Mitwirkung von Naturschützern und Bürgern an umweltbelastenden Planungen
Mehr zum Thema: Verwaltungsrecht, Planfeststellung, Planfeststellungsverfahren, Naturschutzverband, KlagebefugnisSachverhalt
Von Rechtsanwalt Matthias Möller-MeineckeDas Mitwirkungsrecht eines anerkannten Naturschutzverbandes aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987 kann nicht nur durch die unzureichende oder gänzlich unterlassene Beteiligung an einem durchgeführten Planfeststellungsverfahren, sondern auch durch ein rechtswidriges Ausweichen in ein nichtbeteiligungspflichtiges Verfahren verletzt sein.
Die Geltendmachung dieser Rechtsverletzung eröffnet in Planfeststellungsverfahren etwa für Straßen, Eisenbahnstrecken, Wasserstraßen oder beim Flughafenausbau auch den Bürgern erstmals ein Mitwirkungsrecht durch Einsicht in die Planunterlagen und der Geltendmachung einer „Einwendung".
OVG Münster, Urteil vom 17.12.2004 - 21 A 102/00
Als anerkannter Naturschutzverband wandte sich der Kläger gegen die Zulassung des Rahmenbetriebsplans für die Fortführung des Braunkohlentagebaus Hambach im Dreieck zwischen den Städten Köln, Aachen und Mönchengladbach. Am 16./17.12.1976 stellte der Braunkohlenausschuss einen Braunkohleplan mit der Bezeichnung Teilplan 12/1 - Hambach - auf, der mit Erlass vom 11.5.1977 für verbindlich erklärt wurde. Er erstreckt sich über eine für den Abbau von Braunkohle vorgesehene Gesamtfläche von rund 85 km2.
Am 13.3.1978 ließ das Bergamt Köln einen (planerischen) Rahmenbetriebsplan und einen bergmännischen Betriebsplan zu. Beide Pläne erfassten eine Teilfläche von 23 km2 des dem Teilplan 12/1 - Hambach - zugrunde liegenden Gebiets, auf der bis zum Jahre 1995 etwa 282 Millionen Tonnen Braunkohle gewonnen werden sollten. Noch im Jahre 1978 wurde mit dem Aufschluss der Lagerstätte begonnen. Die Braunkohlengewinnung setzte im Jahre 1984 ein.
Unter dem 3.5.1993 stellte die Beigeladene einen Rahmenbetriebsplan für die Fortführung des Tagebaus Hambach von 1996 bis 2020 - im Folgenden: Rahmenbetriebsplan Hambach 1993 - auf. Die danach vorgesehene Abbaufläche schließt mit ihrer westlichen Grenze an den in den früheren Betriebsplänen beschriebenen und zugelassenen Tagebaustand an und erstreckt sich von dort aus weiter in südöstlicher Richtung. Die südliche Begrenzung entspricht dem voraussichtlichen Tagebaustand im Jahre 2020.
Das beklagte Bergamt gelangte nach Abstimmung mit anderen Behörden zu der Auffassung, für die Zulassung des Rahmenbetriebsplans sei die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nicht notwendig, und verzichtete deshalb auf ein Planfeststellungsverfahren, an dem der Kläger hätte beteiligt werden müssen. Dem Kläger wurde aber dennoch Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.
Mit Bescheid vom 17.8.1995 ließ das beklagte Bergamt den Rahmenbetriebsplan Hambach 1993 befristet bis zum 31.12.2020 und mit zahlreichen Nebenbestimmungen zu. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies das Landesoberbergamt NRW zurück.
Mit seiner Klage machte der Kläger im Wesentlichen geltend, sein Mitwirkungsrecht aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987 sei verletzt, weil das beklagte Bergamt die erforderliche Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit Umweltverträglichkeitsprüfung unterlassen habe.
Die Klage und auch die Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg.
Die Gerichtsentscheidung
Die Anfechtungsklage des Naturschutzverbandes gegen den Rahmenbetriebsplan ist statthaft, denn der klagende Naturschutzverband verfügt über die erforderliche Klagebefugnis. Sie ergibt sich aus der von ihm geltend gemachten Verletzung des Mitwirkungsrechts nach dem Naturschutzrecht (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987). Nach dieser Bestimmung ist einem rechtsfähigen Verein in Planfeststellungsverfahren über Vorhaben, die mit Eingriffen in Natur und Landschaften im Sinne des § 8 BNatSchG 1987 verbunden sind, Gelegenheit zur Äußerung sowie zur Einsichtnahme in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben, soweit der Verein anerkannt ist und durch das Vorhaben in seinem satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt wird.
