO abzuwägen.

4. Ablauf und Inhalt der Aussage

Zeugenvernehmungen sollen eigentlich einem gewissen Schema folgen. Zunächst wird dem Zeugen danach nur der Gegenstand der Vernehmung genannt, woraufhin er selbstständig über seine Erinnerungen berichtet. Erst danach sollen Nachfragen und ergänzende Fragen gestellt und Vorhalte früherer bzw. anderer Aussagen gemacht werden. Bei polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen wird ein Protokoll gefertigt, dass am Ende sorgfältig durchzulesen und ggf. zu ändern ist. Erst danach kann es unterzeichnet werden.

Der Inhalt einer Aussage ist selbstverständlich sehr vom Erinnerungsvermögen eines Zeugen und anderen tatsächlichen Umständen geprägt. Die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Aussage beinhaltet insoweit dann auch die Verpflichtung, sich um Erinnerungen zu bemühen. Sofern dennoch einzelne Dinge nicht mehr erinnerlich sind, sollte dies mitgeteilt werden. Ebenso auftretende Unsicherheiten. Sagte ich eingangs, der Zeuge sei das unzuverlässigste Beweismittel im Strafprozess, liegt dies zu einem Großteil daran, dass das menschliche Gehirn spontane Wahrnehmungen in einen für sich subjektiv logischen Kontext bringt, der nicht zwingend mit der objektiven Wahrheit übereinstimmen muss. Dies zu erkennen wird in der strafprozessualen Praxis aber häufig gerade dadurch erschwert, dass Zeugen in ihren Vernehmungen selbst erkannte Unsicherheiten überspielen oder zu verbergen suchen. Derartiges sollte vermieden werden und kann, wie im Folgenden noch relevant wird, auch für den Zeugen drastische Folgen haben.

5. Strafbarkeit einer Aussage

Da insbesondere Zeugenaussagen erheblich das Schicksal eines Strafverfahrens und damit eines anderen Menschen beeinflussen können, hat der Gesetzgeber in einigen Vorschriften das bewusste, teilweise auch das fahrlässige Vorbringen falscher Tatsachen seinerseits unter Strafe gestellt.

a) Uneidliche Falschaussage / Meineid

Die „Lüge" eines Zeugen vor Gericht ist stets strafbar. Gemäß § 153 StGB wird jemand mit Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren bestraft, der gegenüber einer Stelle, die zur Abnahme von Eiden befugt ist, bewusst die Unwahrheit sagt. Da weder die Polizei, noch die Staatsanwaltschaft zur Abnahme von Eiden befugt sind, greift diese Vorschrift aber tatsächlich nur für Vernehmungen vor dem Strafgericht.

Kommt es tatsächlich zur Vereidigung, steht in diesen Fällen sogar ein Meineid (§ 154 StGB) im Raum, der als Verbrechen eine Mindeststrafe von einem Jahr Gefängnis nach sich zieht. Der Meineid ist auch strafbar, wenn er fahrlässig vollzogen wird; wenn also, wie weiter oben ausgeführt, ein Zeuge sich nicht hinreichend um seine Erinnerung bemüht oder unsorgfältig Unsicherheiten kaschiert.

b) Falsche Verdächtigung / Vortäuschen einer Straftat

Neben diesen klassischen Aussagedelikten kann eine Aussage vor Gericht, jetzt aber auch vor der Polizei und der Staatsanwaltschaft, weitere Strafbarkeiten begründen, wenn nämlich bewusst ein Unschuldiger belastet (§ 164 StGB) oder eine Straftat bekundet wird (§ 145d StGB), die es gar nicht gegeben hat.

c) Strafvereitelung

Auch sofern ein Zeuge entlastende Angaben macht, z.B. also ein Alibi bekundet, die nicht der Wahrheit entsprechen, kann er sich gemäß § 258 StGB der (versuchten) Strafvereitelung strafbar machen. Ausgenommen sind von dieser Vorschrift ausdrücklich nur Familienangehörige.

Angesichts der skizzierten Straftatbestände erscheint es wenig sinnvoll, eine Aussage an das persönlich gewünschte Prozessergebnis „anzupassen". Hiervon ist dringend abzuraten.

6. Hilfe – zu viel Input

Es sollte deutlich geworden sein, dass es bei der Beratung von Zeugen diverse Punkte gibt, die es zu beachten gilt und die sich, je nach Sachlage, unterschiedlich auswirken können. Nicht immer sind die damit verbundenen Einzelfragen schematisch und für den juristischen Laien verständlich zu beantworten; gleich, ob es nun um das Vorliegen eines umfassenden Auskunftsverweigerungsrechts wegen drohender Gefahr einer Selbstbelastung oder die Ausschließung der Öffentlichkeit aus dem Sitzungssaal geht. Deshalb wird jedem Zeugen gestattet, sich der Hilfe eines Zeugenbeistandes zu bedienen, der, ähnlich wie bei der Pflichtverteidigung, in geeigneten Fällen seitens des Gerichts für die Vernehmung beigeordnet und von der Landeskasse bezahlt wird (§ 68b StPO). Die Aufgabe kann quasi von jedem Rechtsanwalt übernommen werden, fällt aber häufig Strafverteidigern und Nebenklagevertretern zu. Der Zeugenbeistand kann den Zeugen beraten und Sorge dafür tragen, dass seine Rechte gewahrt werden. Unter Umständen wird man ihm sogar Akteneinsicht gewähren. Bei der Aussage bzw. deren Inhalt selbst kann er hingegen nicht helfen.

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M.Düllberg
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Leserkommentare
von RudolfBoeck am 01.10.2014 15:47:22# 1
"Zusatzfrage:" Sind in diesem Zusammenhang Untersuchungsausschüsse von Landtagen oder dem Bundestag wie Gerichte zu sehen?
    
von Rechtsanwalt Matthias Düllberg am 01.10.2014 16:21:41# 2
Im Wesentlichen gelten die Ausführungen auch bei Vernehmungen vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Näheres entnehmen Sie bitte den §§ 20 ff. PUAG und den landesrechtlichen Untersuchungsausschussgesetzen, die im Kern auf die hier thematisierten Vorschriften der StPO verweisen.