Rechtsrat bei sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen

Mehr zum Thema: Strafrecht, Sexueller Missbrauch, Schutzbefohlenen, Betreuung, Strafen, Erziehung, Ausbildung, Vorsatz
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Erläuterung des Missbrauchstatbestands nach § 174 StGB in einem Betreuungsverhältnis und die dazugehörigen Strafen

Einleitung

Der folgende Artikel richtet sich an Beschuldigte wie Opfer von sexuellem Missbrauch an Schutzbefohlenen und soll hierzu leicht verständliche und vor allem aktuelle Informationen zur Gesetzeslage und Rechtsprechung geben.

Der sexuelle Missbrauch von Schutzbefohlenen betrifft anders als beim sexuellen Missbrauch von Kindern ganz besondere Personen, nämlich solche, die einem besonderen Schutz unterliegen, weil sie zu dem Täter in einem besonderen Verhältnis stehen. Deshalb ist das Schutzalter, also bis zu welchem Alter ein sexueller Missbrauch strafbar ist, höher als beim sexuellen Missbrauch von Kindern ausgestaltet.

Der Missbrauchstatbestand

Des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener macht sich insoweit strafbar (mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren), wer sexuelle Handlungen vornimmt:

1. an einer Person unter sechzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,

2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut oder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder

3. an seinem noch nicht achtzehn Jahre alten leiblichen oder angenommenen Kind.

4. Gleiches gilt für denjenigen, der die sexuelle Handlungen vor dem Schutzbefohlenen vornimmt oder den Schutzbefohlenen dazu bestimmt, dass er sexuelle Handlungen vor ihm vornimmt, um sich oder den Schutzbefohlenen hierdurch sexuell zu erregen.

Zu 1.:

Geschützt sind zunächst alle Personen unter 16 Jahren, die dem Täter zur Erziehung, Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut sind.

Jugendliche unter 16 Jahren, die zu dem Täter lediglich in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis stehen, sind nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des Missbrauchs der Abhängigkeit (siehe unten) geschützt;

Zur Erziehung anvertraut ist der Jugendliche demjenigen, der verpflichtet ist, die Lebensführung des Jugendlichen und damit auch dessen geistig-sittliche Entwicklung zu überwachen und zu leiten. In Betracht kommen hier in erster Linie die Eltern oder Adoptiveltern, ferner Pflegeeltern, der Vormund und Pfleger (soweit dieser auch für die Person des Jugendlichen zu sorgen hat). Auch zwischen Großeltern und Enkeln kann im Einzelfall ein Obhutsverhältnis bestehen. Bei Stiefeltern und anderen im selben Haushalt lebenden Personen genügt nicht schon die Hausgemeinschaft. Es kommt vielmehr auf die tatsächliche Überlassung der (Mit-)Erziehungsgewalt an. Dafür kann es genügen, wenn sich der Stiefvater im Einvernehmen mit der Mutter um die Erziehung des Minderjährigen kümmert. Auch dem unterrichtenden Lehrer und dem Schulleiter sind Schüler zur Erziehung anvertraut und zwar auch außerhalb der Unterrichtszeit. Im Allgemeinen gilt dies aber nicht bei anderen Lehrern seiner Schule.

Geistliche (Konfirmandenunterricht oder Jugendkreis), Tagespflegepersonen, Erzieher in Tagesgruppen, Heimerzieher, das für die Erziehung verantwortliche Personal in Tageseinrichtungen, Internaten und Jugendwohnheimen fallen gleichfalls hierunter.

Ist ein solches Verhältnis begründet, so endet es nicht aber allein deswegen, weil das Stiefkind den gemeinsamen Haushalt verlässt. Ein auf einer endgültigen Trennung beruhender Auszug der Mutter mit dem Kind beendet dagegen das Verhältnis. Andererseits kann es aber auch von der Mutter beendet werden, obwohl das Kind im gemeinsamen Haushalt verbleibt. Zwar ist eine längere Dauer des Verhältnisses nicht erforderlich, jedoch genügen nur gelegentliche Besuche in der Wohnung nicht.

