Tätowierungen und Piercings von Minderjährigen

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Geschäftsfähigkeit, Jugendschutz, Einwilligung der Eltern - was müssen Jugendliche alles beachten, damit es nach der Verschönerung keine bösen Überraschungen gibt

Tätowierungen und Piercings sind auch unter Jugendlichen sehr beliebt. Leider darf man sich nicht einfach so den Körper verschönern lassen wenn man das entsprechende Alter noch nicht erreicht hat. 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt Baginski.

123recht.de: Herr Baginski, ab welchem Alter dürfen Jugendliche Entscheidungen über Tattoos selbst treffen?

Rechtsanwalt Baginski: Zunächst ist auf § 2 Abs. 1 S. 5 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik (Schönheitspflege-) Gewerbetreibende (BGBl. II Nr. 141/2003 i.d.F. BGBl. II Nr. 261/2008) zu verweisen, der besagt, dass das Tätowieren von minderjährigen Personen vor Vollendung des sechzehnten Lebensjahres verboten ist. Und dies gilt auch bei der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters.

Weiterhin ist aus zivilrechtlicher Sicht, also bzgl. der Frage, ob der Jugendliche mit dem Tätowierer einen wirksamen Vertrag schließen kann, zu beachten, dass ein Minderjähriger, der das siebente Lebensjahr vollendet hat und noch nicht die Volljährigkeit erreicht hat, in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist und daher grundsätzlich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters für einen wirksamen Vertragsschluss notwendig ist. Insbesondere sieht auch die Ordnungsvorschrift des § 2 Abs. 1 S. 4 der oben genannten Verordnung vor, dass das Tätowieren von Minderjährigen, die das sechzehnte Lebensjahr vollendet haben, der rechtswirksamen schriftlichen Einwilligung der mit der Pflege und Erziehung des Minderjährigen betrauten Person bedarf. Ein Verstoßes gegen diese Ordnungsvorschrift führt schließlich auch zur Nichtigkeit des Vertrags nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch.

Aus strafrechtlicher Sicht ist zu beachten, dass das Tätowieren eine Körperverletzung darstellt. Dieser Eingriff bedarf daher einer Einwilligung. Für eine wirksame Einwilligung ist erforderlich, dass der einwilligende Jugendliche die erforderliche Einwilligungsfähigkeit besitzt. Bei einem Volljährigen ist diese Einwilligungsfähigkeit regelmäßig gegeben und wird auch ohne weiteres unterstellt. Bei Minderjährigen kommt es auf das Alter, den individuellen Reifegrad und insbesondere darauf an, ob er die Folgen und die Tragweite seiner Entscheidung einschätzen kann. Zum einen muss der Jugendliche das Risiko erkennen, dass eine Tätowierung gesundheitliche Risiken, wie Infektionen, allergische Reaktionen oder Narben, beinhalten kann. Zum anderen ist auch zu berücksichtigen, dass eine Tätowierung ein Leben lang bleibt und sich im Beruf möglicherweise negativ auswirkt. Und in diesem Zusammenhang muss es dem einwilligenden Jugendlichen bewusst sein, dass das Entfernen von Tätowierungen zu einem späteren Zeitpunkt mit finanziellen Belastungen verbunden sein kann.

M. E. nach kann ein Minderjähriger diese Folgen und Risiken noch nicht überblicken und in der Gesamtheit einschätzen, womit in der Regel vor einer Tätowierung bei einem Jugendlichen, der das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat, die gesetzlichen Vertreter einwilligen müssen.

123recht.de: Macht es einen Unterschied, ob es sich um ein Tattoo, oder Piercing handelt?

Rechtsanwalt Baginski: Grundsätzlich geltend die obigen Ausführungen auch für das Piercing. Jedoch ist in 2 Abs. 1 S. 4 der oben genannten Verordnung geregelt, dass beim Piercen von Jugendlichen über 14 Jahren die Einwilligung der Erziehungsberechtigten dann nicht notwendig ist, wenn zu erwarten ist, dass die gepiercte Stelle innerhalb von 24 Tagen verheilt.

