Kavaliersdelikte - eine Verharmlosung?

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Das macht doch jeder? Wie aus vermeintlichen Bagatellen schnell ein Diebstahl mit Waffen werden kann

Mal eben die zwei Blumen dort im Garten pflücken - ist das ein lupenreiner Diebstahl oder "doch nicht so schlimm"? Und was passiert, wenn der Pflücker ein Messer dabei hat? 123recht.de im Interview mit Rechtsanwalt Till Seitel, Fachanwalt für Strafrecht aus Darmstadt, über Kavaliere, Bagatellen, Blumen, Hotelhandtücher und Schweizer Taschenmesser.

"Kavaliersdelikte werden häufig mit Bagatelldelikten gleichgesetzt"

123recht.de: Herr Seitel, was ist ein Kavaliersdelikt?

Rechtsanwalt Seitel: Der Begriff hat seine Wortherkunft in Vergehen von Adligen, die nicht zum Ehrverlust führten – der Täter blieb „Kavalier", beispielsweise nach einer illegitimen Vaterschaft mit einer Frau niedrigen Standes.

Der Begriff des Kavaliersdelikts rührt vom natürlichen Verbrechensbegriff her: Das Kavaliersdelikt ist Teil der Delikte, die keinen immanenten Unrechtsgehalt (sog. delicta mala per se) haben, sondern einfach gesetzlich verboten sind (delicta mala mere prohibita).

Kavaliersdelikte werden häufig mit Bagatelldelikten gleichgesetzt, die aus Bequemlichkeit begangen werden (Verstoße gegen die Straßenverkehrsordnung u. a.). Regelmäßig treffen Kavaliersdelikte aber die Allgemeinheit, so dass der Schaden zwar durch öffentliche Mittel kompensiert werden kann, der Unrechtsgehalt aber trotzdem vorhanden ist.

Das Empfinden für ein Kavaliersdelikt ist zeitlichen und gesellschaftlichen Schwankungen unterworfen. Gegenwärtig betrachten viele Menschen falsche Angaben in Steuererklärungen, das Schwarzfahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Urheberrechtsverletzungen als Kavaliersdelikte (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kavaliersdelikt, vom 30.07.2015).

Pflücken von Blumen in fremden Gärten ist Diebstahl

123recht.de: Ich habe mir mal zu Schulzeiten in einer Nacht und Nebel Aktion aus mehreren Vorgärten Blumen zusammengesucht und meiner Mutter daraus einen Strauß zum Muttertag hingestellt. Die Sache flog auf und meine Mutter war wenig begeistert. War es eigentlich auch Diebstahl, vielleicht sogar in mehreren Fällen, da ich immer ein bis zwei Blumen pro Garten mitnahm?

Rechtsanwalt Seitel: Der Diebstahl ist in § 242 StGB geregelt. Hier heißt es: "Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

Bei den verschiedenen Blumen handelt es sich um fremde bewegliche Sachen. Die Blumen stellen damit taugliche Tatsubjekte im Sinne des § 242 StGB. Durch das „Abpflücken" der Blumen haben Sie eine „Wegnahme" begangen. Sie haben den ursprünglichen Gewahrsam der Garteninhaber an den Blumen gebrochen, indem Sie die Blümchen gepflückt haben. Mit Gewahrsam ist hier die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft gemeint (BGH 8, 275; 16, 271). Nachdem Sie die Blumen zu einem Strauß zusammengeflochten haben, haben Sie auch eigenen – also neuen – Gewahrsam an den Blümchen begründet. Spätestens in diesem Zeitpunkt war die Wegnahme beendet.

Unerheblich ist in diesem Fall, dass Sie eigentlich nur Gutes tun wollten und die Blümchen für die Frau Mama waren. Denn der Gesetzgeber stellt ausdrücklich auch die „Drittzueignungsabsicht" unter Strafe. Damit ist auch der Fall gemeint, in dem die gestohlenen Sachen nicht für einen selbst sind, sondern eben für eine „dritte" Person. Die Rechtsprechung verlangt die Absicht des Täters, aus der Drittzueignung zumindestens mittelbar einen eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu ziehen (GrSBGH 41, 187; 194). Hier könnte der eigene wirtschaftliche Vorteil in der Tatsache begründet sein, dass kein eigenes Geld für ein Blumenbesteck bei einem Händler ausgegeben werden musste.

