"Gebt das Hanf frei"

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.. .aber nur für die Niederländer.

Der Kollege und MdB Hans-Christian Ströbele (B 90/Grüne) forderte vor einigen Jahren medienwirksam mit obigem Zitat eine Legalisierung von Cannabisprodukten in Deutschland – bisher ohne Erfolg.

Seit Jahren sind deshalb die Niederlande für alle Konsumenten sog. „weicher“ Drogen ein beliebter Anlaufplatz.

In sog. „Coffeeshops“ kann man neben den Bier und Gouda auch Cannabisprodukte in jeder erdenklichen Mischung und Form konsumieren.

Die Gemeinde Maastricht hatte nun mit Beschluss vom 20.12.2005 die Allgemeine Gemeindeverordnung dahingehend geändert, dass es künftig dem Inhaber eines Coffeeshop verboten sein soll, Personen, die ihren Wohnsitz nicht in den Niederlanden haben, den Zutritt zu ihrem Betrieb zu gestatten.

Ein Coffeeshop-Betreiber hatte sich nachweislich zweimal gegen das Verbot hinweggesetzt. Daraufhin wurde sein Laden mit Bescheid der Stadt Maastricht vorübergehend geschlossen.

Der Coffeeshop-Betreiber wollte das nicht auf sich sitzen lassen und sah in der offenen Diskriminierung von Nicht-Niederländern einen Verstoß gegen Grundfreiheiten der EU, konkret der Waren- und Dienstleistungsfreiheit sowie den Diskriminierungsverboten aus Art. 18 i.V.m. 21 AEUV.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte zu entscheiden. Dies tat er mit Urteil vom 16.12.2010 (Az. C-137/09).

Tenor der Entscheidung (verkürzt und zusammengefasst):

a) Es ist mit dem Unionsrecht zu vereinbaren, dass Regelungen geschaffen werden, durch die Touristen der Erwerb und Konsum von Drogen in Coffeeshops untersagt wird.

b) Hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheiten ist beim Verkauf von Cannabis bereits der Anwendungsbereich nicht eröffnet.

c) Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV und die Freizügigkeit des Art. 21 AEUV finden in der Dienstleistungsfreiheit eine besondere Ausprägung und sind neben dieser Grundfreiheit nicht anwendbar.

d) Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit kann durch das legitime Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus gerechtfertigt sein.

Aus den Urteilsgründen (stark verkürzt und zusammengefasst):

Der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit (Art. 35 AEUV) ist vorliegend nicht eröffnet. Es fallen gem. Art. 28 Abs. 2 AEUV grds. alle aus den Mitgliedstaaten stammenden Waren und Waren aus Drittländern, welche sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkauf befinden unter die EU- Warenverkehrsfreiheit.

Es gilt jedoch zu beachten, dass in sämtlichen Mitgliedstaaten das Handeltreiben und Inverkehrbringen von Drogen verboten ist. Da es folglich am Merkmal des „freien Verkaufs“ fehle, ist der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit bereits nicht eröffnet; eine unzulässige Diskriminierung oder Beschränkung also ebenfalls nicht möglich.

Dies wird auch nicht dadurch relativiert, dass speziell die Niederlande in den letzten Jahren eine sehr liberale Auffassung hinsichtlich des öffentlichen Drogenkonsums vertreten haben. Denn auch in den Niederlanden fallen die Cannabis-Fälle in den Bereich eines unerlaubten Handels. Dieser wurde lediglich in der jüngeren Vergangenheit in bestimmten Grenzen toleriert, war aber im Grundsatz verboten.

Zwar liegt in der Zutrittsverwehrung von Personen, die nicht ortsansässig sind eine (zumindest) mittelbare Diskriminierung ausländischer Staatsangehöriger vor, weil gerade diese davon faktisch betroffen sind, diese Unterscheidung ist hier jedoch gerechtfertigt.

Dies ergibt sich hier aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls (Art. 52 i.V.m. Art. 62 AEUV) zur Wahrung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit.

Hierzu wörtlich: „Es ist darauf hinzuweisen, dass die Bekämpfung des Drogentourismus und der damit einhergehenden Belästigungen Teil der Drogenbekämpfung ist. Sie steht im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz der Gesundheit der Bürger. (…) In Anbetracht der von der Union und ihren Mitgliedstaaten eingegangenen Verpflichtungen steht es außer Zweifel, dass die oben genannten Ziele ein berechtigtes Interesse darstellen, dass eine Beschränkung der Pflichten, die sich aus dem Unionsrecht, sogar aus einer Grundfreiheit (…) ergeben, grundsätzlich rechtfertigen kann [65/66].“

Im Übrigen sei die Beschränkung auch verhältnismäßig. Sie ist nach Ansicht des obersten Gerichtshofes geeignet, den Drogentourismus in erheblicher Weise zu begrenzen und damit die durch ihn verursachten Probleme zu verringern.

Der Punkt der Geeignetheit stößt in diesem Zusammenhang bei den Befürwortern des „freien Rauschs“ auf vehemente Kritik. Hauptargument dabei: eine Illegalisierung würde den Drogentourismus keineswegs beenden, sondern vielmehr dem organisierten Verbrechen dienen – die amerikanische Prohibition (18th Amendment) wird in diesem Kontext immer als abschreckendes Beispiel genannt. Da diese klägliche gescheitert war, wurde sie wieder außer Kraft gesetzt (21st Amendment).

Des weiteren sei die ergriffene Maßnahme nach Ansicht des Gerichtshofs auch erforderlich, um das Ziel der Bekämpfung des Drogentourismus zu erreichen.

Der Gerichtshof wollte in diesem Punkt ganz bewusst keine penibelst genaue Überprüfung der mitgliedsstaatlich durchgeführten Maßnahmen durchführen, sondern stellte klar, dass die Mitgliedstaaten wegen ihrer stets zu respektierenden Souveränität hier einen großen Ermessensspielraum haben. Die von der Verordnung vorgesehene Kontrolle und Überwachung von Drogenkonsumenten durch Vorlage eines Identitätsnachweises wurde insoweit nicht beanstandet.

Abschließende Bewertung:

Man kann zum Konsum der „weichen Drogen“ stehen wie man will.

Die Tatsache, dass diese (freilich ebenso wie legale Drogen) eine große Gefahr der Abhängigkeit mit sich bringen kann jedoch nicht ernsthaft bestritten werden. Dass deshalb eine geplante Einschränkung der Konsumfreiheit mit dem Argument des Allgemeinwohlinteresses und des Gesundheitsschutzes begründet wird ist ebenfalls dem Grunde nach einleuchtend, weshalb das Urteil insoweit voll und ganz schlüssig ist.

Oder um es auf einen Satz zu bringen: die niederländische Entscheidung, von ihrer schier grenzenlosen „Rauschfreiheit“ zumindest teilweise (hinsichtlich nicht Ansässiger) abzuweichen ist eine souveräne Entscheidung, die auch nicht durch die Hintertür der EU revidiert werden kann.

Zwar mag es seltsam erscheinen, dass die Niederländer dabei auf die Gesundheit ihrer werten Nachbarn mehr Wert zu legen scheinen als auf die der eigenen Staatsbürger – aber es dient ja schließlich dem Wohl der Allgemeinheit.

In diesem Sinne: „Wel bedankt“