Aber aus strafrechtlicher Sicht muss auch beim Piercing die Einsichtsfähigkeit des Jugendlichen vorliegen, damit dieser in die Körperverletzung wirksam einwilligen kann. Dabei kann auf die obigen Ausführungen zum Tätowieren verwiesen werden.

123recht.de: Wie ist es mit Frisörbesuchen, Haare schneiden bzw. das Abrasieren der Haare?

Rechtsanwalt Baginski:Auch beim Friseurbesuch ist zwischen dem Zivil- und Strafrecht zu unterscheiden.

Damit der Jugendliche einen wirksamen Vertrag mit dem Friseur abschließen kann, muss grundsätzlich die Einwilligung der gesetzlichen Vertreter vorliegen oder der „Taschengeldparagraph" des § 110 Bürgerlichen Gesetzbuches muss eingreifen, d.h der Jugendliche hat die vertragsmäßige Leistung mit Mitteln bewirkt, die ihm zu diesem Zweck oder zu freier Verfügung überlassen worden sind.

Aus strafrechtlicher Sicht ist zu beachten, dass das Abschneiden von Haaren eine Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch darstellt und bedarf daher auch einer Einwilligung. Da die geschnittene Frisur im Gegensatz zu einem Tattoo aufgrund des Nachwachsens der Haare nicht dauerhaft bleibt, sind an die Einwilligungsfähigkeit keine zu strengen Maßstäbe anzusetzen. Daher muss die für die Einwilligung notwendige Einsichtsfähigkeit bei dem Abschneiden der Haare nicht so sehr ausgeprägt sein wie bei der Einwilligung in eine Tätowierung. Insofern wird man davon ausgehen können, dass grundsätzlich ein 16-jähriger Jugendlicher mit der entsprechenden individuellen Reife wirksam in das Abschneiden der Haare einwilligen kann.

123recht.de: Welche Konsequenzen kann es für den Tätowierer haben, wenn der Jugendliche, der das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat, sich z.B. ein Tattoo hat stechen lassen, ohne dass die Eltern eingewilligt haben?

Rechtsanwalt Baginski: Haben die Eltern in die Tätowierung nicht eingewilligt, und konnte der Jugendliche aufgrund der fehlenden Einsichtsfähigkeit nicht wirksam einwilligen, dann begeht der Tätowierende eine Körperverletzung im Sinne des § 223 Abs. 1 Strafgesetzbuch. Des Weiteren muss beachtet werden, dass durch die Verwendung der Tätowiernadel der Tätowierer eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch („gefährliches Werkzeug") begehen könnte.

123recht.de: Wie müsste eine Einwilligung beim Tätowieren aussehen, reicht ein unterschriebener Zettel von Mutti?

Rechtsanwalt Baginski: Diesbezüglich ist auf § 2 Abs. 1 S. 4 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik (Schönheitspflege-) Gewerbetreibende (BGBl. II Nr. 141/2003 idF BGBl. II Nr. 261/2008) zu verweisen, der bestimmt, dass das Tätowieren von minderjährigen Personen, die das sechzehnte Lebensjahr vollendet haben, der rechtswirksamen schriftlichen Einwilligung des Erziehungsberechtigten erfordert. Weiterhin regelt § 2 Abs. 2 dieser Verordnung, dass über die mit dem Tätowieren verbundenen Risiken aufzuklären ist und eine schriftliche Bestätigung über die erfolgte Aufklärung zu erfolgen hat.

123recht.de: Und zu guter Letzt: Wie sieht es mit so genannten Bio-Tattoos oder permanet Make Up aus, gilt hier das selbe, wie bei "normalen" Tattoos?

Rechtsanwalt Baginski: Bei Pemanent-Make-Up ist § 1 Abs. 2 S. 2 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik (Schönheitspflege-) Gewerbetreibende (BGBl. II Nr. 141/2003 i.d.F. BGBl. II Nr. 261/2008) zu beachten, dass zum Tätowieren auch das Anbringen von Permanent-Make-Up zählt.

