Schafft NRW endlich Klarheit für Bürgerbegehren? Klageweg kommt ab 2015 unbefristet

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Widerspruch oder Klage - diese Frage stellt sich der Landtag von Nordrhein-Westfalen bislang jeden Herbst neu

Die Frage, ob ein Thema in einem Bürgerbegehren tatsächlich rechtlich zulässig ist oder nicht, ist häufig umstritten. Darf sich eine Initiative gegen die Planung eines Einkaufszentrums wehren? Darf man über die Finanzierung einer Baumaßnahme abstimmen? Zwar hat der Landesgesetzgeber in der Gemeindeordnung grundsätzlich alle Themen für Begehren zugelassen, dann hat er aber in einem nächsten Schritt fünf Ausnahmen aufgestellt (zum Teil sogar mit Rück-Ausnahmen). Das macht es Bürgerinitiativen nicht leicht. Aber auch nicht politischen Akteuren, denn zu verlockend ist es vermutlich, ein Thema, das man für politisch falsch hält mit dem Argument, es sei rechtlich unzulässig, abzulehnen.

Und so werden viele Bürgerbegehren im Rat ihrer Stadt für unzulässig erklärt. Hiergegen können die Vertretungsberechtigten dann rechtlich vorgehen. Aber wie? Sie sollen - so sagt es die NRW-Gemeindeordnung - "einen Rechtsbehelf einlegen". Welcher das im Jahr 2015 sein wird, ist noch völlig offen und könnte für Verwirrung sorgen.

Denn die Gemeindeordnung selbst verrät nicht, wo man den passenden Rechtsbehelf findet. Und die Vertretungsberechtigten dürfen sich auch nicht "irgendeinen" Rechtsbehelf aussuchen. Aufklärung verschafft hier nur ein Blick in das Justizgesetz des Landes NRW. Und dort ergibt sich aus § 110 JustG NRW, dass es "einer Nachprüfung in einem Vorverfahren" nicht bedarf. Das kann man kurz auf den Punkt bringen: die Vertretungsberechtigten dürfen beim Verwaltungsgericht klagen.

2014 ist noch alles klar - bis kurz vor Jahresende

Wenn der Verwaltungsakt über die Unzulässigkeit des Bürgerbegehrens bis zum 31.12.2014 bekannt gegeben worden ist, ist die Klage der richtige Weg. Das betrifft also alle laufenden Verfahren, die momentan noch im Rat diskutiert und beraten werden. Stimmt der Rat dort für die Unzulässigkeit eines Begehrens und verschickt die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister anschließend einen entsprechenden Bescheid, der noch in diesem Jahr ankommt (!), dann darf geklagt werden.

Ende des Jahres läuft diese Vorschrift aber aus, dann würde es automatisch wieder ein Vorverfahren geben und auch das kann man kürzer fassen: Dann muss ein Widerspruch beim Rat eingelegt werden.

Kuriose Fälle ergeben sich daraus im Einzelfall. Wenn ein Rat im Dezember noch über ein Bürgerbegehren berät, kommt es nämlich nicht darauf an, wann die Bürgermeisterin oder der Bürgermeister den Bescheid verschickt, sondern wann er bei den Vertretungsberechtigten ankommt. Geht der Verwaltungsakt in der Weihnachtspost unter und wird erst im neuen Jahr 2015 bei den Vertretungsberechtigten eingeworfen oder zugestellt, dann kann es sein, dass das Schreiben selbst noch mitteilt, man könne Klage einreichen. Tatsächlich gilt aber ab dem 01.01.2015 dann wieder das Widerspruchsverfahren.

Will man das eigentlich wieder, das Widerspruchsverfahren?

Das kommt darauf an, ob man eher den Worten oder eher den Taten des Düsseldorfer Landtags glaubt. Denn das Widerspruchsverfahren ist eigentlich schon seit November 2007 abgeschafft. Auch beteuern die Landesregierung und alle Fraktionen im Landtag, dass man grundsätzlich - von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen - direkt die Klage ermöglichen möchte. Soweit die warmen Worte.

Gleichzeitig hat sich der Landtag nicht getraut, in die Gemeindeordnung das Wort "Klage" hineinzuschreiben, sondern hat stattdessen den Oberbegriff "Rechtsbehelf" gewählt. Damit hat er sich alle Optionen offen gehalten.

Und als ob das für die Bürger nicht schon verwirrend genug wäre, hat er das Widerspruchsverfahren immer nur befristet ausgesetzt. So zum Beispiel bis Ende 2012. Erst Ende Oktober 2012 wurde die Frist dann um ein Jahr verlängert bis Ende 2013. Und als die Frist wieder abzulaufen drohte, wurde erneut das Gesetz um ein Jahr verlängert bis Ende 2014. Die Entscheidung wurde aber erst im Dezember 2013 bekannt gegeben. Und als ob man sich also nicht mehr daran erinnern könnte, dass hier keine ernsthaften Entscheidungen getroffen, sondern jeweils nur "Vertagungen" vorgenommen worden sind, ist der Landtag offenbar auch in diesem Jahr völlig überrascht, dass das Widerspruchsverfahren wieder auszulaufen "droht". Dabei hat er es selbst so beschlossen und weiß seit April dieses Jahres, dass sich die Landesregierung mit einem neuen Gesetzentwurf einbringen wollte. Das hat sie im Sommer getan. Zu spät aus der Sicht einiger Landtagsfraktionen. Denn man wusste schon im Juli nicht mehr, ob es überhaupt noch gelingen könnte, jetzt eine Beratung und Beschlussfassung bis Ende des Jahres durchzuführen.

