Firmeninsolvenz abgewendet - offene Lohnforderungen nicht beglichen, Firma droht unterzutauchen

28. Juni 2016 Thema abonnieren
 Von 
Alwi89
Status:
Beginner
(68 Beiträge, 7x hilfreich)
Firmeninsolvenz abgewendet - offene Lohnforderungen nicht beglichen, Firma droht unterzutauchen

Schönen guten Tag,

aktuell sitze ich tief im Schlamassel, da meine Firma mir seit 3 Monaten den Lohn nicht gezahlt hat.
Es wurde eine vorläufige Insolvenz eröffnet, da auch Steuern und Sozialabgaben nicht beglichen wurden (eine Krankenkasse hatte den Insolvenzantrag gestellt).

Meine Firma ist ein deutsches Start-Up mit aktuell 5 Mitarbeitern.

Ich erhoffte mir davon eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens, damit ich meine offenen Forderungen via Insolvenzausfallgeld von der Agentur für Arbeit geltend machen kann, da ich aufgrund des Zahlungsverzuges des Arbeitgebers mittlerweile Gefahr laufe zum Anfang Juli die Wohnung fristlos gekündigt zu bekommen.

Gestern erfolgte die Mitteilung des Insolvenzverwalters, dass ein externer Investor mehr als genug Geld überwiesen hätte, somit der Insolvenzgrund nicht mehr besteht und die vorläufige Insolvenz beendet wird auf Ende des Monats Juni. Eine Auszahlung meiner, dem Insolvenzverwalter gegenüber geltend gemachten, offenen Forderungen wird vom Insolvenzverwalter nicht vorgenommen, so die Aussage seiner Sekretärin.

1. Kann ein (vorläufiger starker) Insolvenzverwalter eine vorläufige Insolvenz beenden ohne alle offenen Forderungen von Gläubigern ausgeglichen zu haben?

Mein Chef erklärte mir gestern daraufhin, dass die offenen Forderungen vom neuen Investor bezahlt werden.
Einen Namen/Ansprechpartner des Investors habe ich nicht erhalten.
Des Weiteren sollen alle Arbeitsverträge bis auf 1 gekündigt werden. Ich befinde mich noch bis Ende Juni in der Probezeit, habe jedoch vom Zurückbehaltungsrecht Gebrauch gemacht, somit dachte ich, dass ich bis zum Ausgleich der offenen Lohnforderungen nicht gekündigt werden kann.

2. Kann man während der Probezeit, bei Gebrauch des Zurückbehaltungsrechtes ohne den Ausgleich der begründeten Forderungen trotzdem gekündigt werden?

Ausserdem teilte mir mein Chef mit (aktuell angegeben als Geschäftsführer im Handelregister), dass der neue Investor plant die Firma ins (nicht EU) Ausland zu verlegen (Schweiz oder USA).

3. Kann eine in Deutschland gegründete und registrierte Firma Ihren Standort ins Ausland verlegen, wenn noch offene Lohnforderungen von (gekündigten) Mitarbeitern bestehen/Prozesse vorm Arbeitsgericht laufen?
4. Was würde passieren, wenn ich gerichtlich gegen die kommende Kündigung vorgehen möchte, da Sie evtl. unzulässig ist, jedoch die Firma ins Ausland verlegt wird?


Und abschließend die Frage:

Welche Möglichkeit habe ich nun am sichersten und schnellsten an meinen Lohn zu kommen?

Vielen Dank für etwaige Hilfe in meinem komplexen Fall.

P.S.: Ich habe weder Geld um offene Rechnungen zu bezahlen, auch für Essen reicht es nicht mehr...anwaltliche Hilfe kann ich mir aufgrund der finanzielen Situation nicht leisten, das Risiko auf den Kosten sitzen zu bleiben oder Vorleistungen begleichen zu müssen, kann ich aktuell nicht tragen. Gibt es hier irgendeine Möglichkeit einer kostenfreien anwaltlichen Beratung?