Auch das Bio-Tattoo, welches durch die natürliche Hauterneuerung mit der Zeit verblassen soll, muss als normales Tattoo betrachtet werden. Schließlich definiert § 1 Abs. 2 S. 1 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik (Schönheitspflege-)Gewerbetreibende (BGBl. II Nr. 141/2003 i.d.F. BGBl. II Nr. 261/2008), als Tätowieren das Einfügen von Farbstoffen in die menschliche Haut oder Schleimhaut zu dekorativen Zwecken. Dabei wird keine Differenzierung getroffen, in welche Hautschichten die Farbstoffe eingefügt werden. Insbesondere durch den Umstand, dass einige Bio-Tattoos zum Teil erst wieder nach Jahren verschwinden, wird auch hier ein Minderjähriger die Folgen und Risiken noch nicht überblicken können, womit auch beim Bio-Tattoo die gesetzlichen Vertreter einwilligen müssen.

123recht.de: Vielen Dank für das Gespräch!

Ergänzende Klarstellung durch RA Baginski

Rechtsanwalt Baginski: Ergänzend und korrigierend wird darauf hingewiesen, dass § 2 Abs. 1 S. 5 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik (Schönheitspflege-) Gewerbetreibende (BGBl. II Nr. 141/2003 i.d.F. BGBl. II Nr. 261/2008) für das österreichische Recht gilt, aber der Sinn und Zweck sowie der Rechtsgedanke dieser Verordnung kann für die Beantwortung der Fragen auf das deutsche Recht übertragen werden.

Im Bezug auf die Frage ab welchem Alter Jugendliche Entscheidungen über Tattoos selbst treffen dürfen, ist aus zivilrechtlicher Sicht zu beachten, dass Jugendliche in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind und daher grundsätzlich die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter für den Vertragsschluss notwendig ist und aus strafrechtlicher Sicht kommt es auf die Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen an. M. E. bleibt es daher dabei, dass ein Minderjähriger die Folgen und Risiken einer Tätowierung noch nicht überblicken und in der Gesamtheit einschätzen kann, womit in der Regel vor einer Tätowierung bei einem Jugendlichen die gesetzlichen Vertreter einwilligen müssen.

Die ergänzenden Ausführungen gelten auch für das Piercing, wobei an die Einwilligungsfähigkeit für die strafrechtliche Komponente nicht so hohe Anforderungen zu stellen sind wie beim Tätowieren, da die Folgen des Piercings durch die Herausnahme des Piercingschmucks und ein mögliches Zuwachsen des Stichkanals auf natürliche Weise beseitig werden kann. Aufgrund von möglichen Narbenbildungen ist es jedoch ratsam, dass auch beim Piercing eines Jugendlichen die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorliegt. Lediglich bei einem sehr kleinen Piercing, bei denen sich die Körperverletzung als minimaler Eingriff darstellt, könnte man bei einem Jugendlichen die Einwilligungsfähigkeit bei entsprechend vorhandenem Reifegrad eventuell annehmen, wobei es hier aber auf die spezifischen Umstände des Einzelfalles ankommt.

Im Bezug auf die Einwilligung ist zu beachten, dass die Zustimmung der Eltern auch mündlich erfolgen kann, aber es für den Tätowierer dringend zu raten ist, sich diese Zustimmung aus Beweiszwecken schriftlich erteilen zu lassen. Zudem ist zu empfehlen, dass der Tätowiere auch über mögliche Folgen und Risiken aufklärt und sich diese Aufklärung auch schriftlich bestätigen lässt.

Im Bezug auf das Permant-Make-Up und das Bio-Tatoo gelten die Ausführungen zum Tätowieren auch ohne Anwendung der zitierten Verordnung, womit auch hier gilt, dass Jugendliche die Folgen und Risiken eines Permant-Make-Ups und Bio-Tattoos noch nicht überblicken können und auch hierbei die gesetzlichen Vertreter zustimmen müssen.

123recht.de: Vielen Dank für Ihre Klarstellung!

Leserkommentare
von go391225-90 am 06.06.2014 00:25:26# 1
Nur eine kurze Verständnisfrage: Liegt diesen Ausführungen österreichisches Recht zugrunde? Die angesprochene Verordnug ist jedenfalls eine österreichische.
    
von 123recht.de am 06.06.2014 14:15:55# 2
Hallo@go391225-90,

vielen Dank für Ihren Kommentar. RA Baginski hat eine Klarstellung eingestellt.

Liebe Grüße

123recht.net