Pfusch am Bau oder hinzunehmende Unregelmäßigkeit?

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1. Baumangel

Bei in handwerklicher Einzelherstellung errichteten Gebäuden kann nicht die Exaktheit und Makellosigkeit erwartet werden, die man von industriell hergestellten Gebrauchsgütern gewohnt ist. Unregelmäßigkeiten wie kleine Risse, Kratzer, Farbabweichungen, Unebenheiten, Verschmutzungen und vorübergehende Feuchtigkeitserscheinungen beim Neubau sind manchmal unvermeidbar und müssen hingenommen werden.

Die Gerichtspraxis zeigt, dass gerade Streitigkeiten um Unregelmäßigkeiten erbittert und sehr emotional geführt werden. Bauherr und Käufer sind verärgert, dass das mit hohem Geldeinsatz erworbene Bauwerk nicht in allen Teilen den Idealvorstellungen entspricht. Handwerker, Bauunternehmer, Architekt und Verkäufer haben den Eindruck, dass es dem Bauherrn oder Erwerber lediglich darum geht, durch Einbehalte oder Rückforderungen wegen angeblichen "Kleinigkeiten" den Kaufpreis unverhältnismäßig reduzieren zu wollen. Nicht selten wird in der Praxis in beiden Richtungen über das Ziel hinausgeschossen: so gibt es einerseits den Unternehmer, der Risse jeglicher Breite als unvermeidbaren und als harmlosen Schwindriss ansieht und für unvermeidbar hält; andererseits gibt es aber auch den Bauherrn, der bei jedem kaum wahrnehmbaren Haarriss glaubt, eine grundlegende Sanierung des gesamten Bauwerks fordern zu können.

Der Bauherr, der Erwerber eines Neubaus, einer Eigentumswohnung oder eines modernisierten Altbaus kann vom Bauunternehmer oder Verkäufer eine mangelfreie Bauleistung erwarten. Nach § 633 Abs. 1 BGB und § 13 Nr. 1 VOB/B (2002) hat der Unternehmer dem Besteller zum Zeitpunkt der Abnahme seine Leistung frei von Sachmängeln zu verschaffen.

Bei Auseinandersetzungen im Bereich von Unregelmäßigkeiten ist den Parteien mit den gesetzlichen Definitionen in der Regel nicht sehr viel geholfen. Baumängel sind vom technischen Laien kaum einzuordnen. Ob eine anerkannte Regel der Technik verletzt oder ob eine Unregelmäßigkeit noch im Rahmen bestehender Toleranzwerte liegt, kann im Zweifelsfalle nur durch Einholen eines Sachverständigengutachtens geklärt werden. Auch das Gericht hat in der Regel nicht die Sachkunde und dementsprechend auch nicht die Befugnis, Unregelmäßigkeiten ohne Sachverständigengutachten entweder als Mangel oder als hinzunehmende Unregelmäßigkeit zu bewerten. Dies führt in der Praxis dazu, dass Auseinandersetzungen im Baurecht zeitraubend und kostenintensiv sind.

2. Rechtliche Einordnung von Unregelmäßigkeiten

Bei der Beurteilung von Unregelmäßigkeiten sind grundsätzlich drei Ergebnisvarianten denkbar:

  • Hinzunehmende Unregelmäßigkeit

    Liegen die kritisierten Unregelmäßigkeiten innerhalb der vertraglich festgelegten Grenzwerte bzw. überschreiten die Unregelmäßigkeiten die Toleranzen der allgemein anerkannten Regeln der Bautechnik nicht, liegt kein Mangel vor; die Unregelmäßigkeiten müssen als unvermeidbar und üblich hingenommen werden.

  • Deutlicher, nachzubessernder Mangel

    Ist die Gebrauchstauglichkeit durch die festgestellten Unregelmäßigkeiten deutlich beeinträchtigt, so liegt ein Mangel vor, der ohne Ansehen des dabei entstehenden Aufwands grundsätzlich nachzubessern ist. Derartige erhebliche Mängel sind nicht hinnehmbar. Dies gilt grundsätzlich auch bei rein optischen Beeinträchtigungen.

  • Geringer Mangel

    Ist die untere Grenze einer noch als "ausreichend" zu bezeichnenden Ausführungsqualität unterschritten, muss von einer mangelhaften Leistung gesprochen werden. Ist andererseits aber die Gebrauchstauglichkeit nur so gering beeinträchtigt, dass angesichts des erheblichen Aufwands eine Nachbesserung unverhältnismäßig ist, kommt in der Regel "nur" eine Minderung in Höhe des durch den Mangel verursachten Minderwerts in Betracht.

3. Bautechnische Problemkreise

Im Folgenden sollen einige in der Praxis regelmäßig auftauchende Problemkreise näher angesprochen werden. Diese Darstellung ersetzt naturgemäß nicht eine Feststellung vor Ort durch einen Bausachverständigen.

  • Risse

    Mauerwerkswände sind grundsätzlich so zu bemessen, konstruktiv zu gestalten und auszuführen, dass keine Risse entstehen. Risse sind in vielen gebräuchlichen Baustoffen aber nicht völlig vermeidbar. So sind z.B. Schwindrisse in Vollholzplatten naturgegeben. Zu bewerten ist auch nicht nur der Riss an sich, sondern insbesondere auch seine Folgen. So sollen z.B. in Putzen Haarrisse bis 0,2 mm Breite - soweit sie nur vereinzelt auftreten - grundsätzlich nicht zu bemängeln sein. Dies gilt aber nicht uneingeschränkt. Hat der Riss z.B. seine Ursache in einer nicht abgestimmten Festigkeit des Oberputzes gegenüber dem Unterputz, liegt ein beachtlicher Mangel vor. Bei bewitterten Bauteilen - vor allem Fassaden - muss auch bedacht werden, dass feine Haarrisse (<0,2 mm) nach einiger Zeit sehr deutlich sichtbar werden können, wenn es durch die Wasseraufnahme des Risses zu einer stärkeren Verschmutzung im Rissverlauf kommt.