Das durch § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987 den anerkannten Naturschutzverbänden eingeräumte Mitwirkungsrecht stellt ein selbständig durchsetzbares, subjektiv-öffentliches Recht auf Beteiligung am Verfahren und nicht lediglich eine objektive Pflicht der zuständigen Behörde zur Anhörung und Beteiligung des anerkannten Verbandes dar.
Vgl. grundlegend BVerwG, Urteil vom 31.10.1990 - 4 C 7.88 -, BVerwGE 87, 62 = Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 2 = DÖV 1991, 291 = DVBl. 1991, 214 = NVwZ 1991, 162.
Der Kläger kann sich auf eine Verletzung der sich aus dieser Vorschrift ergebenden Rechtsposition berufen. Bei dem Kläger handelt es sich um einen nach § 29 Abs. 2 BNatSchG 1987 anerkannten Verband. Er ist als Verband nach § 29 BNatSchG anerkannt worden. Das streitgegenständliche Vorhaben berührt den Kläger auch in seinen satzungsgemäßen Aufgaben. Der Kläger hat geltend gemacht, durch die Zulassung des Rahmenbetriebsplans Hambach 1993 in seinem Mitwirkungsrecht aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987 verletzt zu sein. Mit seinem Einwand, anstelle des tatsächlich erfolgten Verfahrens auf Zulassung eines fakultativen Rahmenbetriebsplans im Sinne von § 52 Abs. 2 BBergG vom 13.8.1980 (BGBl. I S. 1310) i.d.F. vom 12.2.1990 (BGBl. I S. 215) hätte ein Planfeststellungsverfahren im Sinne von § 52 Abs. 2 a BBergG durchgeführt werden müssen, beruft sich der Kläger auf eine Verletzung dieses Mitwirkungsrechts. Träfe seine Rechtsauffassung zu, läge eine solche Rechtsverletzung tatsächlich vor.
Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, der Kläger könne sich schon deshalb nicht auf ein Mitwirkungsrecht aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987 berufen, weil tatsächlich kein Planfeststellungsverfahren durchgeführt worden und deshalb ein Mitwirkungsrecht erst gar nicht entstanden sei. Dieser Einwand trägt dem Schutzzweck der Regelung nur unzureichend Rechnung. Die Mitwirkung anerkannter Naturschutzverbände zielt darauf, eine möglichst effektive Berücksichtigung der Belange von Natur und Umwelt bei umweltrelevanten Vorhaben sicherzustellen. Angesichts dessen kann das Mitwirkungsrecht nicht nur durch die unzureichende oder gänzlich unterlassene Beteiligung des anerkannten Naturschutzverbands an einem durchgeführten Planfeststellungsverfahren, sondern auch durch ein rechtswidriges Ausweichen in ein nichtbeteiligungspflichtiges Verfahren verletzt sein.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.5.1997 - 11 A 43.96 -, BVerwGE 104, 367 = Buchholz § 442.09 § 18 AEG Nr. 26 = DVBl. 1997, 1123 = NuR 1997, 506 = NVwZ 1998, 279; OVG Bbg., Urteil vom 28.6.2001 - 4 A 115/99 -, NuR 2002, 685 = ZfB 2001, 257; HessVGH, Urteil vom 1.9.1998 - 7 UE 2170/95 -, ESVGH 49, 45 = NuR 1999, 159 = NVwZ-RR 1999, 304; OVG NRW, Urteil vom 18.7.1997 - 21 B 1717/94 -, GewArch 1998, 214 = NuR 1997, 617 = NWVBl. 1998, 18 = ZfB 1997, 141; OVG LSA, Urteil vom 29.3.1995 - 4 L 299/93 -, DÖV 1995, 780 = NuR 1995, 476; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17.11.1992 - 10 S 2234/92 -, DVBl. 1993, 163 = NuR 1993, 144 = NVwZ-RR 1993, 179 = UPR 1993, 194; Nds. OVG, Urteil vom 27.1.1992 - 3 A 221/88 -, NuR 1992, 293 = NVwZ 1992, 903 = UPR 1992, 394 = ZfB 1992, 514.
