Der fehlerhaft zugestellte Vollstreckungsbescheid

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Bei überraschenden Vollstreckungsmaßnahmen kann es sich lohnen, die ordnungsgemäße Zustellung des Vollstreckungstitels zu prüfen

Aus meiner Praxis:

Frau M legte mir die Kopie eines Vollstreckungsbescheides einer Mobilfunkfirma T vor. Heute habe sie ein Gerichtsvollzieher aufgesucht, der diese Forderung eintreiben wollte. Sie könne sich nicht erklären, wie dieser Vollstreckungsbescheid zustandegekommen ist. Sie habe niemals einen Vertrag mit der Firma T geschlossen, habe auch keine Rechnungen, Mahnungen oder einen Mahnbescheid erhalten. Auch den Vollstreckungsbescheid habe sie zum ersten Mal gesehen, als der Gerichtsvollzieher ihn ihr zeigte.

Der Vollstreckungsbescheid war mehr als zwei Jahre alt. Die zweiwöchige Einspruchsfrist war also lange abgelaufen. Konnte man also gar nichts machen (außer bezahlen)? Wenn ein Vollstreckungsbescheid ordnungsgemäß zugestellt worden ist, kann man nach Ablauf der Einspruchsfrist in aller Regel tatsächlich nichts machen.

Jürgen Vasel
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Vollstreckungsbescheid liegt lange zurück und Einspruchsfrist ist verstrichen - und nun?

Die Überschrift deutet bereits darauf hin, dass man nicht immer chancenlos ist. Gerade wenn, wie bei Frau M, der Gerichtsvollzieher aus „heiterem Himmel" kommt, lohnt es sich, genauer zu prüfen, ob überhaupt wirksam, d. h. vorschriftsgemäß, zugestellt wurde.

Der richtige Ablauf einer Zustellung

Die Förmlichkeiten der Zustellung sind nicht ganz einfach. Zunächst muss versucht werden, das Schriftstück dem Empfänger persönlich zu übergeben. Gelingt das nicht, kann das Schriftstück einem erwachsenen Familienangehörigen, Hausangestellten oder Mitbewohner in der Wohnung des Empfängers übergeben werden. Auch eine Zustellung in den Geschäftsräumen des Empfängers durch Übergabe an eine dort beschäftigte Person ist zulässig. Nur wenn diese Möglichkeiten nicht durchführbar sind, kann das Schriftstück durch Einwurf in den Briefkasten zugestellt werden.

Die Einzelheiten der durchgeführten Zustellungen können durch Einsichtnahme in den Aktenauszug des Gerichts nachvollzogen werden.

Bei Frau M war tatsächlich fehlerhaft zugestellt worden: Sie lebte schon seit Jahren von ihrem Ehemann getrennt und war aus der Ehewohnung ausgezogen. Der Vollstreckungsbescheid war an die Adresse der Ehewohnung zugestellt worden. Dort hatte der Postbeamte jemanden angetroffen, den er für einen „erwachsenen Familienangehörigen" hielt (Herrn M), und diesem den Vollstreckungsbescheid übergeben (wie auch schon vorher den Mahnbescheid; auch die Rechnungen waren an diese Adresse gegangen). Dass Frau M nicht mehr dort wohnte, wusste der Postbeamte nicht (auf dem Türschild stand ja der gemeinsame Name „M"), Herr M teilte ihm dies auch nicht mit.

Es war also nicht in der Wohnung von Frau M zugestellt worden. Die Zustellung war daher fehlerhaft. Da nicht zugestellt worden war, hatte die Einspruchsfrist erst durch die Kenntnisnahme des Vollstreckungsbescheid durch Frau M begonnen zu laufen (Heilung des Zustellungsmangels, § 189 ZPO), so dass noch Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegt werden konnte. Da das Mobilfunkunternehmen im anschließenden streitigen Verfahren (Zivilprozess) seine angeblichen Ansprüche nicht beweisen konnte, wurde der Vollstreckungsbescheid vom Gericht durch Urteil aufgehoben.

