Immer diese Radfahrer

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OLG: Vom Opfer zum Trottel - Fahrradfahrer ohne Helm tragen Teilschuld

Es ist mehr als 100 Jahre her, seit die ersten Tin Lizzys bei Ford vom Band liefen und den Siegeszug des Massenphänomens "Auto" einläuteten. Allerdings gab es Widerstand. Die neuartige Maschine führte mit ihrer weiteren Verbreitung zu einem rasanten Anstieg von Verletzten und Toten - Erwachsene und Kinder, die unter die Räder kamen. Man war es gewohnt, sorglos über die Straßen zu schlendern und höchstens auf Pferde und Kutschen zu achten. Straßen waren für Menschen da, nicht für Autos. Und Autofahrer, die Menschen überfuhren, wurden wegen Totschlags bestraft.

Es gab Gedenkfeiern für die Toten, Mahnmale und Initiativen gegen diese neuen Dinger, diese Autos. Doch die Lobby der Autofahrer wuchs, und sie holte zum Gegenschlag aus. Mit dem richtigen Marketing wurden Opfer zu Idioten: Selbst Schuld, wer sich auf der Straße überfahren lässt. Wer sich überfahren lässt, war unachtsam. Man erfand einen neuen Begriff, "Jaywalking", das grob mit "Trottel-Queren" übersetzt werden kann. Jaywalking ist heute in den USA ein stehender Begriff für den Tatbestand "illegales Überqueren einer Straße".

Heute sind Straßen für Autos da. Erst kürzlich wurde ich beim "legalen" Überqueren einer Fußgängerampel angehupt, weil es dem abbiegenden Autofahrer nicht schnell genug ging. Die Fußgängerampel war noch grün. Als wäre das nicht schon bezeichnend genug - neben mir ging eine ältere Frau, die gar nicht schneller gehen konnte, selbst wenn sie gewollt hätte. Ich überlegte kurz, es wie in dem berühmten Youtube-Video zu machen: Dem Autofahrer gegen die Stoßstange treten, so dass sein Airbag ihm die Nase bricht. Aus karmatechnischen Gründen besann ich mich eines besseren.

Neben bösen Fußgängern, die es wagen, hin und wieder den heiligen Asphalt zu überqueren, gibt es natürlich noch den Todfeind aller Autos: Radfahrer. Den meisten Autofahrern schwillt schon die Krawatte, wenn sie Radfahrer nur sehen. Und wehe, die Räder sind auch noch auf der Straße anzutreffen. Zum Glück können die Autofahrer dann mit ihren Handys rumfuchteln und laut ins Telefon schreien, das sie eh die ganze Zeit am Ohr haben. Das wirkt hervorragend als Druckventil und beugt Herzinfarkten vor.

Zwischen Auto- und Fahrradfahrern kann es auch schon mal krachen, und nicht nur verbal. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht hat für einen solchen Fall jetzt ein "zukunftsweisendes" Urteil gesprochen: Eine Fahrradfahrerin konnte zwar absolut nichts dafür, dass ein Autofahrer plötzlich die Tür aufriss und sie vom Drahtesel holte. Aber sie trägt laut Gericht trotzdem eine Mitschuld an ihren Verletzungen. 20%, weil sie ohne Fahrradhelm unterwegs war.

Aus dem Jaywalking wird der depperte Fahrradfahrer, der so dämlich ist, ohne Helm zu radeln. Jaycycling. Fahrradfahren ohne Helm wird zur abstrakt gefährlichen Handlung, mithin greift die Gefährdungshaftung. Das Opfer ist ja selbst Schuld.

Das Urteil ist Vorbote einer Gesetzesänderung, die so sicher folgen wird wie Montag auf Sonntag: Fahrradhelme werden zukünftig Pflicht. Genauso wie Helme für Skateboards, Inliner, Skifahrer, Fußgänger bei Schnee, Fußgänger bei Regen, Fußgänger überhaupt. Kinder in Fahrradanhängern haben Helme zu tragen, genauso wie Insassen von Bussen und Bahnen sich anschnallen müssen - und Helme zu tragen haben. Ja selbst Autofahrer müssen künftig ebenfalls behelmt und im Schutzanzug über die Boardsteine räubern.

Beim Schwimmen sind Schwimmwesten zu tragen. Immer. Ins Meer darf man gar nicht. Oder nur, wenn es spiegelglatt darliegt, die Wassertiefe 1,50 nicht überschreitet und alle Haie vorher weggebombt wurden. Eigentlich darf man gar nicht mehr aus dem Haus. Und wenn doch, und es passiert was, für das man absolut nichts kann: hey, selbst Schuld.

Die Richter des OLG sagten übrigens in ihrem Urteil folgenden völlig richtigen Satz: "Der gegenwärtige Straßenverkehr ist besonders dicht, wobei motorisierte Fahrzeuge dominieren und Radfahrer von Kraftfahrern oftmals nur als störende Hindernisse im frei fließenden Verkehr empfunden werden."

Jetzt ist es ja leider so, dass viele Juristen von der restlichen Bevölkerung ebenfalls als störende Hindernisse empfunden werden. Würde irgendwer dem Richter des OLG nun eine schallende Ohrfeige geben, wäre der Richter eigentlich selbst Schuld an seiner Verletzung. Hätte er mal einen Helm getragen. Aber aus karmatechnischen Gründen denken wir da nicht mal drüber nach.

