Zeitarbeit - moderner Sklavenhandel?

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"Zeitarbeitsverträge sind reguläre Arbeitsverträge"

Jobsuchende kommen kaum um sie herum: Zeitarbeitsfirmen. Für manche Sprungbrett in eine Festanstellung, für andere ein niemals endendes Job-Hopping. Doch ist das wirklich alles rechtlich einwandfrei? Was ist z.B. mit Ablösesummen und Kündigungsausschluss? Wir haben Rechtsanwalt René Piper aus Berlin zu den wichtigsten Punkten befragt.

123recht.de: Herr Piper, was versteht man eigentlich unter Zeitarbeit, wo liegt der Unterschied zu regulären Angestellten?

René Piper
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Rechtsanwalt Piper: Bei der übli­chen Zeit- bzw. Leih­ar­beit überlässt der Ver­lei­her sei­ne Arbeitnehmer gegen Entgelt an ei­nen an­deren Ar­beit­ge­ber. Zeitarbeitnehmer schließen mit dem Verleiher einen Arbeitsvertrag. Das sind die Zeitarbeitsagenturen.

Es gelten die gleichen normalen arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen wie bei regulären Angestellten. Auch Zeitarbeitnehmer genießen Kündigungsschutz. Der Unterschied zu einem konventionellen Arbeitsverhältnis liegt darin, dass der Arbeitnehmer nicht bei seinem Arbeitgeber, sondern in anderen Betrieben arbeitet, an die ihn sein Chef für einen bestimmten Zeitraum verleiht.

Zeitarbeit ist vergleichbar mit der Arbeit in Handwerksbetrieben. Die Arbeitsorte werden oft gewechselt. Zeitarbeitnehmer haben also quasi zwei Chefs. Der Entleiher ist für Organisatorische und für das Gehalt zuständig. Der Entleiher erteilt dem Arbeitnehmer Anweisungen hinsichtlich des konkreten Arbeitseinsatzes.

"Zeitarbeit kann als Sprungbrett in ein herkömmliches Arbeitsverhältnis dienen"

123recht.de: Was ist der Vorteil eines Betriebes, auf Zeitarbeiter zurückzugreifen, die kosten doch viel mehr als eigene Angestellte, oder nicht?

Rechtsanwalt Piper: Betriebe können Zeitarbeit nutzen, um Mitarbeiter erst einmal zu testen, ohne langfristig Verträge einzugehen. Zeitarbeit kann dann als Sprungbrett in ein herkömmliches Arbeitsverhältnis dienen. Zeitarbeitnehmer können Erfahrungen in verschiedenen Unternehmen sammeln. Leiharbeit bietet sich auch nach einer Familienpause an. Zeitarbeitsfirmen können Arbeitnehmer bei guter Arbeit auch in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernehmen.

123recht.de: Haben Zeitarbeiter einen Anspruch auf Urlaubs- oder Weihnachtsgeld? Und was ist mit bezahltem Urlaub und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall?

Rechtsanwalt Piper: Leiharbeiter haben Anspruch auf die gleiche Bezahlung wie festangestellte Arbeitnehmer. Sie dürfen auch beim Weihnachtsgeld nicht benachteiligt werden. Das ergibt sich aus dem Equal Pay Grundsatz, der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verankert ist. Allerdings können Tarifverträge abweichende Regelungen treffen. Davon wird auch häufig Gebrauch gemacht.

Zeitarbeitsverträge sind aber reguläre Arbeitsverträge. Der Verleiher hat also die üblichen Arbeitgeberpflichten. Der Zeitarbeitnehmer hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlten Urlaub gegen den Verleiher.

Zeitarbeit ist "Arbeit auf Abruf"

123recht.de: Wie flexibel muss ein Zeitarbeiter sein, also wie lange im Voraus muss er über seinen Einsatzort in Kenntnis gesetzt werden?

Rechtsanwalt Piper: Zwar ist dies höchstrichterlich noch nicht entschieden. Allerdings handelt es sich bei der Zeitarbeit nach hiesiger Auffassung um Arbeit auf Abruf. Nach § 12 Abs. 2 TzBFG ist der Arbeitnehmer nur zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilt. Insofern müsste der Arbeitnehmer 4 Tage im Voraus von seinem Arbeitsort in Kenntnis gesetzt werden.

123recht.de: Wie lange darf eine Zeitarbeitsfirma einen Zeitarbeiter am selben Arbeitsplatz beschäftigen? Muss der Entleiher den Zeitarbeiter nach einer gewissen Zeit übernehmen?

Rechtsanwalt Piper: Es besteht kein gesetzlicher Anspruch auf Übernahme beim Entleiher. Allerdings können Tarifverträge dies regeln. Arbeitnehmer sollten prüfen, ob ein Tarifvertrag vorhanden ist, der die Übernahme nach einer bestimmten Zeit regelt.

Ablösesummen sind grundsätzlich zulässig

123recht.de: Man hört oft von Ablösesummen, die die Entleiher bei Übernahme des Mitarbeiters zahlen müssen, ist das rechtens, es klingt ja schon ganz schön nach Sklavenhandel?

Rechtsanwalt Piper: Grundsätzlich ist das zulässig. Die Ablösesumme muss aber immer angemessen sein. In der Provisionsvereinbarung muss eine Staffelung enthalten sein, die dazu führt, dass die bisherige Verleihzeit mit Blick auf die Höhe der Provision „reduzierend“ wirkt.