Zur Ausbildung anvertraut ist jemand, wenn es primär auf die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten auf einem bestimmten Gebiet, namentlich zur Vorbereitung auf einen Beruf oder eben die Erziehung an sich ankommt. Zur Ausbildung anvertraut ist insbes. der Lehrling (Auszubildender) dem Ausbilder bzw. dessen Vertreter. Auch Volontär- und Praktikantenverhältnisse, selbst Anlernverhältnisse können hierzu gehören. Zu verlangen ist aber stets, dass die Ausbildung im Rahmen eines gewissen Über- und Unterordnungsverhältnisses von allgemein geistiger Art erfolgt. Ferner, dass die Persönlichkeit des Minderjährigen im Sinne eines Erziehungselements durch die Ausbildung zugleich irgendwie mitgeprägt wird. Erfasst werden dann aber auch Tathandlungen außerhalb von Ausbildungszeit und Ausbildungsort. Die bloße Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten in einem bestimmten Wissens- und Lebensbereich genügt für sich allein genommen nicht. Kein Ausbildungsverhältnis im Sinne des § 174 StGB besteht daher in der Regel zwischen Fahrlehrer und Fahrschüler sowie beim Unterricht in einer Tanz- oder in einer Musikschule.

Zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist ein Minderjähriger dem Täter dann, wenn dieser während einer gewissen Dauer jedenfalls auch für das geistig-sittliche Wohl des Minderjährigen verantwortlich ist. Damit sind lediglich intensivere, keine nur einmaligen, unbedeutenderen Betreuungsverhältnisse gemeint. Daher gehören z.B. der Babysitter, aber auch der Jugendherbergsvater und der Pkw-Fahrer, dem ein Mädchen für eine mehrstündige Autofahrt anvertraut worden ist, nicht hierher. Auch ein vierwöchiger Aufenthalt im Haushalt des Lebensgefährten der Mutter genügt hierfür nicht. Auch bei Nachhilfe- oder Tennisunterricht sind diese Anforderungen nicht ohne Weiteres erfüllt.

Ein Betreuungsverhältnis besteht z.B.:

  • Zwischen den Teilnehmern eines Zeltlagers und dem Lagerleiter.
  • Dem Ferienkind oder der für längere Zeit in den Haushalt aufgenommenen Jugendlichen und dem Gastgeber.
  • Dem Trainer oder Begleiter einer Schülermannschaft und einem Schüler.
  • Unter Umständen auch zwischen sehr jugendlichen Hausangestellten, die in den Haushalt aufgenommen sind und dort versorgt werden und den sie beschäftigenden Erwachsenen.

Kein Betreuungsverhältnis besteht, sofern nicht besondere Umstände hinzukommen, zwischen dem Arzt und seinem minderjährigen Patienten. Ebenso besteht zwischen einem Pfarrer und jugendlichen Gemeindemitgliedern nicht allein schon deshalb ein Betreuungsverhältnis, weil er tatsächlich auf deren Lebensführung Einfluss hat. Dies ist erst dann der Fall, wenn das fragliche Verhältnis über die allgemeinen seelsorgerischen Beziehungen zu den Mitgliedern einer Kirchengemeinde „deutlich hinausgeht".

Zu 2.:

Nur unter der zusätzlichen Voraussetzung eines besonders festzustellenden Missbrauchs der Abhängigkeit werden vom Gesetz auch Personen unter 18 Jahren geschützt, wenn sie dem Täter entweder zur Erziehung usw. anvertraut (siehe oben) oder ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet sind.

