Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte nach dem SGB IX

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Im Rahmen der Nachteilsausgleichung steht schwerbehinderten Menschen neben dem Kündigungsschutz nach dem BGB und dem KSchG auch ein Sonderkündigungsschutz nach dem SGB IX zu. Dieser ist geregelt in den §§ 85 – 92 SGB IX. Der Artikel informiert Sie über Inhalt des Sonderkündigungsschutzes, Ausnahmen und wichtige Fristen.

1. Inhalt des Sonderkündigungsschutzes
Die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen bedarf in Abweichung zu sonstigen Kündigungen der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies steht in § 85 SGB IX. Fehlt die Zustimmung, hat dies die unheilbare Unwirksamkeit der Kündigung zur Folge. Der Arbeitgeber muss die Zustimmung bei dem zuständigen Integrationsamt schriftlich beantragen. Dies folgt aus § 87 Abs. 1 SGB IX. Nach § 87 Abs. 2 IX holt das Integrationsamt Stellungnahmen des Betriebs – oder Personalrates sowie der Schwerbehindertenvertretung ein. Außerdem hört es den Betroffenen an. Nach § 87 Abs. 3 SGB IX wirkt das Integrationsamt in jedem Verfahrensstadium auf eine gütliche Einigung hin. Eine Entscheidung des Integrationsamtes soll gemäß § 88 Abs. 1 SGB IX innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrages des Arbeitgebers ergehen. Das Integrationsamt kann hierzu nötigenfalls eine mündliche Verhandlung anberaumen. Das Integrationsamt trifft die Entscheidung über den Antrag des Arbeitgebers grundsätzlich nach pflichtgemäßen Ermessen im Sinne des § 39 SGB I. Es wägt die Interessen des Arbeitgebers mit denen des zu kündigenden schwerbehinderten Menschen ab. In der Praxis zeigt sich, dass das Integrationsamt die Abwägung der Interessen in den allermeisten Fällen zugunsten des schwerbehinderten Menschen beendet und demgemäß eine Zustimmung nicht erteilt.

Patrick Inhestern
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Die Entscheidungsfreiheit des Integrationsamtes erfährt allerdings eine Einschränkung durch die Vorschrift des § 89 SGB IX. So muss das Integrationsamt seine Zustimmung nach § 89 Abs. 1 Satz 1. erteilen, wenn der Arbeitgeber Betriebe oder Dienstellen auflöst oder einstellt. Eine solche Auflösung oder Einstellung liegt vor, wenn der Arbeitgeber den Betriebszweck nicht weiter zu verfolgen gedenkt, er den Betrieb also vollständig stilllegen will. Nach § 89 Abs. 1 Satz 2 soll das Integrationsamt seine Zustimmung erteilen, wenn der Arbeitgeber Betriebe oder Dienstellen wesentlich einschränkt, und die Gesamtzahl der weiterhin beschäftigten schwerbehinderten Arbeitnehmer der sich aus § 71 SGB XI ergebenden Beschäftigungspflicht genügen. Gemäß § 89 Abs. 2 SGB IX soll das Integrationsamt weiter die Zustimmung erteilen, wenn dem schwerbehinderten Menschen ein anderer angemessener und zumutbarer Arbeitsplatz zur Verfügung steht.

Schließlich soll das Integrationsamt in der Insolvenz des Arbeitgebers die Zustimmung gemäß § 89 Abs. 3 SGB IX erteilen, wenn der schwerbehinderte Mensch in einem Interessenausgleich namentlich als einer der zu entlassenden Arbeitnehmer bezeichnet ist, die Schwerbehindertenvertretung beim Zustandekommen des Interessenausgleichs gemäß § 95 Abs. 2 beteiligt worden ist, der Anteil der nach dem Interessenausgleich zu entlassenden schwerbehinderten Menschen an der Zahl der beschäftigten schwerbehinderten Menschen nicht größer ist als der Anteil der zu entlassenden übrigen Arbeitnehmer an der Zahl der beschäftigten übrigen Arbeitnehmer und die Gesamtzahl der schwerbehinderten Menschen, die nach dem Interessenausgleich bei dem Arbeitgeber verbleiben sollen, zur Erfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 71 ausreicht.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass in den von § 89 Abs. 1 und Abs. 3 SGB IX geregelten Konstellationen die Entscheidung des Integrationsamtes innerhalb von einem Monat getroffen werden muss. Unterbleibt die Entscheidung, so gilt die Zustimmung des Integrationsamtes als erteilt.