Wenn zwischen den einzelnen Diebstählen ein zeitlicher Abstand im Sinne einer „Zäsur" bestanden hat, ist es sogar so, dass es sich um mehrere Fälle des Diebstahls handelt. Diese so genannte Tatmehrheit (vgl. § 53 StGB) führt dazu, dass jede Tat einzeln gewichtet und eine Gesamtstrafe gebildet wird. Hierbei darf die Summe der Einzelstrafen die Gesamtstrafe nicht überschreiten.

Diebstahl mit einem Messer wird mit Freiheitsstrafe geahndet

123recht.de: Zusätzlich hatte ich ein Schweizer Taschenmesser dabei, um die Blumen abzuschneiden... Verschlimmert das das Ganze noch?

Rechtsanwalt Seitel: Das Messer hätten Sie besser zuhause gelassen. Gemäß § 244 Abs. 1, Nr. 1 a StGB wird schon das „Beisichführen" einer Waffe strafschärfend berücksichtigt. Bei einem Messer ist die Klingenlänge dafür entscheidend, ob es sich um eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug handelt. Ein Schweizer Offiziersmesser erfüllt nicht den Waffenbegriff, gilt aber als gefährliches Werkzeug.

Der Gedanke ist, dass durch das Mitsichführen des Messers eine erhöhte Gefährlichkeit von dem Täter ausgeht. Für den Fall der Entdeckung wären Sie bewaffnet gewesen und es hätte zu Schlimmeren kommen können.

Subjektiv setzt das Beisichführen voraus, dass der Täter die Waffe oder das gefährliche Werkzeug bewusst gebrauchsbereit bei sich hat. Hier reicht das allgemeine, noch auf keinen bestimmten Zweck gerichtete Bewusstsein, ein funktionsbereites Werkzeug zur Verfügung zu haben, das (generell) geeignet ist (bei Waffen: bestimmt ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen (vgl. Fischer, StGB- Kommentar, § 244 Rn. 31, 61.Aufl.).

Durch das Messer verschärft sich die angedrohte Strafe gegenüber einem einfachen Diebstahl erheblich. Eine Geldstrafe ist nun nicht mehr möglich. Der Gesetzgeber sieht hierfür eine Strafe von 6 Monaten bis zu 10 Jahren Freiheitstrafe vor.

123recht.de: Diebstahl mit Waffen, darüber habe ich mir damals als Jugendlicher keine Gedanken gemacht. Wann verjährt sowas?

Rechtsanwalt Seitel: Grundsätzlich verjährt der einfache Diebstahl gemäß § 78 III Nr. 4 StGB in fünf Jahren. Sobald die Tat beendet ist, beginnt die Verjährung. Zu beachten ist aber, dass die Verjährung unterbrochen werden kann und es daher faktisch zu einer längeren Verjährungsfrist kommt. Die Verjährung kann z.B. durch eine Beschuldigtenvernehmung oder Hausdurchsuchung unterbrochen werden.

Da der besonders schwere Diebstahl (§ 243 StGB), der Diebstahl mit Waffen, Bandendiebstahl sowie Wohnungseinbruchsdiebstahl (§ 244 StGB) eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren begründen kann, beträgt die Verjährungsfrist hier stramme zehn Jahre, vgl. § 78 III Nr. 3 StGB.

123recht.de: Ok, der besagte Muttertag liegt sehr viel länger zurück. War es eigentlich auch Hausfriedensbruch?

Rechtsanwalt Seitel: Ein Hausfriedensbruch liegt vor, wenn jemand in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines anderen widerrechtlich eindringt, vgl. § 123 StGB.

Zur Bewertung, ob Ihre Aktion auch ein Hausfriedensbruch war, kommt es entscheidend darauf an, ob es sich bei den Vorgärten um befriedete Besitztümer gehandelt hat. Als befriedete Besitztümer sind von der Rechtsprechung anerkannt worden: ein Hofraum, eingefriedete Äcker und Wiesen, Weiden und Schonungen; Hausgarten, auch bei leicht überwindbarer Eingrenzung (vgl. Fischer, StGB-Kommentar, § 123 Rn. 9, 61. Aufl.).