123recht.de: Dürfen die Firmen den übernommenen Mitarbeiter wegen der gezahlten Ablösesumme für bestimmte Zeit an sich binden, also quasi einen Kündigungsausschluss seitens des Mitarbeiters vereinbaren?

Rechtsanwalt Piper: Ja, unter Umständen für eine bestimmte Zeit. Dies hängt von der Höhe der Ablösesumme ab. Ein langfristiger Ausschluss der Kündigung kann aber sittenwidrig und deshalb unwirksam sein.

123recht.de: Vielen Dank Herr Piper!

Rechtsanwalt René Piper

an diesem Artikel wirkte Rechtsreferendar Jan Bergmann mit.

Rechtsanwalt René Piper
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Leserkommentare
von Rechtsanwalt C. Norbert Neumann am 30.07.2015 18:58:32# 1
Im Interview wird es nur eher beiläufig erwähnt, dass im Rahmen der Arbeitnehmer-Überlassung durch Tarifvertrag vom equal-pay-Grundsatz abgewichen werden kann (§ 9 Nr. 2 AÜG). Der Gesetzgeber ging wohl davon aus, dass eine Gewerkschaft in der Lage sein würde, als Gegenleistzung für geringfügige Unterschreitungen des "normalen" betrieblichen Lohnniveaus an anderen Stellen kompensatorische Verbessrungen für die Arbeitnehmer herauszuholen.

Im Jahr 2002 wurde die "CGZP" (Ta­rif­ge­mein­schaft Christ­li­cher Ge­werk­schaf­ten für Zeit­ar­beit und Per­so­nal-Ser­vice-Agen­tu­ren) gegründet. Es handelte sich hier nicht um eine "echte" Gewerkschaft im eigentlichen Sinn, sondern um einen Spitzenverband von drei sog. "christlichen" Gewerkschaften, dem Arbeitnehmer noch nicht einmal als direkte Mitglieder angehören durften. Trotzdem sind solche Spitzenverbände von Gewerkschaften nach dem Tarifvertragsgesetz im Prinzip selbständig tariffähig, haben also das Recht, Tarifverträge abzuschließen.

Diese CGZP war de facto eine von der Arbeitgeber-Seite gesteuerte Pseudo-Gewerkschaft: Sie schloss mit den Arbeitgeber-Verbänden flächendeckende Tarifverträge ab, in denen ausschließlich Arbeitgeber-Interessen vertreten wurden. Auf diese Weise kam es flächendeckend - durch Verweisung in den einzelnen Leiharbeitsverträgen auf die Geltung der Tarifverträge - zu Dumping-Löhnen im Bereich der Arbeitnehmer-Überlassung, die die Gehälter der Festangestellten oft weit unterschritten. Der equal-pay-Grundsatz wurde so im Bereich der Arbeitnehmer-Überlassung in der Rechtswirklichkeit zur seltenen Ausnahme, wenn seine Anwendung überhaupt noch vorkam. Brutto-Stundenlöne von 5 - 6 Euro wurden zur Regel.

Im Jahr 2010 machte das BAG dann dem Spuk ein Ende und stellte fest, dass die CGZP nicht tariffähig war. Leider waren zu diesem Zeitpunkt Nachzahlungsansprüche von Leiharbeitnehmern auf Grund wirksamer Ausschluss- und Verfallklauseln in Einzelarbeitsverträgen häufig schon erloschen. Im Streit bleibt jedoch weiter, was mit den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger auf Nachzahlung von Beiträgen ist. Hier gelten die Ausschluss- und Verfallklauseln nämlich nicht. "Unter dem Strich" geht es hier um Milliardenbeträge an Nachforderungen. Infolge dessen schlossen sich viele Zeitarbeitsfirmen nach 2010 zu einigen wenigen Groß-Verleihern zusammen, da sie befürchteten, von Nachtragsforderungen der Sozialversicherungsträger in den Ruin getrieben zu werden.

Leider wurden die meisten Tarifverträge der CGZP nch 2010 von den DGB-Gewerkschaften, insbesondere der Gewerkschaft ver.di, inhaltlich fast unverändert übernommen. Die DGB-Gewerkschaften hofften auf diese Weise, im Bereich der Zeitarbeit, wo sie zuvor bedeutungslos waren, einen Fuß in die Türangel zu bekommen. An den Dumpinglöhnen und der Nichtanwendung des equal-pay-Grundsatzes änderte sich in der Praxis auf diese Weise leider nichts bzw. kaum etwas für die betroffenen Leih-Arbeitnehmer.

Erst durch die gesetzliche Einführung des Mindestlohns dürfte es in der Branche zu einer spürbaren Verbesserung des Lohnniveaus gekommen sein.

Carsten Neumann
Rechtsanwalt

    
von Will-es-wissen am 01.08.2015 10:52:39# 2
Mir erschließt sich der Grund der Ablösesumme nicht:
Wenn der der Entleiher den Leiharbeiter einstellen will, kündigt dieser bei der Zeitarbeitsfirma und kann nach der Kündigungsfrist für den ehemaligen Entleiher als Arbeitnehmer tätig sein.
Falls es keine gesetzliche Regelung gibt, die der Zeitarbeitsfirma die Ablösesumme zuspricht, sondern eine privatrechtliche Vereinbarung ist, grenzt dies m.E. an Nötigung. Insbesondere wird der Wille des Gesetzgebers nach dem "Sprungbrett ins herkömmliche Arbeitsverhältnis" unterlaufen.
    
von martin176 am 03.08.2015 12:01:03# 3
Wie verhält es sich mit den Branchen zuschlägen wenn die Leihfirma diese nicht zahlen will?
    
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