Nicht ins Blaue!

Mehr zum Thema: Grundrechte, Verfassung, Kennzeichen, KFZ, Überwachung, Datenverarbeitung, Datenschutz, Selbstbestimmung
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Wieder musste das Verfassungsgericht Datenverarbeitungsregelungen kassieren. Diesmal war es die Überwachung von KfZ durch Erfassen der Kennzeichen.

Das BVerfG 1 BvR 2074/05 und 1254/07 hat Grenzen gesetzt:

Eine automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen zwecks Abgleichs mit dem Fahndungsbestand greift dann, wenn der Abgleich nicht unverzüglich erfolgt und das Kennzeichen nicht ohne weitere Auswertung sofort und spurenlos gelöscht wird, in den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ein.

Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ermächtigungsgrundlage richten sich nach dem Gewicht der Beeinträchtigung, das insbesondere von der Art der erfassten Informationen, dem Anlass und den Umständen ihrer Erhebung, dem betroffenen Personenkreis und der Art der Verwertung der Daten beeinflusst wird.

Die bloße Benennung des Zwecks, das Kraftfahrzeugkennzeichen mit einem gesetzlich nicht näher definierten Fahndungsbestand abzugleichen, genügt den Anforderungen an die Normenbestimmtheit nicht.

Die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen darf nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist im Übrigen nicht gewahrt, wenn die gesetzliche Ermächtigung die automatisierte Erfassung und Auswertung von Kraftfahrzeugkennzeichen ermöglicht, ohne dass konkrete Gefahrenlagen oder allgemein gesteigerte Risiken von Rechtsgutgefährdungen oder -verletzungen einen Anlass zur Einrichtung der Kennzeichenerfassung geben.

In einem sehr detaillierten Urteil setzt sich das Gericht mit der ebenso weitreichenden wie verwirrenden Rechtslage auseinander und setzt Grenzen staatlicher Regulierungswut.

Das Urteil ist sehr differenziert, mit dem Blick juristischer Vernunft werden sowohl die Grundrechtsinhalte als auch die Grenzen ermittelt. Der Gesetzgeber wird nicht zur Tatenlosigkeit verurteilt. Er soll Maß wahren und darüber durch Gesetz Klarheit schaffen.

Den Landesgesetzgebern stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um eine im Rahmen ihrer Zuständigkeit verbleibende und sowohl hinreichend bestimmte als auch angemessene Eingriffsermächtigung zu schaffen.

Die Regelung über die automatisierte Erfassung der Kraftfahrzeugkennzeichen kann die verfassungsrechtlich geforderten Eingriffsvoraussetzungen auf verschiedenen Ebenen normieren: durch einengende Regelungen erstens für die Aufnahme in die zulässigen Abgleichsdatenbestände, etwa über den Fahndungsbestand, zweitens im Hinblick auf die Erfassung der Kennzeichen selbst und drittens betreffend die weitere Verwertung der gewonnenen Informationen. Diese Ebenen sind in Bezug auf die Prüfung der Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit der Ermächtigung zur Kennzeichenerfassung in ihrem Zusammenwirken zu sehen.

Eine grundrechtsgemäße Regelung zu finden, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Dieser hat die verfolgten Zwecke und abzuwehrenden Rechtsgutbedrohungen tatbestandlich einzugrenzen und zu gewährleisten, dass unangemessene Grundrechtseingriffe durch hinreichende gesetzliche Eingriffsvoraussetzungen wirksam verhindert werden.

Ein vorbildliches Urteil. Kann man nur hoffen, dass die Botschaft aus Karlsruhe in Berlin auch ankommt und nicht jedes Vorhaben des Gesetzgebers auf diesem Gebiet erst in Karlsruhe seine Verfassungskonformität erhält.

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