Gleichbehandlung von Unterhaltsansprüchen aus erster und zweiter Ehe im Hinblick auf den Unterhaltsbedarf

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BGH kürzt Unterhalt der geschiedenen zugunsten neuer Ehefrau

Die Nachricht „BGH kürzt Unterhalt der geschiedenen zugunsten neuer Ehefrau" vom 23.11.2009 in der Rubrik „Vor Gericht" bezieht sich auf das Urteil vom 18.11.2009 des Bundesgerichtshofs (BGH) in dem Verfahren XII ZR 65/09. In der Pressemitteilung Nr. 238/2009 vom 23.11.2009 der Pressestelle des Bundesgerichtshofs hießt es hierzu:

„Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der geschiedene Ehemann die Herabsetzung des Unterhalts für die geschiedene Ehefrau verlangen kann, wenn er wieder geheiratet hat und nunmehr auch seiner neuen Ehefrau unterhaltspflichtig ist. In welchem Umfang er gegenüber der neuen Ehefrau unterhaltspflichtig ist, bestimmt sich dann allerdings nicht nach der frei wählbaren Rollenverteilung innerhalb der neuen Ehe, sondern nach den strengeren Maßstäben, wie sie auch für geschiedene Ehegatten gelten.

Die 1975 geschlossene kinderlose Ehe wurde 2003 geschieden. Seit der Scheidung ist der Kläger, ein Chemieingenieur, der Beklagten, die als Reinigungskraft arbeitet, zum sog. Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB) verpflichtet. Aus der Ehe des seit 2004 wieder verheirateten Klägers ist 2005 ein Sohn hervorgegangen. Außerdem adoptierte der Kläger im Jahr 2006 den 1997 geborenen Sohn seiner jetzigen Ehefrau. Diese ist nicht erwerbstätig. Der Unterhalt der Beklagten wurde zuletzt durch Urteil des Familiengerichts vom August 2007 auf mtl. 607 € festgesetzt. Bei der Unterhaltsberechnung wurden zwar die Unterhaltspflichten des Klägers gegenüber den beiden Kindern berücksichtigt, nicht aber die Unterhaltspflicht gegenüber seiner jetzigen Ehefrau. 

Das Amtsgericht und das Oberlandesgericht haben dem Herabsetzungsbegehren des Klägers unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs der neuen Ehefrau teilweise stattgegeben und den Unterhalt der Beklagten auf mtl. 290 € reduziert. Die vom Kläger für die Zeit ab 2008 begehrte weitere Herabsetzung wurde verneint, weil auch die neue Ehefrau nur teilweise unterhaltsbedürftig sei. Eine Befristung des Unterhalts haben beide Vorinstanzen abgelehnt.

Der Bundesgerichtshof hat seine bisherige Rechtsprechung (Senatsurteil BGHZ 177, 356 = FamRZ 2008, 1911) bestätigt, derzufolge nach der Scheidung entstandene Unterhaltspflichten gegenüber Kindern und auch gegenüber dem neuen Ehegatten schon bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs nach § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB zu berücksichtigen sind. Aus dem Gedanken der Teilhabe des Unterhaltsberechtigten am Lebensstandard des unterhaltspflichtigen Ehegatten folge nämlich zugleich dessen Begrenzung auf den Standard, der dem Unterhaltspflichtigen selbst jeweils aktuell zur Verfügung stehe. Dessen Lebensstandard sinke durch hinzugetretene Unterhaltspflichten ebenso wie bei anderen unverschuldeten Einkommensrückgängen.

Die wesentliche Auswirkung dieser Rechtsprechung besteht darin: Nach früherer Praxis wurde das Einkommen des Unterhaltspflichtigen zum Stichtag der Ehescheidung zunächst zwischen ihm und dem geschiedenen Ehegatten aufgeteilt (sog. Stichtagsprinzip). Nur das verbleibende Einkommen stand ihm für sich und seine neue Familie zur Verfügung. Nach der geänderten Rechtsprechung ist das Einkommen nunmehr gleichmäßig aufzuteilen.

Beispiel: Einkommen des Unterhaltspflichtigen 4000 € bei einem geschiedenen und einem neuen Ehegatten, die beide vollständig unterhaltsbedürftig sind.

Berechnung bis 2007 (Stichtagsprinzip): Unterhalt des geschiedenen Ehegatten: 4000 € : 2 = 2000 € Unterhalt des neuen Ehegatten: 2000 € : 2 = 1000 €. Dem Unterhaltspflichtigen verbleiben 1000 €

Berechnung nach neuer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs: Unterhalt des geschiedenen wie auch des neuen Ehegatten: 4000 € : 3 = je 1333 €. Dem Unterhaltspflichtigen verbleiben 1333 €.

Im Rahmen der Unterhaltsberechnung hat der Bundesgerichtshof hingegen nicht akzeptiert, dass die neue Ehefrau – anders als die geschiedene Beklagte – nicht erwerbstätig ist. Vielmehr seien für die geschiedene wie für die neue Ehefrau die gleichen Maßstäbe anzuwenden. Zwar sei die Rollenverteilung in der neuen Ehe gesetzlich zulässig und könne nicht als rechtsmissbräuchlich bewertet werden. Die Rollenverteilung betreffe indessen nur das Innenverhältnis zwischen den neuen Ehegatten. Dass diese im Verhältnis zum geschiedenen Ehegatten nicht ausschlaggebend sein dürfe, ergebe sich bereits aus der vom Gesetzgeber im anderen Zusammenhang getroffenen Entscheidung (zum Rang der Unterhaltsan-sprüche vgl. § 1609 Nr. 2 BGB), wonach für den geschiedenen und den neuen Ehegatten im Hinblick auf die Erwerbsverpflichtung die gleichen Maßstäbe gelten sollten. Daher sei der Unterhalt der neuen Ehefrau zum Zwecke der Gleichbehandlung so zu ermitteln, als wäre die neue Ehe ebenfalls geschieden. Auch eine anderweitige Regelung der Ehegatten im Hinblick auf die Dauer der Kinderbetreuung (sog. elternbezogene Gründe nach § 1570 Abs. 2 BGB) könne aus diesen Gründen grundsätzlich nicht ausschlaggebend sein.

