Verkehrsunfall in Polen

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In Polen an einem Verkehrsunfall beteiligt gewesen? Schreck lass nach! Kann es denn noch schlimmer kommen? Was mache ich denn jetzt? Soll ich die Polizei rufen? Wer ersetzt mir den Schaden? Welche Ansprüche habe ich überhaupt? Das gibt doch einen Riesenaufwand bis ich das Geld kriege (wenn überhaupt!). Wenn das die ersten Gedanken sind, die Ihnen dabei durch den Kopf gehen, dann sollten Sie diesen Beitrag zu Ende lesen.


Gehen wir mal davon aus, dass es bei einem Blechschaden geblieben ist, Ihr Auto noch fahrtüchtig ist, es keine Verletzten gibt und den Unfall der andere Beteiligte schuldhaft verursacht hat. Nach der Sicherung der Unfallstelle gilt wie wahrscheinlich überall auf der Welt in solchen Fällen: Beweise sichern. Schreiben Sie sich das Kennzeichen des Fahrzeugs des Unfallverursachers auf. Lassen Sie sich von Zeugen die Telefonnummern geben. Verzichten Sie nicht auf die Polizei, diese kann unter der Notrufnummer 997 oder 112 herbeigerufen werden. Unter der Nummer 112 soll die Kommunikation zukünftig sogar in anderen europäischen Sprachen möglich sein. Wollen wir mal hoffen, dass die deutsche auch dabei ist. Die Polizeibeamten werden ein Unfallprotokoll erstellen (poln: notatka policyjna), in dem regelmäßig auch die Schuldfrage geklärt werden wird. Damit hätten Sie die erste Hürde, nämlich die Klärung der Schuldfrage für das gesamte weitere Verfahren, so gut wie erledigt. Aus der Praxis ist mir kein Fall bekannt, in dem im gerichtlichen Verfahren eine andere Beurteilung der Schuldfrage erreicht werden konnte, als die durch die Polizei am Unfallort vorgenommene. Außerdem wird die Polizei in das Protokoll auch alle anderen Angaben aufnehmen, die für die spätere Geltendmachung Ihrer Ansprüche von Bedeutung sein könnten (Haftpflichtversicherung, Personalien des Verursachers, Name und Anschrift des Halters). Das Unfallprotokoll werden Sie wahrscheinlich nicht unmittelbar ausgehändigt bekommen, sondern dürfen es sich am Tag darauf bei der für Verkehrsüberwachung zuständigen Polizeidienststelle (in größeren Städten) oder der allgemein zuständigen Polizeikommandatur abholen. Wenn Sie gleich weiterfahren müssen, macht auch nichts, das Protokoll kriegen Sie zur Not auch per Post.


Die Polizei hat alles aufgenommen, der erste Schreck hat sich verflüchtigt, was nun? Natürlich können Sie zur nächsten Werkstatt fahren, sich das Auto machen lassen, und dann die gegnerische Haftpflichtversicherung zur Begleichung der Rechnung auffordern. Dies ist der unproblematischere Fall, bei dem es selten zu Streitigkeiten kommt. In vielen Fällen wählen die Geschädigten jedoch einen anderen Weg, Sie möchten den Schaden auf Gutachterbasis ersetzt bekommen und sich dann selbst um die Reparatur kümmern. Leider spielen die polnischen Versicherungen da nicht immer ganz mit, daher wollen wir uns mal mit den Besonderheiten dieser Art der Schadensregulierung befassen.


Die erste Frage wird sein: Wo lasse ich das Gutachten erstellen, gleich vor Ort oder fahre ich zunächst nach Hause (soweit das Fahrzeug noch fahrtüchtig und verkehrssicher ist)? Die Antwort ist eindeutig: Nach ständiger Rechtsprechung höchster polnischer Gerichte dürfen Sie sich Ihr Auto an Ihrem Wohnort in der BRD reparieren lassen, daher sollte das Gutachten ebenfalls die höheren Kosten der Reparatur in der BRD berücksichtigen. Lassen Sie sich das Gutachten also unbedingt von einem Sachverständigen in der BRD erstellen.


Nun ist es Zeit, die gegnerische Haftpflichtversicherung zur Schadensregulierung aufzufordern. Doch welchen Betrag soll ich fordern? War da nicht was mit der Mehrwertsteuer? Um es vorweg zu nehmen: Die Höhe des Ihnen zustehenden Anspruchs richtet sich nach polnischem Recht. Und danach dürfen Sie, auch wenn Sie auf Gutachterbasis abrechnen, stets den Reparaturpreis MIT Umsatzsteuer als Schaden geltend machen. So sieht es zumindest das Höchste Polnische Zivilgericht (Postanowienie Sdu Najwyszego z dnia 17.05.2007, sygn. akt III CZP 150/2006) und wenn Sie sich an dieses halten, liegen Sie sicherlich nicht verkehrt. Sie fordern also die Versicherung zu Zahlung des Bruttoreparaturpreises auf. Daneben ist die Versicherung auch zur Zahlung der Gutachterkosten verpflichtet. Die Versicherung hat 30 Tage Zeit zur Schadensregulierung nach Eingang aller zur Bearbeitung der Angelegenheit erforderlichen Unterlagen. Häufig melden sich die Versicherungen kurz vor Fristablauf und fordern Unterlagen nach, weil angeblich noch nicht alles vorliegt. Daher sollten Sie gleich bei der Meldung an dieser Stelle nicht sparen und alles vorlegen, was mit dem Fall im Zusammenhang stehen könnte. Übersetzungen sollten Sie nicht anfertigen, alle Versicherungen haben hauseigene Übersetzer. Sie können den Schaden also durchaus auch in deutscher Sprache melden.