Verrückte Welt also, könnte man meinen. Eigentlich will man kein Widerspruchsverfahren, aber abschaffen will man es auch nicht. Was bringt also die Zukunft?

Ab 2015 wird's dann hoffentlich noch klarer

Die Ankündigung, man könne das Gesetz evtl. nicht mehr bis Jahresende beraten und beschließen, dürfte wohl vor allen Dingen eine politische Drohung gewesen sein. Am 4. November nun wird eine öffentliche Anhörung im Landtag stattfinden, in den letzten Monaten wurden bereits schriftliche Stellungnahmen eingeholt. Die Bewertung von Gesetzentwurf und Ausschüssen ist dabei bislang eindeutig: die Befristung des Widerspruchsverfahrens wird aufgegeben, es wird ganz abgeschafft. Nur in einigen wenigen Bereichen, darunter auch im Jugendhilferecht, will das Landesrecht den Widerspruch noch ermöglichen. Ansonsten darf der "Rechtsbehelf" in der Gemeindeordnung also zukünftig und unbefristet mit "Klage" übersetzt werden.

Den Tag, an dem der Landtag NRW dies beschließt, kann man sich also getrost rot im Kalender anstreichen. Denn dann wird endlich wieder dauerhaft Rechtsklarheit herrschen. Das bisherige Hin und Her kurz vor Jahresende war für Bürgerinitiativen, Räte und Verwaltungen undankbar. Und die Unentschlossenheit des Gesetzgebers war auch kein Ruhmesblatt. Es ist also gut, wenn er sich nun - wie im Gesetzentwurf vorgeschlagen - endgültig entscheidet. Und ich bin sicher, das schafft er noch vor Jahresende.

Ende gut, alles gut?

Der Landtag hat es dann geschafft, den gordischen Knoten zu durchschlagen. Er muss sich nicht mehr jeden Herbst auf's Neue mit der Frage beschäftigen, wie er es denn nun mit dem Widerspruch hält. Aber er sollte das Thema auch nicht "für immer und ewig" aus dem Blick verlieren. Es lohnt sich gerade im Bereich der Bürgerbeteiligung, über Alternativen und Verbesserungen nachzudenken.

In Betracht käme so beispielsweise die Veränderung eines Widerspruchsverfahrens. Es könnte so vom Rat auf die Kommunalaufsicht verlagert werden. Handelt es sich tatsächlich bei der Feststellung der Zulässigkeit um eine gebundene Entscheidung ohne politischen Spielraum, so wäre hierbei kein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung der Gemeinde zu verzeichnen. Auch wäre es denkbar, das in anderen Bundesländern erprobte Optionsmodell einzuführen, wonach die Bürger selbst entscheiden können, entweder Widerspruch einzulegen oder direkt Klage zu erheben. In Bayern gibt es hiermit praktische Erfahrungen.

Ergänzend wird u.a. vom Fachverband Mehr Demokratie seit vielen Jahren empfohlen, eine Ombudsstelle zu installieren, die unabhängig Bürgerinitiativen und Bürgerbegehren einerseits, Politik und Verwaltung andererseits über Verfahren des Bürgerbegehrens und Bürgerentscheids berät. Dieser Stelle käme eine größere Unabhängigkeit zu, als sie eine Beratung durch die Gemeinde selbst gewährleisten könnte. Durch eine präventive Einbindung der Ombudsstelle bereits im Vorfeld der Entscheidung über die Zulässigkeit eines Begehrens könnten überdies förmliche Rechtsmittelverfahren, sowohl als Widerspruchsverfahren als auch als Klageverfahren, entbehrlich gemacht werden. Der Ombudsstelle könnte es auch gelingen, den vereinzelt konfrontativen Umgang von Bürgerbegehren und Gemeinden dahingehend zu entschärfen, eine gemeinsame politische Streit- und Sachentscheidungskultur zu fördern.

Auch im Vorfeld könnte der Rechtsschutz von Bürgerbegehren bereits verbessert werden. Analog zur Vorabprüfung bei einem Volksbegehren (§§ 7 bis 10 VIVBVEG NRW) wäre auch auf kommunaler Ebene eine Prüfung mit verbindlichem Prüfungsergebnis durch den Rat oder den Bürgermeister denkbar.

Bereits bei der derzeitigen Rechtslage besteht die Option, sich vom Rat eine Zusicherung im Sinne des § 38 VwVfG NRW geben zu lassen, die auf die Zulässigkeitserklärung des Bürgerbegehrens gerichtet ist und lediglich die formelle Frage der erforderlichen Anzahl der Stimmen ausklammert. Diese Möglichkeit sollte ebenfalls begleitend zu anderen Maßnahmen ausgebaut und praxistauglich gestaltet werden. Dies würde Rechtsfragen bereits ins Vorfeld der endgültigen Entscheidungsfindung verlagern und mögliche Widerspruchs- und Klageverfahren am Ende des Bürgerbeteiligungsprozesses entbehrlich machen.

Derartige Ergänzungen würden auch unterstreichen, dass die Verfahren von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid nicht in erster Linie Verfahren juristischer Auseinandersetzung sein sollen. Sie sollen vor allem eine sinnvolle und sachgerechte Entscheidung in der Kommune ermöglichen. Dem sollte der Gesetzgeber auch bei der zukünftigen Überprüfung immer wieder neu angemessen Rechnung tragen.

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