-- Editier von Alwi89 am 28.06.2016 16:57

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4 Antworten
Sortierung:
#1
 Von 
Eidechse
Status:
Senior-Partner
(6998 Beiträge, 3920x hilfreich)

Zitat:
1. Kann ein (vorläufiger starker) Insolvenzverwalter eine vorläufige Insolvenz beenden ohne alle offenen Forderungen von Gläubigern ausgeglichen zu haben?


Sie reden davon, dass die vorläufige Insolvenz eröffnet wurde. Sie sollten noch mal genau klären, wie der Verfahrensstand ist. Eine vorläufige Insolvenz gibt es nicht.

Der Verfahrensabschnitt nach Insolvenzantragstellung und vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nennt sich Insolvenzeröffnungsverfahren. In dessen Rahmen kann das Gericht einen sog. vorläufigen IV bestellen und diesen mit unterschiedlichen Befugnissen ausstatten. Je nach erteilten Befugnissen, ist der vorläufige IV in einer Überwachungsfunktion tätig (schwacher vorläufiger IV) oder handelt sogar anstelle des Insolvenzschuldners (starker vorläufiger IV). Zudem wird das Gericht einen Gutachter bestellen, der bewerten soll, ob ein Insolvenzeröffnungsgrund vorliegt und ob eine verfahrenskostendeckende Masse vorhanden ist. Dieser ist im Regelfall mit dem vorläufigen IV identisch.

Die Entscheidung, ob ein Verfahren eröffnet wird, trifft jedoch das Gericht und nicht der vorläufige IV. Oder der Gläubiger nimmt den Antrag zurück. Von daher stellt sich Ihre 1. Frage gar nicht. Der vorläufige IV kann diesbezüglich gar keine Entscheidung treffen.

Zitat:
2. Kann man während der Probezeit, bei Gebrauch des Zurückbehaltungsrechtes ohne den Ausgleich der begründeten Forderungen trotzdem gekündigt werden?


Die Ausübung des ZBR schützt nicht vor einer Kündigung. Zwar darf die Kündigung nicht wegen einer berechtigten Ausübung des ZBR ausgesprochen werden, weil dies gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB verstoßen würde, dies scheint hier aber nicht der Grund zu sein, da mehrere Personen gekündigt werden und eine Sitzverlegung im Raum steht.

Zitat:
3. Kann eine in Deutschland gegründete und registrierte Firma Ihren Standort ins Ausland verlegen, wenn noch offene Lohnforderungen von (gekündigten) Mitarbeitern bestehen/Prozesse vorm Arbeitsgericht laufen?


Eine Sitzverlegung wird dadurch nicht gehindert. Der Gerichtsstand ändert sich jedoch dadurch nicht.

Zitat:
4. Was würde passieren, wenn ich gerichtlich gegen die kommende Kündigung vorgehen möchte, da Sie evtl. unzulässig ist, jedoch die Firma ins Ausland verlegt wird?


Wie gesagt, der Gerichtsstand bleibt. Der Prozess geht dann halt weiter.

Zitat:
Welche Möglichkeit habe ich nun am sichersten und schnellsten an meinen Lohn zu kommen?


Wenn keine freiwillige Zahlung erfolgt, muss man halt klagen und anschließend die Zwangsvollstreckung betreiben.

Haben Sie eigentlich bereits vorsorglich SGB II Leistungen beantragt? Wenn Sie ohne Geld dastehen, wäre dies möglich. Die Bewilligung ist aber meines Wissens erst ab Antragstellung möglich. Es kann also sein, dass es bei Ihnen erstmal zu einer Lücke kommt.

Zitat:
Gibt es hier irgendeine Möglichkeit einer kostenfreien anwaltlichen Beratung?


Es gibt die Möglichkeit der Beratungshilfe. Allerdings ist die auch nicht komplett kostenfrei. Ich glaube der zu zahlende Eigenanteil beträgt 15,00 € oder 20,00 € netto.

Im Gerichtsverfahren gibt es die Möglichkeit der Prozesskostenhilfe, die aber bei Besserung der Verhältnisse evtl. zurückgezahlt werden muss.

