Widerruf von Verbraucherdarlehen ohne Vorfälligkeitsentschädigung

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Fehlerhafte Belehrungen ermöglichen Umschuldung zu historisch niedrigen Zinssätzen

Spätestens seitdem einschlägige Verbrauchermagazine auf ihren Titelseiten davon berichten, sorgt ein lange zurückliegender Fehler in den Widerrufsbelehrungen für Verbraucherdarlehen für Unruhe in den Risikoabteilungen der Banken: In Reaktion auf die sog. Heininger-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat der Gesetzgeber im Jahr 2002 das Widerrufsrecht für Verbraucherdarlehensverträge auf Immobilienkredite ausgedehnt. Trotzdem haben viele Banken und Bausparkassen ihre Kunden in den Folgejahren nicht oder nur unzureichend über ihre Widerrufsrechte belehrt. Das hat nun zur Folge, dass die Widerrufsfristen für die Darlehensnehmer in diesen Fällen weder an- noch abgelaufen sind. Die Betroffenen können ihre Kreditverträge noch heute widerrufen.

Kreditvertrag widerrufen und günstige Zinsen aushandeln

Was wie ein sehr abstraktes juristisches Problem klingt, hat für die auch heute noch zum Widerruf berechtigten Darlehensnehmer eine ganz erhebliche finanzielle Bedeutung. Denn einen Kreditvertrag heute widerrufen zu können, ist aufgrund der historisch niedrigen Zinsen aktuell äußerst wertvoll. Ohne ein Widerrufsrecht sind die Bankkunden innerhalb der sog. Zinsbindungsfrist an die bei Vertragsschluss vereinbarten Zinsen gebunden. Hat etwa ein Verbraucher im Jahre 2008 ein Darlehen zu einem Zinssatz von 8% bei zehnjähriger Zinsbindungsfrist aufgenommen, so muss er diese hohen Zinsen bis zum Jahr 2018 zahlen, auch wenn seine Bank das Geld heute weit günstiger aufnehmen kann. Widerruft er aber heute den damals geschlossenen Darlehensvertrag aufgrund nicht vorhandener oder fehlerhafter Widerrufsbelehrung, so kann er womöglich bei seiner Bank einen Zinssatz von nur 2% herausverhandeln oder aber auf einen Kredit zu diesen Konditionen bei einer anderen Bank umschulden. Dieser Zinsvorteil von 6 Prozentpunkten über vier Jahre ist beispielsweise bei einer Kreditsumme von 200.000 € gut 40.000 € wert. Insofern wundert es nicht, dass inzwischen das Wort „Widerrufsjoker“ die Runde macht.

Bereits gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurückverlangen

Und noch in einer weiteren Konstellation kann sich der Darlehenswiderruf für Verbraucher buchstäblich auszahlen: Viele Kreditnehmer haben ihr Darlehen während der Laufzeit abgelöst, d.h. sie haben ihre Restschuld vorzeitig beglichen (beispielsweise aufgrund einer Erbschaft etc.). Gleichsam zur Entschädigung für den der Bank entgehenden Zinsbetrag mussten sie ihr aber eine sog. Vorfälligkeitsentschädigung zahlen. Solche Vorfälligkeitsentschädigungen erreichen schnell fünfstellige Beträge; die Ablösung eines Darlehens rechnet sich insofern in den seltensten Fällen. Hat aber nun die Bank den Kunden unzureichend über sein Widerrufsrecht belehrt, so kann dieser den Darlehensvertrag unter Umständen noch heute widerrufen und infolgedessen die gezahlte Vorfälligkeitsentschädigung zurückverlangen. Dies ist häufig selbst dann noch möglich, wenn die Vorfälligkeitsentschädigung schon vor Jahren gezahlt wurde.

Fehlerhafte Widerrufsbelehrung führt zu unbegrenztem Widerrufsrecht

Das Ziehen des Widerrufsjokers ist dabei beileibe kein juristisches Mauerblümchen. Die Verbraucherzentrale Hamburg hat in einer Untersuchung von immerhin 10.000 Widerrufsbelehrungen zu Immobilienkrediten herausgefunden, dass 80% dieser Belehrungen fehlerhaft waren. Der Aufhänger des Widerrufsjokers ist zwar ein formaljuristischer Punkt, aber die wirtschaftlichen Folgen sind immens. Die Rechtsprechung hat ihre Linie eines ewigen Widerrufsrechts nach fehlerhafter Belehrung bisher jedenfalls im Bereich von Immobiliendarlehen nicht verlassen. Banken und Bausparkassen müssen sich vor diesem Hintergrund auf eine Welle von Darlehenswiderrufen durch Verbraucher einstellen. Für Verbraucher hingegen bleibt der Joker nur so lange attraktiv, wie das derzeit günstige Zinsniveau noch andauert.