Hinweis aus der Praxis:

Ein solches Verfahren anzustrengen, hat nur dann Sinn, wenn die Gegenseite tatsächlich keine Ansprüche hat, diese verjährt oder nicht zu beweisen sind. Andernfalls würde die Gegenseite im streitigen Verfahren gewinnen. Die Verfahrens- und Anwaltskosten müsste der Unterlegene tragen. Anwaltliche Beratung ist hier dringend zu empfehlen.

Rechtsanwalt Jürgen Vasel
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Leserkommentare
von utze am 17.01.2015 15:32:20# 1
ja - kann es, wenn der Mandant denn mal in der Lage ist, solch einen starken Anwalt zu finden.
Wenn ich einen Anwalt heute frage, wie seine Quote aussieht, schaut er mich nur überrascht an und hat angeblich davon keine Ahnung. Gewonnen - verloren - egal - Mandant zahlt ja eh.
Anwalt ist heute wie bei eBay, wenn keine 100 % Verkäufer, Finger weg, ansonsten nur mit absichern über paypal.
Solch eine Sache wie hier vorgetragen durchzuziehen, setzt schon mal voraus, das der Gerichtsvollzieher soviel Angst vor dem Anwalt hat, das er die Wahrheit sagt und die falsche oder fehlerhafte Zustellung nicht bestreitet. Dazu kommt, wer denn dann nun die besseren Connection zum Richter hat. Weil der ja mal letztendlich entscheidungsfrei ist.
Wenn der Anwalt zu schwach ist, um den Richter in seinem Sinne entscheidungsfähig zu machen, über was redet man dann darüber überhaupt. Braucht man auch keinen Anwalt.
Der Richter wird sich hüten, sich zum Briefträger des Anwaltes machen zu lassen und wird hinter jedweder amtlichen Zustellung mit 1000% stehen. Wer soll die Nuss knacken. Ein normaler Anwalt mit Sicherheit nicht. Und für den Anwalt, der das kann, ist der Profit mit Sicherheit zu gering.
Außerdem wäre solch ein Anwalt in jeder Stadt ein Super Gau (in einer kleineren mehr - in einer größeren weniger) für die Richterschaft. Der würde mit Sicherheit schnell weggelobt und in die Politik verschoben.
Solange ein Richter hinter den fragwürdigen amtlichen Zustellungen steht, solange wird es solche Anwälte auch nicht geben, die sich dagegen durchsetzen können, weil der Richter das ganz einfach nicht zulassen wird.
Es gibt inzwischen genug Anwälte, die aus dem Frust heraus einige Gebiete gar nicht mehr annehmen. Könnte man noch viel zu schreiben, würde man von Baum auf Ast kommen.
Da hier aber im Artikel die Sache für mich falsch rüberkommt, ist der darin enthaltene Hinweiß aus der Praxis der Tip des Tages und sagt genau das aus , was ich auch hier etwas umfänglicher dargestellt habe.
Aber - mit dem richtigen Anwalt könnte man auch in solch einer Sache ein Gewinner werden. Rechtsanwalt müsste es nur wollen.
    