Dazu gehören alle privat- oder öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Arbeitsverhältnisse, unabhängig von ihrem Entstehungsgrund, der Art der zu leistenden Dienste und ohne Rücksicht darauf, ob das fragliche Verhältnis rechtswirksam besteht. Untergeordnet ist der Jugendliche dem Täter im Rahmen eines solchen Verhältnisses, wenn dieser sein (unmittelbarer oder mittelbarer) Vorgesetzter ist und wenn er daher dessen Weisungen, sei es auch nur in bestimmten Bereichen, zu befolgen hat. Bei nur kurzfristigen Arbeitsverhältnissen oder gelegentlichen Diensten kann der Tatbestand aber ggf. zu verneinen sein.

Zu 3.:

Ferner wird auch das noch nicht 18 Jahre alte leibliche (biologisch vom Täter abstammende) Kind oder das vom Täter angenommene (adoptierte) Kind geschützt. Im Unterschied zu Nr. 2 ist hier daher ein Missbrauch der Abhängigkeit nicht erforderlich. Da hier ohne Rücksicht auf Sorgerecht und Erziehungspflicht allein auf die natürliche oder durch Adoption begründete Elternschaft abgestellt wird, kommt es auch nicht darauf an, ob im Einzelfall ein Abhängigkeitsverhältnis tatsächlich besteht. Täter können daher nicht nur Elternteile sein, die das Sorgerecht verloren haben (z.B. Scheidung, Adoption des Kindes), sondern auch der von der Mutter getrennt lebende Vater, der nie in einer persönlichen Beziehung zu dem Kind gestanden hat. Stief- und Pflegeeltern fallen nicht hierunter (in Betracht kommen hier aber Nr. 1, 2), ebenso wenig Großeltern, da nur (leibliche oder angenommene) „Kinder" geschützt werden.

In allen Fällen (Nr. 1 bis 3) besteht die Tathandlung darin, dass der Täter sexuelle Handlungen „an" dem Schutzbefohlenen vornimmt oder von diesem an sich vornehmen lässt. Dies setzt jeweils eine körperliche Berührung voraus. Andernfalls kommt Nr. 4 (mit einem milderen Strafrahmen) in Betracht, so bei Manipulationen des Täters oder des Schutzbefohlenen an sich selbst oder mit einem Dritten. Im zweiten Fall muss die Handlung des Schutzbefohlenen die Merkmale einer sexuellen Handlung aufweisen (zu den sexuellen Handlungen von Kindern vgl. § 184g StGB RN 11). Die sexuelle Absicht des Täters allein genügt nicht. Im Übrigen ist zu unterscheiden:

In den Fällen der Nr. 1 und 3 genügt die bloße Tatsache sexueller Kontakte. Darauf, ob der Täter seine Stellung dazu ausgenutzt oder missbraucht hat, kommt es nicht an. Es genügt auch, wenn die Initiative von dem Schutzbefohlenen ausgegangen ist.

Im Falle der Nr. 2 ist dagegen zusätzlich erforderlich, dass der Täter die sexuelle Handlung unter Missbrauch der mit dem Erziehungs-, Ausbildungs-, Betreuungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit vornimmt usw.. Erforderlich ist, dass der Täter die auf seiner Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen beruhende innere Abhängigkeit des Jugendlichen für seine Zwecke ausnutzt. Wobei beiden Teilen der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen bewusst sein muss. Er muss also in irgendeiner Weise - und wenn auch nur versteckt - seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzen, um sich diesen gefügig zu machen. Dafür genügt es, wenn der Jugendliche in dem Täter eine Autoritätsperson sieht, der er Gehorsam schuldig zu sein glaubt, und der Täter dies bei seinem Vorgehen bewusst in Rechnung stellt.

