Welche Fragen darf der Arbeitgeber im Bewerbungsgespräch stellen?

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Überblick über die Rechtslage unter Berücksichtigung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG)

Die Frage nach der Zulässigkeit von Fragen des Arbeitgebers, z.B. im Bewerbungsgespräch und im bestehenden Arbeitsverhältnis, ist ein arbeitsrechtlicher „Dauerbrenner". Denn der Arbeitnehmer kann ein nachvollziehbares Interesse daran haben, persönliche Informationen möglichst zu verschweigen, insbesondere wenn diese geeignet sind, die Chancen auf Erlangung der ausgeschriebenen Stelle zu verringern. Dagegen haben Arbeitgeber ein gesteigertes Interesse daran, möglichst eine Vielzahl von Informationen über die Geeignetheit des Bewerbers für die zu vergebende Stelle in Erfahrung zu bringen. Der nachfolgende Beitrag soll einen ersten Überblick über die Rechtslage und die praxisrelevantesten Probleme dieser mitunter schwierigen arbeitsrechtlichen Thematik geben.

Laut Bundesdatenschutzgesetz darf der Arbeitgeber nur Daten erheben, die zur Begründung und Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und dessen Diskriminierungsverbote schränken das Fragerecht des Arbeitgebers ebenfalls ein. Fragen zur Rasse oder zur ethnischen Herkunft, zum Geschlecht, zur Religion oder Weltanschauung, zu einer Behinderung, zum Alter oder zur sexuellen Identität sind unzulässig. Zulässig kann im Ausnahmefall eine Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen, Religion und Weltanschauung sein, wenn sachliche Gründe zur Verfolgung legitimer Ziele vorliegen.

Der Arbeitgeber muss alles unterlassen, was möglicherweise zulasten des Bewerbers diskriminierend wirkt. Generell gilt, dass Fragen nach persönlichen Merkmalen, die in den Bereich des Diskriminierungsschutzes fallen, nur dann gestellt werden dürfen, wenn eine Differenzierung bei der Einstellung gerechtfertigt ist. Ansonsten könnte die Frage als belastendes Indiz für eine Benachteiligung herangezogen werden. Dies ergibt sich aus dem Präventionsgedanken des AGG.

Im Grundsatz gilt aber auch nach Einführung des AGG und des BDSG, dass Arbeitnehmer Fragen des Arbeitgebers grundsätzlich wahrheitsgemäß zu beantworten haben. Beantwortet der Arbeitnehmer eine zulässige Frage wahrheitswidrig, so hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis wegen Arglist anzufechten. Stellt der Arbeitgeber jedoch eine Frage, die zur Begründung und Durchführung des Arbeitsverhältnisses nicht erforderlich ist, so ist die Frage unzulässig. Der Arbeitnehmer begeht durch die wahrheitswidrige Beantwortung einer nicht erforderlichen Frage keine arglistige Täuschung, so dass ein Anfechtungsrecht des Arbeitgebers ausscheidet. Zum Schutz des Persönlichkeitsrechts wird dem Arbeitnehmer dadurch von der Rechtsprechung ein sog. Recht zur Lüge zugebilligt, da die bloße Nichtbeantwortung einer Frage in einem Bewerbungsgespräch regelmäßig zur Folge hätte, dass der Bewerber den gewünschten Arbeitsplatz nicht erhält.

Die nachfolgendend dargestellten Fragen haben in der Praxis, insbesondere bei Bewerbungsgesprächen, besondere praktische Relevanz:

1. Persönliche Lebensverhältnisse:

Fragen nach den persönlichen Lebensverhältnissen sind generell unzulässig. Hierzu gehören insbesondere Fragen nach der Familienplanung, nach der sexuellen Ausrichtung oder nach der Religionszugehörigkeit. Eine Frage nach der Religionszugehörigkeit kann aber zulässig sein, wenn es sich beim Arbeitgeber um einen sog. Tendenzbetrieb handelt. Tendenzbetriebe sind Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend bestimmte geistig-ideelle Ziele verfolgen, wie z.B. ein Kindergarten in Trägerschaft der katholischen Kirche.