Leserkommentare
von Rainer Grassl am 27.06.2013 11:48:55# 1
Einen Helm zu tragen ist für ALLE Radfahrer sinnvoll!
Ein Kollege ist beim Rennradfahren über den Lenker gegangen und mit dem Kopf auf die Straße
geprallt. Nur weil er einen, eine Woche vorher angeschafften, Helm trug, hat er überlebt. Allerdings wachte er erst eine Stunde später im Krankenhaus aus der Bewußtlosigkeit auf, hatte einen Schädelbasisbruch und eine schwere Gehirnerschütterung unter deren Folgen, wie heftige Kopfschmerzen, er monatelang gelitten hat.
Da auch gute Helme (lt Warentest) schon für 9,99 € (z.Zt. bei NORMA) zu haben sind, spricht doch nichts gegen die Nutzung eines Helms! Die Unfallmediziner sind sich zwar noch nicht einig, ob durch den Helm alle Unfallfolgen verhindert oder gemildert werden, es spricht aber aus medizinischer Sicht nichts dagegen.
Das zitierte Urteil ist für mich aber trotzdem unverständlich. Wie will das Gericht feststellen,
ob ein Helm die gesundheitlichen Unfallschäden verhindert hätte? Hier verwechselt die Justiz, wie leider so oft, das Verhältnis von Ursache und Wirkung. Hätte der Autofahrer nicht rücksichtslos die Türe geöffnet, wäre überhaupt nichts passiert!!
RHG.
    
von MirkoB. am 29.06.2013 15:13:29# 2
Hui ich als leidender Fußgänger kann auch ein Leid davon singen. Besonders von rücksichtslosen
Fahrradfahrern die auf dem Bürgersteig von hinten laut mit ihrer Klingel pöbeln, weil sie nicht schnell genug vorbei kommen. Oder man hat Grün aber dennoch sind Fahrradfahrer der Meinung uns, Fussgänger über den Haufen zu fahren. Da wird dann auch ordentlich gemeckert und geschimpft, warum man bei Grün über den Fahrradweg geht.

Und ja für ein solch eine rücksichtslose und rüpelhafte Verkehrsteilnehmerschaft sollte das tragen eines Helmes Pflicht sein.
    
von Herbikum am 05.07.2013 10:42:10# 3
Immer diese leidenden Fußgänger. Aber an was leided er denn nun wirklich und über was beschwert er sich denn? Ach ja, über rücksichtslose Radfahrer. Die gibts tatsächlich viel zu viel,aber unter denen leiden nicht nur Fußgänger. Auch ich als Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer leide darunter. Aber war das eigentlich Thema hier? Ich glaub nicht.

Aber da wir gerade dabei sind, hier auch ein kleine Betrachtung, die diese zwei Themen zusammenbringt.
Es gibt Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass das Tragen eines Helmes die Verletzungsgefahr des Helmträgers nicht senkt. Denn durch das Tragen eines Helmes erhöht sich das subjektive Gefühl der Sicherheit beim Träger und veranlasst ihn oft zu riskanterem Fahren. Ich persönlich halte es gar für wahrscheinlich, dass auch Autofahrer an behelmten Radfahrern riskanter vorbeifahren als vor Nichtbehelmten. Entsprechende Untersuchungen gibt es hinsichtlich Männern und Frauen. Autofahrer fahren dichter an radfahrenden Männern vorbei als an Frauen.
Das Ergebnis der ganzen Helmpflicht wäre dann, dass Fahrradfahrer also riskanter Fahren, rücksichtslose Radfahrer also noch rüchsichtsloser. Die Dummen sind bei der ganzen technischen Aufrüstung die Schwachen, also die Fußgänger, Kinder, Alte und Gebrechliche.
Das gleiche kann man übrigens auf Skipisten beobachten. Wobei der Helm dort nicht nur die Wahrnehmung aus den Augenwinkeln verhindert, sondern auch die akustische Wahrnehmung beinträchtigt. Beide sind von der Natur deshalb so ausgeprägt, um dem Menschen gerade das ausweichen vor plötzlichen Gefahren zu ermöglichen.
Ein ähnliches Beispiel gibt es z.B. bei Unfallvorschriften im Bereich von Hochsspannungsanlagen. Die Deutschen müssen alles vorher abschalten, die Unfälle passieren, weil gedacht wird, es wurde abgeschalten, tatsächlich aber nicht. Die Franzosen nicht, die arbeiten unter Spannung und sind beim arbeiten entsprechend vorsichtiger. Dort passieren aber weniger Unfälle.

Dann natürlich noch der Effekt, dass ich bei Helmpflicht gleich gar kein Fahrrad mehr fahre. Auch dazu gibt es schon entprechende Erfahrungen in Australien. Wohin mit dem Helm, wenn ich Abends mal ausgehe? ..ist nur eine der Fragen, die man sich stellen muss. Der Effekt: noch mehr Auto auf der Straße, noch weniger Luft zum atmen, Platz und Sicherheit für Fußgänger.

Ein Aufrüstung wäre tatsächlich geboten, aber nicht technisch, sondern auf Vernunftebene.

Und noch etwas wäre geboten. Nachdenken bevor man den Mund aufmacht!
    
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