Zur weiteren Frage der Befristung des Geschiedenenunterhalts hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass sich in Bezug auf den sog. Aufstockungsunterhalt (§ 1573 Abs. 2 BGB) die Rechtslage seit dem 1. Januar 2008 nicht maßgeblich geändert habe. Die neue Vorschrift des § 1578 b BGB stelle insoweit nur klar, was bereits aufgrund des Urteils des erkennenden Senats vom 12. April 2006 (FamRZ 2006, 1006) gegolten habe. Konsequenz dieser Entscheidung ist somit, dass bei allen rechtskräftigen Unterhaltstiteln, die vor der am 1.1.2008 in Kraft getretenen Unterhaltsreform, aber nach der Änderung der Rechtsprechung im Jahr 2006 erlassen wurden, bei ansonsten gleich gebliebener Tatsachenlage eine nachträgliche Befristung aufgrund der Rechtskraft des vorausgegangenen Urteils ausgeschlossen ist".

Bei dem o. g. „Senatsurteil BGHZ 177, 356" handelt es sich um das Urteil vom 30.07.2008 des BGH in dem Verfahren XII ZR 177/06. Der BGH hatte sich dort bereits mit Rechts­fra­gen im Zu­sam­men­hang mit dem zum 01.01.2008 ge­än­der­ten Un­ter­halts­recht zu be­fas sen. Zu diesem Zeitpunkt ist durch § 1609 BGB auch der Rang der Un­ter­halts­an­sprü­che ge­än­dert wor­den, was sich immer dann aus­wirkt, wenn der Un­ter­halts­pflich­ti­ge unter Wahrung des ihm ver­blei­ben­den Selbst­be­halts nicht alle An­sprü­che voll be­frie­di­gen kann. Bei der Be­mes­sung des Un­ter­halts­be­darfs der ge­schie­de­nen und der neuen Ehe­frau nach den ehelichen Le­bens­ver­hält­nis­sen ist der BGH bereits damals von sei­ner neue­ren Rechtsprechung ausgegangen, wo­nach nicht nur ein spä­te­rer Ein­kom­mens­rück­gang, son­dern auch ein spä­te­res Hinzutreten wei­te­rer Un­ter­halts­be­rech­tig­ter zu be­rück­sich­ti­gen ist. Hier ist ergänzend auf das Urteil vom 06.02.2008 des BGH in dem Verfahren XII ZR 14/06 zu verweisen. Der BGH hatte den Fall zu­gleich zum An­lass ge­nom­men, seine Recht­spre­chung zur Be­hand­lung des Split­ting­vor­teils aus der neuen Ehe zu än­dern.

Für Un­ter­halts­an­sprü­che ab Ja­nu­ar 2008 hat das Un­ter­halts­rechts­än­de­rungs­ge­setz eine neue Rang­fol­ge fest­ge­legt. Der Ge­setz­ge­ber hat dabei den Prio­ri­täts­ge­dan­ken weit­ge­hend auf­ge­ge­ben und auf das Ge­wicht der ein­zel­nen Un­ter­halts­an­sprü­che ab­ge­stellt. Nach den im ers­ten Rang ste­hen­den Un­ter­halts­an­sprü­chen min­der­jäh­ri­ger Kin­der sind im zwei­ten Rang stets die An­sprü­che Kin­der be­treu­en­der El­tern auf Be­treu­ungs­un­ter­halt zu be­frie­di­gen. Ande­re Ehe­gat­ten oder ge­schie­de­ne Ehe­gat­ten ste­hen nur dann im glei­chen zwei­ten Rang, wenn eine lange Ehe­dau­er vor­liegt. Dabei ist aber nicht al­lein auf die Dauer der Ehe abzustel­len. Viel­mehr ist gemäß den §§ 1609 Nr. 2, 1578b BGB ent­schei­dend dar­auf abzustellen, ob die un­ter­halts­be­rech­tig­te ge­schie­de­ne Ehe­frau ehe­be­ding­te Nach­tei­le erlitten hat.

Leserkommentare
von ARTiger am 25.11.2009 20:53:35# 1
"Dem Unterhaltspflichtigen verbleiben 1333 €" - eine grandiose BGH-Leistung. Diese Aussicht wird massenhaft ausländische Fachkräfte in dieses Land spülen. ;o) Ein Hoch auf die deutsche kinderlose Putzfrau, die keine Ausbildung benötigte, um am Ende auf einer Stufe mit dem studierten Naturwissenschaftler zu stehen, per Versorgungsausgleich und unbefristeten nachehelichen Aufstockungsunterhalt. Ach ja, wo bitte kürzte hier der BGH welchen Unterhalt? Diese spärliche Leistung erbrachten bereits in der Vorinstanz das zuständige AG, was vom OLG und dem BGH lediglich und auf den Sockel der "höchstrichterlichen Recht(?)sprechung" gehoben bestätigt wurde. Meine Schlagzeile würde in etwa so lauten: BGH verteilt schon wieder unbefristet das Geld anderer Leute, im Namen eines fiktiven Volkes. Mit freundlichem Gruß
    
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