In Ihrem Fall wird man wohl davon ausgehen können, dass Sie in einzelnen Fällen auch über einen Vorgartenzaun gestiegen sind. Dementsprechend haben Sie in diesen Fällen auch einen Hausfriedensbruch verwirklicht. Wobei die Diebstähle und die Hausfriedensbrüche in Tateinheit zueinander stehen würden.

123recht.de: Was ist mit Blumen in einem öffentlichen Park?

Rechtsanwalt Seitel: Wenn die Blumen in einem öffentlichen Park stehen, haben Sie zumindest keinen Hausfriedensbruch verwirklicht. Sicher ließe sich an das Betreten von „Zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmten Räumen" gemäß § 123 Abs.1, 2.Alt. StGB denken. Bei einem Park ist es aber so, dass es an einer räumlichen Abgrenzung fehlt. Der Park ist außerdem gerade dazu bestimmt, von der Öffentlichkeit betreten zu werden. Zum öffentlichen Verkehr bestimmte Räume sind z.B.Bahnhofshallen und Warteräume in Bahnhöfen (Bay NJW 77, 261).

Somit hätten Sie in diesem Fall zumindestens keinen Hausfriedensbruch begangen.

Diebstahl geringwertiger Sachen wird nur auf Antrag verfolgt

123recht.de: Darf ich im Supermarkt eine Erdbeere probieren?

Rechtsanwalt Seitel: Nein, Sie dürfen im Supermarkt keine Erdbeere probieren, es sei denn, der Ladenbesitzer stellt Obstproben ausdrücklich zum Verzehr auf.

Auch bei der Erdbeere handelt es sich um eine fremde bewegliche Sache von geringem Wert, deren Verbrauch per se den Tatbestand des Diebstahls erfüllt.

Natürlich ist es so, dass eine einzelne Traube nur einen sehr geringen Wert hat. Für diese und andere Fälle – in denen geringwertige Gegenstände gestohlen werden – sieht das Gesetz den § 248 a StGB vor. Hier heißt es: „Der Diebstahl und die Unterschlagung geringwertiger Sachen werden in den Fällen der §§ 242 und 246 nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält". Der BGH (Bundesgerichtshof) zieht die Grenze derzeit bei 25 € (vgl. 2 StR 176/04), alles darüber gilt nicht mehr als geringfügig.

Hiernach kommt es grundsätzlich nur zur Strafverfolgung, wenn der Geschädigte – in diesem Fall der Ladenbesitzer – einen Strafantrag stellt.

Arbeitgeber kann bei Diebstahl geringwertiger Sachen außerordentlich kündigen

123recht.de: Darf man Klopapierrollen aus öffentlichen Toiletten oder bei der Arbeit mitnehmen?

Rechtsanwalt Seitel: Auf der Arbeit dürfen Sie keine Klorollen mitnehmen.

Zwar handelt es sich auch bei den Klorollen um geringwertige Sachen, so dass auch hier ein Strafantrag von Seiten des Arbeitgebers nötig wäre. Zu beachten ist hierbei jedoch der arbeitsrechtliche Aspekt des Vorgangs. Durch diesen Diebstahl - wenn auch geringwertig – wird der Arbeitgeber in die Position versetzt, Ihnen außerordentlich kündigen zu können, d.h. eine fristlose personenbezogene Kündigung auszusprechen. Denn der Diebstahl stellt eine Pflichtverletzung (vorsätzliche Schädigung des Arbeitgeber-Eigentums) dar, die zu einer schweren Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses führt. Die Tatsache, dass nur ein relativ geringfügiger Schaden entstanden ist, ist nicht beim Kündigungsgrund an sich, sondern erst bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (BAG DB 2000, 48).

Eine Abmahnung wäre in solchen Fällen entbehrlich. Die Rechtsprechung sieht in einem solchen Verhalten auch eine derart schwerwiegende Verletzung des Vertrauensverhältnisses, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar ist.