von FrauHinz am 26.11.2015 16:22:58# 2
Da habe ich ja gerade den richtigen Artikel gefunden!
Ich habe vor kurzem Post von der Inkasso-Firma EOS bekommen, mit einer Forderung von der Dt. Annington.
Nach dem ersten Schreck setze ich mich hin und nahm das Telefon zur Hand, um bei EOS nachzufragen um was es sich genau handelt.
Man druckste etwas herum und erklärte mir folgendes: ich hätte Mietschulden bei der Dt. Annington vor 10 Jahren gemacht und die Hauptforderung beliefe sich auf ca.400,-€+Gebühren etc. insgesamt möchte man von mir über 600,-€!!! Ahja, ich habe noch nie bei der Dt. Annington gewohnt und versuchte die Sachlage zu klären...ohne Erfolg! Also bat ich um Zusendung des angeblichen Titels gegen mich, weil mir die Sache doch sehr seltsam vorkam.
Nach ein paar Tagen erhielt ich tatsächlich auf meinen Mädchennamen lautenden Titel als Kopie! Ich habe diesen Vollstreckungsbescheid in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen!!!
Nach einigen Nachforschungen habe ich dann herausgefunden, dass die Dt. Annington irgendwann vor ein paar Jahren den Deutschbau übernommen hat, bei der ich tatsächlich mal ein paar Monate gewohnt habe. Jedoch war mir die Summe nicht schlüssig und es waren keine Mietschulden, sondern um angebliche Betriebs-und Heizkostenabrechnungen...
Nach genauerer Untersuchung stellte ich fest, dass es sich bei dem Vollstreckungsbescheid um eine Zweitausfertigung handelte... auch hier stellte ich fest, dass vor einer Zweitausfertigung ich hätte angeschrieben werden müssen, erfolgte jedoch ebenfalls nicht!
Lange Rede kurzer Sinn... mir kam das alles sehr suspekt vor und ich entschloss mich schriftlich beim Gericht Einspruch einzulegen. Ich schilderte den Fall kurz, dass ich erst jetzt Kenntnis erlangt habe und ebenfalls eine Akteneinsicht angefordert habe.
Nun bekam ich die Akteneinsicht, Fazit: es gab wohl zwei Zustellungsversuche durch die Post, der erste Mahnbescheid ging zurück, weil ich dort schon lange nicht mehr wohnte und der zweite wurde einfach in irgendeinen Briefkasten geworfen und zwei Tage von der Postzustellerin zurück datiert! Warum weiß ich allerdings nicht! Ebenfalls ergeht aus der Akte, dass eine manuelle Weiterführung zwingend erforderlich wurde...ebenfalls das bei der Zweitausfertigung nicht nachgefragt wurde oder mir irgendwas zugesendet wurde.
Das Gericht nimmt den Einspruch entgegen und ich warte weiter ab was passiert.
Interessant war auch, dass angeblich die Abrechnungen von 2003 waren aber ein Mahnbescheid erst im Mai 2005 erlassen wurde... ist da nicht schon längst die Verjährung inkraft getretten? Vielleicht erklärt mir jemand auch, ob nicht ein neuer Gläubiger eingetragen werden muss bzw. hier §727 ZPO auf Antrag erstellt werden muss?
Ich warte nun einfach ab und lasse mich vorerst auf keine Diskussionen mehr mit der EOS (Inkassofirma) ein.
    
von Rechtsanwalt Jürgen Vasel am 21.08.2017 19:23:50# 3
@utze: Sehr geehrte/r Kommentator/in, in Ihrem Kommentar ist einiges richtig zu stellen.

Sie schreiben (falsch): „setzt schon mal voraus, das [!] der Gerichtsvollzieher soviel Angst vor dem Anwalt hat, das er die Wahrheit sagt und die falsche oder fehlerhafte Zustellung nicht bestreitet."

Richtig ist, daß die Einzelheiten der erfolgten Zustellung vom Gerichtsvollzieher und/oder Postbeamten in unmittelbarem Anschluß an die Zustellung in der sog. Zustellungsurkunde vermerkt werden. Welche Ängste der Zustellungsbeamte hat, ist also irrelevant.

Sie schreiben (falsch): „Der Richter wird sich hüten, sich zum Briefträger des Anwaltes machen zu lassen und wird hinter jedweder amtlichen Zustellung mit 1000% stehen."

und außerdem (falsch): „Außerdem wäre solch ein Anwalt in jeder Stadt ein Super Gau … für die Richterschaft.

Richtig ist, daß Richter nach meiner Erfahrung häufig gerade in formellen Fragen sehr korrekt sind und sich daher nicht scheuen, insofern gerade auch amtliche Handlungen für unwirksam zu erklären.

Mit freundlichen Grüßen

Vasel
Rechtsanwalt