Die Kündigungsfrist beträgt für schwerbehinderte Menschen gemäß § 86 SGB IX 6 Wochen.

Bei einer außerordentlichen Kündigung bestimmt sich das Verfahren bei dem Integrationsamt nach § 91 SGB IX. Die Vorschrift sieht im wesentlichen für den Fall der außerordentlichen Kündigung eine kürzere Verfahrensdauer von zwei Wochen vor.

2. Ausnahmen vom Sonderkündigungsschutz
Ausnahmen vom Sonderkündigungsschutz sieht § 90 SGB IX vor. Nach der Vorschrift besteht kein Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen, deren Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate besteht oder die auf Stellen im Sinne des § 73 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 SGB IX beschäftigt werden oder deren Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet wird, sofern sie das 58. Lebensjahr vollendet haben und Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung auf Grund eines Sozialplanes haben oder Anspruch auf Knappschaftsausgleichsleistung nach dem Sechsten Buch oder auf Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus haben, wenn der Arbeitgeber ihnen die Kündigungsabsicht rechtzeitig mitgeteilt hat und sie der beabsichtigten Kündigung bis zu deren Ausspruch nicht widersprechen. Es besteht kein Sonderkündigungsschutz bei Entlassungen von schwerbehinderten Menschen, die aus Witterungsgründen vorgenommen werden, keine Anwendung, sofern die Wiedereinstellung der schwerbehinderten Menschen bei Wiederaufnahme der Arbeit gewährleistet ist. Es besteht ferner Sonderkündigungsschutz, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des § 69 Abs. 1 Satz 2 eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte.

3. Fristen
Im Recht des Sonderkündigungsschutzes existieren Fristen, deren Beachtung sich auszahlen kann.

So genießen Schwerbehinderte nur dann Sonderkündigungsschutz, wenn sie ihren Anerkennungsantrag gemäß § 90 Abs. 2 a SGB IX drei Wochen vor Zugang der Kündigung gestellt haben. Diese Frist gilt nach der Rechtsprechung des BAG auch für gleichgestellte Menschen (BAG AZ. :.2 AZR 217/06).

Hat der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des zu kündigenden Arbeitnehmers und spricht eine Kündigung aus, muss der Arbeitnehmer, wenn er sich auf den Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX berufen will, innerhalb einer angemessenen Frist nach Zugang der Kündigung die bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen. Diese Frist beträgt nach der Rechtsprechung nunmehr 3 Wochen (BAG AZ. : 2 AZR 539/05). Die Versäumung dieser Frist ist insbesondere dann extrem gefährlich, wenn neben dem Sonderkündigungsschutz kein Kündigungsschutz nach dem KSchG besteht. Im Fall des Betriebsübergangs muss sich der Betriebsübernehmer die Kenntnis des Betriebsveräußerers von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Arbeitnehmers allerdings zurechnen lassen (BAG AZ. : 2 AZR 395/07).

4. Fazit
Der Sonderkündigungsschutz ist nicht so einfach wie er aussieht. Insbesondere stehen die genannten Fristen nicht ausdrücklich im Gesetz, sondern sind von der Rechtsprechung entwickelt. Durch die Nichteinhaltung von Fristen können alle Rechte erlöschen. Durch anwaltliche Vertretung wahren Sie Ihre Rechte!

Patrick Inhestern
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Sozialrecht

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