Auch die Mitnahme von Seife im Hotel ist Diebstahl

123recht.de: In Hotels wird ja sehr viel mitgenommen. Ist es Diebstahl, wenn man Seife oder eine Creme einsteckt? Was ist mit einem Handtuch, oder Bademantel?

Rechtsanwalt Seitel: Handtücher und Bademantel sind mit Abstand die am meisten gestohlenen Gegenstände in einem Hotel. Danach folgen Kleiderbügel, Stifte, Besteck und Kosmetik. Dies hat eine Umfrage unter 700 Hoteliers ergeben.

Grundsätzlich ist es so, dass aus einem Hotelzimmer gar nichts mitgenommen werden darf. Die Gegenstände in einem Hotelzimmer – beweglich oder unbeweglich – stehen im Eigentum des Hotelinhabers. Eine Wegnahme dieser Gegenstände, bei weiterer eigener Verwendung, stellt ebenfalls einen Gewahrsamsbruch dar, der auch rechtswidrig ist.

Bestimmte Artikel in einem Hotelzimmer haben bloß einen geringen Wert, so dass deren Diebstahl wieder nur auf Antrag verfolgt werden würde. Aus diesem Grund unterscheiden die meisten Hotels auch zwischen Gebrauchsartikeln und Gegenständen, die zum Hotelbetrieb gehören. Unter Gebrauchsartikel fallen dann eben auch der Kugelschreiber, der Notizblock oder die Seife. Hier wird in der Regel eine Mitnahme durch den Gast geduldet. Sicher ist es jedoch besser, vorher beim Hotel abzuklären, ob solche Gegenstände mitgenommen werden können, oder eben nicht.

123recht.de: Werden solche Diebstähle von den Hotels verfolgt oder toleriert?

Rechtsanwalt Seitel: In den Fällen, in denen etwas aus dem Zimmer wegkommt, ist es schwer für die Hoteliers, den Diebstahl nachzuweisen. Dazu kommt, dass der Hotelier natürlich einen zufriedenen Kunden wünscht, der am besten wiederkommt. Aus diesem Grund wird die Mitnahme kleiner Sachen wie Seife oder Creme in der Regel nicht verfolgt. Auch bei Handtüchern und Bademänteln drücken die Hoteliers ein Auge zu. Es gibt aber auch vereinzelt Fälle, in denen die Gäste mit einem Schreiben höflich aber bestimmt zur Rückgabe der Sache oder dem Kauf aufgefordert werden.

123recht.de: Darf ich mir im Hotel beim Frühstück Brötchen für das Mittagessen schmieren?

Rechtsanwalt Seitel: Auch hier ist es so, dass der Verzehr der Brötchen beim Frühstücksbuffet zu erfolgen hat. Die Wegnahme zur späteren Verwendung beim Mittagessen wird von dem Gastwirt gerade nicht gewollt. Der Wille des Gastwirts ist also darauf gerichtet, dass die bereitgestellten Frühstücksutensilien nur im Rahmen des Frühstücks verbraucht werden. Hierdurch tritt eine Zweckbindung der Nahrungsmittel ein - beschränkt auf den Frühstücksverzehr.

Durch die Mitnahme der Brötchen erfolgt wieder ein Gewahrsamsbruch mit Begründung von neuem, in diesem Fall sogar tätereigenem Gewahrsam.

Ähnliches gilt im Übrigen für den Fall, dass etwas bei einem Brunch oder einer Hochzeit eingepackt wird. Anders ist es nur, wenn der Gastgeber Ihnen gestattet, sich etwas mitzunehmen. Hierin wäre dann strafrechtlich ein tatbestandsausschließendes Einverständnis zu sehen, das die Strafbarkeit des Diebstahls entfallen lassen würde.

123recht.de: Was droht?

Rechtsanwalt Seitel: Sollten Sie als Ersttäter bei einem Diebstahl erwischt werden, und handelt es sich nicht gerade um hochwertige Gegenstände, wird in der Regel ein Nettomonatseinkommen als Geldstrafe fällig werden.

123recht.de: Vielen Dank Herr Seitel!

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