Strafanzeige bei Behandlungsfehler

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Ist es sinnvoll, bei einem (zahn-) ärztlichen Behandlungsfehler die Staatsanwaltschaft zu informieren?

Immer wieder werde ich gefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, bei einem vermuteten (zahn-) ärztlichen Behandlungsfehler (= Ärztepfusch) auch strafrechtlich gegen den Arzt vorzugehen. Der Mandant sieht in der Regel erhebliche Vorteile in einer Anzeige gegen den Arzt und ist erstaunt, wenn ich von diesem Schritt dringend abrate. Ich werde an dieser Stelle die Argumente pro und contra Staatsanwaltschaft beleuchten.

Pro Staatsanwaltschaft:

Natürlich gibt es Fälle, in denen eine Strafanzeige unumgänglich ist. Spontan fallen mir sexuelle Übergriffe von Seiten des Behandlers, Organhandel, widerrechtliche BtM-Abgabe etc. ein. Die Staatsanwaltschaft kann ab einer gewissen Schwere und auch bei einem gewissen Verdachtsgrad zu sehr weitreichenden Maßnahmen greifen, die einem Anwalt von der Rechtsordnung nicht zugebilligt werden. Die bekannteste Maßnahme ist in diesem Fall die Durchsuchung und Beschlagnahme. Wie im Fernsehen stehen meistens Punkt 8:00 Uhr (wenn die Praxis öffnet) einige Polizisten vor der Praxis und erklären dem Arzt, dass die Praxis nun geschlossen wird. Aus Rücksicht vor dem Arzt werden solche Durchsuchungen häufig an einem Mittwoch durchgeführt, da die meisten Praxen an diesem Tag sowieso am Nachmittag geschlossen haben.

Jan Gregor Steenberg
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Neben der Polizei sind häufig auch Beamte des LKA anwesend, die sich um die Praxis-IT kümmern. Behandlungsakten werden beschlagnahmt, Geräte z.B. auf vorgeschriebene Überprüfungen kontrolliert etc. Häufig wird auch versucht, den Arzt und insbesondere seine Mitarbeiter „informatorisch zu befragen“. Das Material wird ausgewertet und ggf. reicht es aus, so dass es einen (Straf-)Prozess geben könnte. Als Geschädigter kann man an dieser Stelle über seinen Anwalt Akteneinsicht beantragen und möglicherweise wird in der Ermittlungsakte auch ein Sachverständigengutachten erstellt, das man dann sogar „kostenfrei“ einsehen kann. Soweit der Arzt aber gut verteidigt ist, wird er größten Wert darauf legen, dass es zu keiner öffentlichen Hauptverhandlung kommt und in den meisten Fällen funktioniert dies auch.

Viele Fälle werden mit einer Einstellung unter Auflage oder einem Strafbefehl abgewickelt. Sollten die Vorwürfe wirklich erheblicher Natur sein und es zu einer Hauptverhandlung mit anschließender Verurteilung kommen, so sind die möglichen Maßnahmen erheblich. Neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe ist es möglich, ein Berufsverbot auszusprechen und auch Einrichtungen der Praxis einzuziehen (Verfall). Sollte es zu einer solchen Hauptverhandlung kommen, so kann man als Geschädigter auch versuchen, ein Schmerzensgeld im Rahmen eines sog. Adhäsionsverfahren direkt im Strafprozess zugesprochen zu bekommen. Die Vorteile sind also:

- Öffentlichkeitswirksame Anprangerung des Arztes bei Durchsuchung und möglicher Hauptverhandlung (wenn man dies als gewünschten Vorteil sehen mag)
- Zugriff als Geschädigter über einen Anwalt auf die Ermittlungsakte und somit auch auf seine Krankenakte
- Ggf. kostenfreies Sachverständigengutachten
- Im Rahmen eines sog. Adhäsionsverfahrens Schmerzensgeld

Contra Staatsanwaltschaft:

Wie bereits dargestellt, führen strafrechtliche Verfahren häufig nicht zu dem gewünschten Erfolg einer öffentlichen Hauptverhandlung. Gerade bei den „typischen“ Behandlungsfehlern, die strafrechtlich in aller Regel als fahrlässige Körperverletzung zu bewerten sind, wird der Arzt sich eher nicht vor dem (Straf-)Gericht verantworten müssen. Man bekommt zwar Akteneinsicht und möglicherweise auch eine gewisse Genugtuung, dass der Arzt mit der Polizei zu tun hat, doch werden solche Vorwürfe in aller Regel eben nicht in einer öffentlichen Hauptverhandlung ausgetragen.

Dagegen stehen aber auch erhebliche Nachteile. Wenn man im Rahmen eines Behandlungsfehlers seinen Schaden ersetzt und ein Schmerzensgeld bekommen möchte und insesondere auf eine zeitnahe Einigung hofft, so ist die Strafanzeige komplett kontraindiziert. Sobald ein Strafverfahren anhängig ist, wird eine schnelle Einigung mit der Berufshaftpflichtversicherung des Arztes kaum mehr möglich sein. Gutachterverfahren bei den Landesärztekammern sind ausgeschlossen, da die Statuten der Gutachterausschüsse als Ausschlusskriterium ein laufendes Ermittlungsverfahren haben. Selbst wenn eine zivilrechtliche Klage angestrebt wird, so kann es sehr gut sein, dass das zivilrechtliche Verfahren ausgesetzt wird, bis das strafrechtliche Verfahren abgeschlossen ist. Der Arzt wird komplett blockieren und nichts mehr sagen, da ja jede Information die er preisgibt, gegen ihn verwendet werden könnte.

Faktisch ist es unwahrscheinlich, dass vor Abschluss des Strafverfahrens irgendwelche Geldzahlungen an den Geschädigten fließen. Stellt man sich nun vor, dass ein Strafverfahren in aller Regel über mehrere Jahre geht, so kann es passieren, dass man zivilrechtliche „Notmaßnahmen“ zur Verjährungshemmung (3 Jahre) treffen muss. Die Ziele Schadensersatz und Schmerzensgeld rücken in weite Ferne. Eine außergerichtliche Einigung ist fast unmöglich.

Nachteile sind also:

- Keine schnelle außergerichtliche Einigung
- Gutachterverfahren bei den Landesärztekammern sind nicht mehr möglich
- Auch zivilrechtliche Klagen werden häufig „eingefroren“, bis das strafrechtliche Verfahren abgeschlossen ist
- Eine Kommunikation mit der Gegenseite ist faktisch ausgeschlossen

Ergebnis:

Auch wenn es verlockend klingt, so ist eine Strafanzeige bei einem vermuteten Behandlungsfehler in den allermeisten Fällen nicht zielführend. Unter Arzthaftungsrechtlern wird diese, wenn sie von einem Anwalt kommt, stellenweise sogar als anwaltlicher Kunstfehler bezeichnet. Sie sollten vor einem übereilten Schritt dringend das Für und Wider mit einem Anwalt besprechen. Ist die Staatsanwaltschaft einmal involviert, so kann man diesen Schritt häufig nicht mal eben rückgängig machen. Wobei ich auch nochmals betonen möchte, dass es durchaus Fälle gibt, die der Strafjustiz zugeführt werden müssen. Wenn Sie jedoch zivilrechtliche Ansprüche anmelden möchten, dann ist der Gang zur Polizei meistens nicht sonderlich hilfreich.

Jan Gregor Steenberg LL.M.
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