  • Feuchtigkeit

    Aus technischer Sicht ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Neubau eine erhöhte Baufeuchte aufweist, die beim Erstbezug berücksichtigt werden muss. Dabei muss dem Nutzer klar sein, dass insbesondere bei außenseitig völlig abgedichteten Bauteilen die gesamte Baufeuchte durch die Beheizung und Belüftung der Räume abgegeben werden muss. Je nach Bauweise und Intensität der Belüftung und Beheizung kann nach mindestens einem und maximal ca. vier Jahren mit der Austrocknung des Neubaus gerechnet werden. Es gehört aber zu den Planungs-, Sorgfalts- und Prüfungspflichten aller am Bau Beteiligten, durch die Bauablaufplanung, Schutzmaßnahmen und ggf. Prüfungen die Feuchtigkeit auf ein möglichst geringes und unschädliches Maß zu beschränken. Tauwasserbildungen in Keller und in unbeheizten Nebenräumen oder auf Fensterscheiben sind zwar ebenfalls nicht grundsätzlich zu vermeiden, nach Möglichkeit muss diesem Schadensbild aber konstruktiv Rechnung getragen werden (z.B. durch Anbringen tauwasserspeichernder Zwischenschichten oder durch nach außen führende Tauwassersammelrinnen, etc.). Schimmelbildungen und Tapetenablösungen wegen Baufeuchte sind grundsätzlich nicht hinzunehmen. Bei Tiefgaragen kann es auch erforderlich werden, über den Stellplätzen tauwasserspeichernde Schichten anzuordnen, um Verätzungen auf dem Lack der parkenden Autos durch kalkangereichertes abtropfendes Oberflächentauwasser zu vermeiden.

  • Beton

    Beton wird aus natürlichen Ausgangsstoffen hergestellt. Rissbildungen und Farbabweichungen in Betonbauteilen sind deshalb praktisch nicht völlig vermeidbar. Angesichts der großen technischen Lebensdauer von Betonteilen ist es bei durchschnittlicher Bewitterung für die Korrosionsbeständigkeit unwesentlich, ob Risse 0,1 mm oder aber 0,4 mm breit sind. Dagegen können bei Betonbauteilen, die Abdichtungsfunktion gegen Druckwasser übernehmen, Rissweiten von 0,1 mm bereits große Bedeutung erlangen. Tausalzbelastete Flächen wie z.B. in einer Tiefgarage benötigen unabhängig von der Rissweite einen zusätzlichen Schutz (z.B. Beschichtung).

  • Flachdachkonstruktionen

    Oberflächen von Flachdächern können nicht als völlig ebene Fläche hergestellt werden. Sofern Dachkonstruktionen mit einem geplanten Gefälle unter 3° (ca. 5%) ausgeführt werden, ist bereichsweise stehendes Wasser (Pfützenbildung) auf der Dachfläche unvermeidbar. Allerdings muss dann dieser erhöhten Beanspruchung bereits planerisch durch "Sonderkonstruktionen" Rechnung getragen werden. Dazu gehört eine aufwendigere Abdichtungstechnik und ein schwerer Oberflächenschutz (z.B. Kiesschüttung, Begründung). Wenn man Pfützen sicher vermeiden will, muss von Anfang an ein deutliches Gefälle der Dachfläche eingeplant werden, das mindestens 3° betragen sollte.

  • Sichtmauerwerk

    Die zulässigen Maßabweichungen liegen (nach DIN 105 Teil 1) in Bezug auf die für Sichtmauerwerk üblichen Steinformate hinsichtlich der Steinhöhe bei 3-6 mm und hinsichtlich der Steinbreite bei 6-10 mm. Durch die Mauerwerksfugen sollen die Unregelmäßigkeiten der Steine ausgeglichen werden. In der Regel soll die Breite der Lagerfugen (horizontal verlaufend) im Mittel 1,2 cm und die der Stoßfugen (vertikal verlaufend) im Mittel 1 cm betragen. Trotz Einhaltung dieser Toleranzen müssen aber laufend stark variierende Fugenbreiten nicht hingenommen werden, wenn sie zu einem sehr unregelmäßigen Fugenbild führen.

  • Optische Unregelmäßigkeiten

    Hier ist zu klären, wie stark der Grad der optischen Beeinträchtigung ist, d.h. z.B. ob die optische Beeinträchtigung auffällig oder nur bei genauerem Hinsehen und Hinweis erkennbar ist. Es gilt als Grundsatz, dass die Beeinträchtigungen unter gebrauchsüblichen Bedingungen zu beurteilen sind, also z.B. Farbungleichheiten im Sichtbeton einer Tiefgarage sind unter den Beleuchtungsverhältnissen der üblichen Nutzung der Tiefgarage zu bewerten und nicht unter den Beleuchtungsverhältnissen eines Fotostudios. Weiterhin ist zu berücksichtigen, welche Bedeutung das optische Erscheinungsbild für das jeweilige Bauteil hat. In einem Abstellraum ist eine andere Bewertung vorzunehmen als in einer repräsentativen Eingangshalle.


Martin Spatz
Rechtsanwalt

www.raspatz.com