Dieser Grundsatz kommt uneingeschränkt für das im vorliegenden Zusammenhang relevante Verhältnis zwischen der Zulassung eines fakultativen Rahmenbetriebsplans und derjenigen eines obligatorischen Rahmenbetriebsplans zum Tragen. Auch wenn mit der Zulassung eines Rahmenbetriebsplans für den Bergwerkunternehmer nicht unmittelbar die rechtliche Grundlage geschaffen wird, das zugrunde liegende Bergbauvorhaben durchzuführen, dokumentiert die Zulassung eines fakultativen Rahmenbetriebsplans zugleich die - für das Mitwirkungsrecht der anerkannten Naturschutzverbände relevante - Entscheidung, dass ein Planfeststellungsverfahren nach § 52 Abs. 2 a BBergG als nicht erforderlich angesehen wird. Mit dieser Entscheidung ist die Rechtsposition eines anerkannten Naturschutzverbands aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987 - wie vorliegend diejenige des Klägers - betroffen.
Vgl. in diesem Zusammenhang OVG Bbg., Urteil vom 28.6.2001 - 4 A 115/99 -, a.a.O.
Einer sich aus der geltend gemachten Verletzung des Mitwirkungsrechts aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG 1987 ergebenden Klagebefugnis kann nicht mit Erfolg entgegen gehalten werden, der Kläger sei zu dem geplanten Vorhaben tatsächlich gehört worden und habe tatsächlich Gelegenheit erhalten, in die den Naturschutz und die Landschaftspflege betreffenden Unterlagen Einsicht zu nehmen und hierzu eine Stellungnahme abzugeben. Insofern hat das VG zutreffend darauf hingewiesen, dass dieser Gesichtspunkt für die Zulässigkeit der Klage nicht relevant ist, sondern allenfalls zur Unbegründetheit der Klage führen kann.
Ob sich über die geltend gemachte Verletzung des Mitwirkungsrechts aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BNatSchG hinaus eine Klagebefugnis des Klägers auch aus anderen ihm zustehenden subjektiv-öffentlichen Rechten ergeben kann, bedarf an dieser Stelle keiner Vertiefung, da schon die geltend gemachte Verletzung des Mitwirkungsrechts ausreicht, um die Klagebefugnis zu bejahen.
Der Hauptantrag wurde als unbegründet abgewiesen, was hier nicht weiter kommentiert werden soll.
Wirkung für die Praxis
Die Entscheidung stärkt das Mitwirkungsrecht der Naturschutzverbände, weil diese bei rechtswidriger Nichtdurchführung oder Umgehung der folgenden Verfahren mit Aussicht auf Erfolg die dann erlassene Entscheidung anfechten können:
- Planfeststellungsverfahren
- Plangenehmigungen mit Öffentlichkeitsbeteiligung für Bundesfernstraßen
- Landschaftsprogramm zum Landesentwicklungsplan
- Landschaftsrahmenplan zum Raumordnungsplan bzw. Regionalplan
- Landschaftsplan zum Flächennutzungsplan
- Landschaftsplan/ Grünordnungsplan zum Bebauungsplan, falls im Landesnaturschutzgesetz vorgeschrieben
- Prüfung der Verträglichkeit eines Projektes mit den Erhaltungszielen eines EU-Natura 2000 Gebietes vor deren Aufnahme in Raumordnungspläne
- Befreiungen von Verboten und Geboten zum Schutz von Schutzgebieten nach dem Naturschutzrecht
Hinzu kommen weitere nach dem jeweiligen Landesnaturschutzrecht zur Mitwirkung eröffnete Verfahren.
Diese auch einklagbare Mitwirkung wird die Neigung der Behörden mindern, die gesetzlich gebotene Verfahrensart zu umgehen und so eine unliebsame Beteiligung der Naturschutzverbände oder der Öffentlichkeit zu umgehen. Materiell wird dies das Vollzugsdefizit des Naturschutzrechts mindern.
Zugleich sichert die Entscheidung auch das Mitwirkungsrecht der Bürger in umweltbelastenden Planungsverfahren. Denn indem ein Naturschutzverband mit seiner Rüge ein Planfeststellungsverfahren erzwingt, eröffnet er auch damit ein gesetzlich verankertes Mitwirkungsrecht der Bürger in diesem Verfahren.
Matthias Möller-Meinecke, Rechtsanwalt
http://www.Moeller-Meinecke.de