2. Krankheiten / Gesundheitszustand:

Generelle Fragen nach Krankheiten oder dem Gesundheitszustand des Bewerbers sind unzulässig. Zu beachten ist, dass bestimmte Erkrankungen nunmehr unter den Begriff der Behinderung nach § 1 AGG fallen können, woduruch die Anforderungen an die Zulässigkeit regelmäßig steigen dürften. Auch trifft den Bewerber keine generelle Verpflichtung, auf eine latente Gesundheitsgefährdung hinzuweisen. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn sich die Frage auf die Geeignetheit des Bewerbers auf die konkrete Stelle oder schon zu diesem Zeitpunkt auf geplante Operationen oder Kuren bezieht, da der Arbeitgeber eine berechtigtes Interesse daran hat festzustellen, ob der Bewerber zu Beginn des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung steht (BAG, Urteil v. 7.6.1984, 2 AZR 270/83). Eine Frage nach ansteckenden Krankheiten kann ausnahmsweise zulässig sein, wenn der Arbeitgeber dadurch seiner Fürsorgepflicht gegenüber seinen Angestellten nachkommen möchte und diese vor Ansteckung zu schützen versucht.

a. Alkoholerkrankung:

Auch bei einer Alkoholerkrankung ist der Arbeitgeber berechtigt, den Bewerber danach zu fragen, wenn sich die Frage auf dessen Geeignetheit für die konkrete Stelle bezieht oder der Bewerber eine Entziehungskur bereits geplant hat.

b. AIDS:

Hier wird unterschieden zwischen der Frage nach einer AIDS-Infektion und einer AIDS-Erkrankung. Während die Frage nach einer Infektion mit dem HIV-Virus nur dann zulässig sein soll, wenn sich der Bewerber für Tätigkeiten bewirbt, bei denen er entweder selbst wegen seiner Infektion im Rahmen des Arbeitsverhältnisses erhöhter Gefahr ausgesetzt ist oder bei denen er aufgrund seiner Arbeitsaufgabe für Dritte, insbesondere wegen der Möglichkeit der Übertragung von Körperflüssigkeiten, eine besondere Gefahr darstellt, soll die Frage des Arbeitgebers nach einer AIDS-Erkrankung wegen der Beeinträchtigung der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers generell zulässig sein.

3. Schwerbehinderteneigenschaft:

Unter Berücksichtigung des § 8 AGG kann die Frage nach einer Behinderung gerechtfertigt sein, wenn die Behinderung die vertragsgemäße Arbeitsleistung dauerhaft unmöglich macht und ihr Nichtvorliegen daher eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Die Frage nach einer Behinderung ist seit Einführung des AGG nur noch dann zulässig, wenn ihr Fehlen eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit ist.

Die Frage des Arbeitgebers nach der Schwerbehinderung bzw. einem diesbezüglich gestellten Antrag ist im bestehenden Arbeitsverhältnis jedenfalls nach sechs Monaten, dh. ggf. nach Erwerb des Behindertenschutzes gemäß §§ 85 ff. SGB IX, zulässig. Das gilt insbesondere zur Vorbereitung von beabsichtigten Kündigungen (BAG, Urteil vom 16.02.2012 AZR 553/10).

4. Schwangerschaft:

Die Frage nach einer Schwangerschaft ist generell unzulässig, auch wenn eine befristet eingestellte Arbeitnehmerin ihre Tätigkeit wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbotes zunächst nicht ausüben darf bzw. während eines wesentlichen Teils der Laufzeit eines befristeten Vertrages ihre Arbeitsleistung nicht erbringen kann.

5. Parteizugehörigkeit:

Die Frage ist generell unzulässig. Ausnahmen können für bestimmte Tendenzbetriebe wie z.B. Verbände gelten. Für den öffentlichen Dienst ist anerkannt, dass die Frage nach der Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei zulässig ist.

6. Vermögensverhältnisse:

Vermögensverhältnisse sind grundsätzlich der Privatsphäre zuzurechnen, so dass kein Fragerecht des Arbeitgebers besteht. Derartige Informationen dürften zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses nach § 32 BDSG auch in der Regel nicht erforderlich sein.

a. Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung:

Die Frage nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung dürfte nur dann zulässig sein, wenn sich der Arbeitnehmer um eine leitende Stellung oder hervorgehobene Position bewirbt. Als zeitliche Einschränkung bei der Frage nach der Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung wird zudem die Dreijahresfrist aus § 915 Abs.2 ZPO diskutiert, so dass ältere Vorgänge außer Betracht zu bleiben hätten.

b. Lohnpfändungen und Lohnabtretungen:

Besonders relevant in der Praxis ist die Frage nach Lohnpfändungen oder Lohnabtretungen des Bewerbers. Die Frage hiernach dürfte ebenfalls nur dann zulässig sein, wenn sich der Bewerber um eine Vertrauensposition bewirbt. Grundsätzlich gilt, dass das Interesse des Bewerbers an der Erlangung des Arbeitsplatzes höher zu bewerten ist als das Interesse des Arbeitgebers an der Vermeidung eines durch eine Lohnpfändung bzw. Lohnabtretung anfallenden Mehraufwands.

c. Verbraucherinsolvenzverfahren:

Auch die Frage nach einem Verbraucherinsolvenzverfahren ist, sofern sich der Bewerber nicht um eine leitende Position oder hervorgehobene Position bewirbt, grundsätzlich unzulässig.