Auch Gewaltanwendung genügt, wenn sie in der für den Jugendlichen erkennbaren Erwartung erfolgt, dass dieser infolge seiner Abhängigkeit später nichts dagegen unternehmen wird. Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn der Täter lediglich durch Versprechen von Vorteilen zum Ziel kommt, mag er diese auch nur kraft seiner Stellung gewähren können (z.B. Versprechen von Gehaltserhöhung). Hier nutzt er zwar seine Stellung aus, indem er Sondervorteile gewährt, missbraucht aber nicht die zu ihm bestehende Abhängigkeit. An einem Missbrauch fehlt es auch bei Bestehen einer ernsthaften Liebesbeziehung oder bei einer nicht im Zusammenhang mit der Abhängigkeit stehenden, sondern z.B. ausschließlich sexuell motivierten Initiative des Schutzbefohlenen. Dagegen entfällt ein Missbrauch nicht allein deshalb, weil der Täter schon vor Begründung des Abhängigkeitsverhältnisses sexuelle Beziehungen zu dem Opfer unterhalten hatte oder das Opfer zustimmt.

Vorsatz durch den Täter

Selbstverständlich ist Vorsatz erforderlich, der vor allem auch das Alter, das konkrete Obhutsverhältnis und die tatsächlichen Voraussetzungen des Missbrauchs umfassen muss. An letzterem fehlt es, wenn der Täter glaubt, der Jugendliche lasse sich aus Gründen mit ihm ein, die mit dem Obhutsverhältnis usw. in keinem Zusammenhang stehen.

Strafe bei sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen

Bei älteren Ersttätern kann aufgrund altersbedingter psychischer Veränderungen die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit zu prüfen sein. Bei Taten nach Nr. 3 kann die konkrete Ausgestaltung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täter und Opfer in die Strafzumessung einfließen. Ferner kann der Umstand, dass der Täter das Opfer „zum Sexualobjekt degradiert" oder besonders erniedrigt hat, strafschärfend berücksichtigt werden. Bei Serienstraftaten ist eine Gesamtstrafe auf Grund zusammenfassender Würdigung der Täterpersönlichkeit und der einzelnen Straftaten zu bilden. Hierbei ist auf das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinander, insbes. ihren Zusammenhang, ihre größere oder geringere Selbstständigkeit, die Häufigkeit ihrer Begehung, die Gleichartigkeit oder Verschiedenheit der verletzten Rechtsgüter und der Begehungsweisen sowie auf das Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts einzugehen.

Kein Strafschärfungsgrund ist es, dass das Opfer dem Täter nicht entgegengekommen ist und ihm auch keinen Anlass zu der Tat gegeben hat. Ebenso wenig, wenn der Täter eine besondere berufliche Stellung innehat. Eine Strafmilderung kann der Umstand begründen, dass beim Opfer die durch die Tat typischerweise eintretenden seelischen Schäden ausbleiben.

Bei Taten nach Nr. 1 ist sogar ein Absehen von Strafe möglich, wenn das Unrecht der Tat bei Berücksichtigung des Verhaltens des Schutzbefohlenen gering ist. Damit wird der Weite des Tatbestands des Abs. 1 Nr. 1 Rechnung getragen, nach dem jeder sexuelle Kontakt zwischen dem Täter und dem Schutzbefohlenen genügt, unabhängig davon, ob der Täter seine Stellung in irgendeiner Weise ausgenutzt hat. Hier kann von Strafe abgesehen werden, wenn das Unrecht gerade wegen des Verhaltens des Schutzbefohlenen als gering anzusehen ist; Bedeutung hat dies vor allem, wenn ein Jugendlicher, der die Bedeutung und Tragweite seines Handelns bereits einzuschätzen vermag, den Täter verführt oder die Tat bewusst erleichtert hat. Ferner bei Bestehen einer ernsthaften Liebesbeziehung.

Weitere aufbereitete Informationen zu den einzelnen Opfergruppen Kinder, Jugendliche und allgemeine Hinweise finden Sie unter den folgenden Links:

Rechtsrat bei sexuellem Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB

Rechtsrat bei sexuellem Missbrauch von Jugendlichen

Allgemeiner Rechtsrat bei sexuellem Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen

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