2x Hilfreiche Antwort

#2
 Von 
Alwi89
Status:
Beginner
(68 Beiträge, 7x hilfreich)

Vielen Dank für die Antworten und die Zeit die Sie hierfür aufgebracht haben.

Wie Sie bereits richtig geschrieben haben wurde ein Insolvenzantragsverfahren eröffnet. Es wurde, wie bereits erwähnt, ein starker vorläufiger IV gestellt, welcher auch der Gutachter ist. Die Firma besitzt kein eigenes Konto, da dies von der Bank gesperrt wurde, daher liefen alle Überweisungen über den IV.

Der IV gab der Firma bis letzten Freitag Zeit eine bestimmte Summe aufzutreiben, da ansonsten an diesem Montag sein Gutachten mit Antrag auf Eröffnung der Insolvenz beim Amtsgereicht eingegangen wäre - offizielle Insolvenz ab 01. Juli.
Da nun ein externer Investor genug Geld überwiesen hat wird das Gutachten darauf hinauslaufen, dass kein Insolvenzgrund vorliegt.

Es ist also rechtens, dass der IV das Gutachten abgibt, weches besagt, dass keine Insolvenz vorliegt, obwohl Forderungen von mehreren Gläubigern immer noch nicht beglichen wurden?

Eine Klage meinerseits bzgl. der offenen Löhne müsste dann vorm Arbeitsgereicht erfolgen?
Könnte ich eventuell selbst für die Firma einen neuen Insolvenzantrag stellen um den Arbeitgeber zur Zahlung zu bewegen?

0x Hilfreiche Antwort

#3
 Von 
guest-12313.09.2017 08:51:03
Status:
Student
(2271 Beiträge, 713x hilfreich)

Zitat (von Alwi89):
Könnte ich eventuell selbst für die Firma einen neuen Insolvenzantrag stellen um den Arbeitgeber zur Zahlung zu bewegen?


Das würde ich unterlassen, da die Kosten des Insolvenzverfahrens an einem hängen bleiben könnten. Der richtige Weg ist Arbeitsagentur (Insolvenzgeld) und Jobcenter (ALG2), allein schon wegen der Krankenversicherung. Und natürlich Arbeitsgericht, die formulieren die Klage vor Ort.


-- Editiert von Retels am 28.06.2016 19:01

0x Hilfreiche Antwort

#4
 Von 
Eidechse
Status:
Senior-Partner
(6998 Beiträge, 3920x hilfreich)

Zitat (von Alwi89):
Es ist also rechtens, dass der IV das Gutachten abgibt, weches besagt, dass keine Insolvenz vorliegt, obwohl Forderungen von mehreren Gläubigern immer noch nicht beglichen wurden?


Wie gesagt bewertet der Gutachter, ob ein Insolvenzeröffnungsgrund vorliegt. Ohne Insolvenzeröffnungsgrund keine Insolvenzeröffnung. Allgemeiner Eröffnungsgrund ist die Zahlungsunfähigkeit. Sehr vereinfacht gesagt ist diese gegeben, wenn der Schuldner nicht genügend liquide Mittel hat, um seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Wenn jetzt genügend Geld da ist, um die fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen, dann ist die Zahlungsunfähigkeit nicht gegeben. Es ist nicht erforderlich, dass die Verbindlichkeiten durch den Schuldner tatsächlich auch erfüllt werden. Hätte der Schuldner das Geld und zahlt aber einfach nicht, aus welchen Gründen auch immer, dann ist das Zahlungsunwilligkeit und das ist nunmal was anderes als Zahlungsunfähigkeit.

Zitat (von Alwi89):
Eine Klage meinerseits bzgl. der offenen Löhne müsste dann vorm Arbeitsgereicht erfolgen?


Richtig

Zitat (von Alwi89):
Könnte ich eventuell selbst für die Firma einen neuen Insolvenzantrag stellen um den Arbeitgeber zur Zahlung zu bewegen?


Wenn jetzt gerade kein Eröffnungsgrund vorliegt, wird der auch nicht für Ihren Insolvenzantrag vorliegen. Evtl. müssen Sie dann für eine Abweisung Ihres Antrages auch noch die Kosten tragen.

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