7. Vorstrafen:

Fragen des Arbeitgebers nach Vorstrafen sind zulässig, soweit sie für die zu besetzende Stelle wichtig sind (BAG, Urteil vom 15.1.1970 2 AZR 64/69). „Einschlägige Vorstrafen" im Arbeitsrecht sind z.B. Verkehrsdelikte bei Berufskraftfahrern, Vermögensdelikte beim Buchhalter oder Sexualdelikte bei Betreuern von Kindern und Jugendlichen. Ab dem Zeitpunkt, ab dem die Vorstrafen nicht mehr im Bundeszentralregister eingetragen oder wegen Geringfügigkeit nicht ins Führungszeugnis aufzunehmen sind, darf sich der Arbeitnehmer als nicht vorbestraft bezeichnen. Eine Ausnahme gilt wohl für Tätigkeiten mit Kindern und Jugendlichen iSv § 30a BZRG, bei denen eine Offenbarungspflicht diskutiert wird. Offenbarungspflicht bestehe dann unter anderem für Straftaten im Zusammenhang mit der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, der Misshandlung von Schutzbefohlenen, der Zuhälterei oder der Verbreitung von pornografischen Schriften.

8. Ermittlungsverfahren:

Wurde früher wegen der Unschuldsvermutung des Beschuldigten eine Fragerecht als unzulässig überwiegend abgelehnt, so geht das BAG in neuerer Rechtsprechung wohl davon aus, dass unter Umständen ein Fragerecht anzuerkennen ist, wenn durch das anhängige Ermittlungsverfahren Rückschlüsse auf eine mangelnde persönliche Eignung und Zuverlässigkeit des Bewerbers für den konkreten Arbeitsplatz gezogen werden können (BAG, Urteil v. 20.5.1999, 2 AZR 320/98).

Fazit:

Die Zulässigkeit von Fragen des Arbeitgebers im Bewerbungsgespräch stellt sich für Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber gleichermaßen. Droht dem Arbeitnehmer beim Nachweis der unwahrheitsgemäßen Antwort die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, so gilt es auf Arbeitgeberseite stets den Anschein einer Diskrimierung eines abgelehnten Bewerbers zu vermeiden. Es bleibt abzuwarten, wie die Arbeitsgerichte die Rechtsprechung zum Fragerecht des Arbeitgebers unter Berücksichtigung des AGG und des BDSG fortentwickeln werden.

Einige Paragrafen zur weiteren Vertiefung:

Seit 01. September 2009 gilt für die Erhebung und Verarbeitung von Arbeitnehmerdaten § 32 BDSG sowie die §§ 28 Abs.1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 6 bis Abs. 8 BDSG.

Unzulässige Nachfragen zur Rasse oder zur ethnischen Herkunft, zum Geschlecht, zur Religion oder Weltanschauung, zu einer Behinderung, zum Alter oder zur sexuellen Identität ergeben sich aus § 1 AGG - es sei denn, die Voraussetzungen der §§ 8 AGG bis 10 AGG liegen vor.

Zulässig kann eine Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen gem. § 8 AGG, wegen Religion und Weltanschauung gem. § 9 AGG und wegen des Alters gem. § 10 AGG sein.

Die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses wegen Arglist ergibt sich aus § 123 Abs. 1 BGB.

Leserkommentare
von Matthias Göpfert am 28.09.2012 11:32:55# 1
Liebe Redaktion, vielen Dank für den Beitrag von Herrn Mehling. Leider ist im Newsletter die Verlinkung falsch (Causa Wulff erscheint). Schönen Gruß Matthias Göpfert, Lübeck
    
von 123recht.de am 28.09.2012 13:19:51# 2
Hallo Herr Göpfert, tut mir Leid für die falsche Verlinkung. Aber glücklicherweise haben Sie den Artikel auch so gefunden :) Viele Grüße Admin
    
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