Was passiert dann? Wie bereits erwähnt muss die Versicherung innerhalb von 30 Tagen zahlen. In den meisten Fällen leider nicht den geforderten Betrag, die Versicherung findet so gut wie immer einen Punkt, an dem sie glaubt, die Ihnen zustehenden Ansprüche mindern zu können. So wird die Höhe der Stundensätze im Gutachten kritisiert, das Gutachten insgesamt wird in Frage gestellt, die Kosten der Gutachtenerstellung werden pauschal auf 100,- EUR reduziert und ähnliches. Eine Kürzung der Ansprüche um bis zu 1/3 stellt keine Seltenheit dar. Letztendlich ist diese Taktik auf den polnischen typischerweise den Gerichtsweg nicht beschreitenden Verbraucher zugeschnitten, der sich regelmäßig mit einem Teilerfolg gegen die übermächtig erscheinende Versicherung mit eigener Rechtsabteilung zufrieden stellen lässt.


Doch wir wollen uns damit nicht zufrieden geben und verlangen auch den Rest. Hat die Versicherung nur einen Teil bezahlt, so haben weitere Diskussionen in der Regel keinen Sinn, freiwillig wird die Versicherung ihre Entscheidung nicht ändern. Es muss geklagt werden.

Sie können sowohl an Ihrem Wohnort in der BRD klagen als auch am Sitz der Versicherung oder dem Unfallort in Polen, der europäischen Einigung sei es gedankt (Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates, Urteil des EUGH vom 13.12.2007 in der Sache FBTO Schadeverzekeringen NV gegen Jack Odenbreit).

Festzuhalten ist dabei, dass vor einem deutschen Gericht zwar deutsches Prozessrecht zur Anwendung kommt, die Entscheidung in der Sache (wer hat recht, in welcher Höhe muss Schadensersatz gezahlt werden) sich aber stets nach polnischem materiellen Recht richtet. Der deutsche Richter müsste also polnisches Rechts anwenden. Ja, kennt er das denn überhaupt? Nein, kennt er in aller Regel nicht. Aber das hat die Richter noch nie gestört, dass sie von etwa keine Ahnung haben. Der Richter lässt sich in solchen Fällen von einem Sachverständigen helfen, in unserem Fall eben von einem Sachverständigen, der das polnische Recht kennt.
Was sind die Vor- und Nachteile der Klageerhebung vor polnischen bzw. deutschen Gerichten?
Vor deutschen Gerichten müssen Sie mit einer Verfahrensdauer von mindestens 6 Monaten rechnen, so lange braucht es regelmäßig bis die Klage in Polen zugestellt werden kann. Doch ist die Klage einmal zugestellt, geht dann alles sehr schnell. Plötzlich zeigt sich die Versicherung sehr zahlungsbereit und einigungsfreudig. Von allen von mir bearbeiteten Fällen dieser Art konnte nach Zustellung der Klage innerhalb kürzester Zeit eine Einigung mit der Versicherung erreicht werden, im Rahmen derer die Ansprüche des Klägers zu 90-100% berücksichtigt wurden. Die polnischen Versicherungen, mag es sich dabei zumindest dem Namen nach auch um Ableger deutscher Firmen handeln, scheuen (noch?) den Prozess in Deutschland.


Vor polnischen Gerichten müssen Sie in aller Regel nicht so lange auf eine Entscheidung warten. Allerdings ist mit heftiger Gegenwehr der Versicherung zu rechnen. Außerdem werden die meisten Anwaltskollegen eine höhere Vergütung fordern als die vom Gericht zugesprochenen Mindestsätze, so dass sie teilweise auch im Falle des Obsiegens auf den Anwaltskosten sitzen bleiben werden.


Ich hoffe, dass Sie mit diesem Wissen im Hinterkopf unbeschwert Ihren nächsten Besuch in Polen werden genießen können und Sie sich die gute Laune auch dann nicht werden nehmen lassen, wenn es mal kracht, was sich leider nicht immer vermeiden lässt.

Rechtslage: 01.07.2010

Dieser Beitrag dient nur einer allgemeinen Darstellung der Rechtslage und kann keinesfalls eine Einzelfallberatung ersetzen.  Die Haftung für die Richtigkeit und Vollständigkeit ist ausgeschlossen.