Fristlose Kündigung – Arbeitgeber darf Browserverlauf des Arbeitnehmers verwerten

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Privates Surfen während der Arbeitszeit als Grund für eine fristlose Kündigung

Das Landesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers wegen privaten Surfens während der Arbeitszeit trotz sechzehnjähriger beanstandungsfreier Tätigkeit ohne vorherige Abmahnung für zulässig erachtet. Dies, obwohl das Landesarbeitsgericht zugunsten des Arbeitnehmers Arglosigkeit unterstellte. Ich hatte zu dieser Problematik bereits eine kritische Anmerkung geschrieben. Heute geht es um eine weitere heikle Frage in der Urteilsbegründung. Das Landesarbeitsgericht hat nämlich den vom Arbeitgeber festgestellten Browserverlauf des Arbeitnehmers als Beweismittel herangezogen. Geht das?

Browserverlauf als Beweismittel verwertbar

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hält eine Verwertung des vom Arbeitgeber erlangten Browserverlaufs des Arbeitnehmers für möglich. Dazu die Begründung im Einzelnen (Teil 3).

Verwertungsmöglichkeit sogar bei Annahme einer rechtswidrigen Speicherung und Nutzung der in der Browserchronik des Rechners des Klägers gespeicherten Daten

Schließlich meint das Landesarbeitsgericht, dass die Daten sogar bei Annahme einer Rechtswidrigkeit des Vorgehens des Arbeitgebers verwertet werden dürften. Dazu das Landesarbeitsgericht: Das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen dabei für sich betrachtet nicht aus, dem Verwertungsinteresse den Vorzug zu geben. Dafür bedarf es zusätzlicher Umstände.

Für eine Verwertung erforderlich sei zusätzlich, dass sich der Beweisführer mangels anderer Erkenntnisquellen in einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage befindet. Die besonderen Umstände müssen gerade die in Frage stehende Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt ausweisen (unter Verweis auf eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, BAG v. 20.06.2013 – 2 AZR 546/12).

Diese besondere Situation liege hier deshalb vor, weil der Arbeitgeber zwar die private Nutzung der elektronischen Ressourcen gestattet, anderseits aber auch auf die stichprobenartige Überprüfung der Nutzung hingewiesen hat.

Revision

Das Landesarbeitsrecht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht ausdrücklich zugelassen, diese wurde nach meiner Information auch eingelegt.

Kritik

Es ist eindeutig ein Bedürfnis der Arbeitgeber erkennbar, eine Missbrauchskontrolle hinsichtlich einer privaten exzessiven Nutzung des Internets durch die Arbeitnehmer durchzuführen. Bei strengerer Auslegung der Vorschriften könnte man Arbeitgebern nur noch raten, eine private Internetnutzung komplett zu verbieten. Damit wäre auf den ersten Blick niemandem geholfen. Umgekehrt muss aber auch klar sein, dass Datenschutz dann nichts mehr wert ist, wenn ich mit dem Verweis auf die besonderen Umstände des Einzelfalls den Datenschutz aushebeln kann. Schwer zu akzeptieren ist zudem der Hinweis des Landesarbeitsgerichts, der Arbeitnehmer könne doch vorbeugenden Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Die datenschutzrechtlichen Vorschriften werden nahezu konterkariert, wenn man von den Betroffenen verlangt, dass sie sich vorbeugend gegen datenschutzrechtliche Verstöße wehren müssen, wenn sie spätere prozessuale Nachteile vermeiden wollen. Bei allem Verständnis für die praktischen Bedürfnisse, die vom Landesarbeitsgericht hier erkannt werden: Effektiver Datenschutz darf nicht von der vorherigen Hilfe der Gerichte abhängig gemacht werden.

Ausblick

Das Bundesarbeitsgericht hat die Möglichkeit, praxistaugliche Modelle für eine rechtssichere private Nutzung des dienstlichen Internets aufzuzeigen. Angesichts der Kompliziertheit und der Praxisuntauglichkeit von datenschutzrechtlichen Vorschriften wird das wahrscheinlich nicht ganz einfach.

Fachanwaltstipp Arbeitgeber

Wenn man bedenkt, wie weit verbreitet das private Surfen bzw. das permanente „Online" sein ist, wird schnell klar, dass hier ein perfektes Einfallstor für Arbeitgeber zur Umgehung des Kündigungsschutzes geöffnet wurde. Arbeitgeber können versuchen, das Tor zu nutzen, bevor es das Bundesarbeitsgericht möglicherweise wieder schließen wird. Beim Thema Privatnutzung des Internets plädiere ich weiterhin für ein vollständiges Verbot. Wer das nicht will oder kann, riskiert in jedem Fall erhebliche prozessuale Nachteile und sogar Schadensersatzansprüche, wenn er auf der Basis erhobener Daten des Arbeitnehmers arbeitsrechtliche Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Kündigung, durchführen will. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber immerhin die Nutzung im Rahmen einer IT-Richtlinie und einzelvertraglich im Arbeitsvertrag geregelt. Das sollte das Mindeste sein, ob es reicht, wissen wir frühestens, wenn das Bundesarbeitsgericht über die Revision entschieden hat, wahrscheinlich noch nicht einmal dann.

Fachanwaltstipp Arbeitnehmer

Wer eine Kündigung in diesem Zusammenhang erhält, sollte in jedem Fall Kündigungsschutzklage einreichen. Frist: drei Wochen nach Zugang der Kündigung. Kein Arbeitgeber kann darauf hoffen, dass solche Kündigungen künftig eine sichere Bank sind. Vergleiche mit Abfindungszahlungen und Umwandlung der fristlosen in eine ordentliche Kündigung sind allemal drin.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Januar 2016 – 5 Sa 657/15

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