Exhumierung wegen Feststellung der Vaterschaft

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Von Rechtsanwältin Ulrike Fürstenberg

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHMR) hatte über den Fall eines Schweizer Bürgers, geboren 1939, zu entscheiden, der auch in seinem vorgerückten Alter noch Gewissheit über seine Abstammung haben wollte.

Die Details des Falles: Die Mutter des Schweitzer Antragstellers (im Folgenden zur Vereinfachung: Sohn, auch wenn es nur der mutmaßliche Sohn ist) hatte bei seiner Geburt einen gewissen A.H. als Vater bezeichnet. A.H. hatte zwar eingeräumt, intime Beziehungen mit der Mutter gehabt zu haben, seine Vaterschaft jedoch bestritten.Eine Vaterschaftsfeststellungsklage war 1948 abgewiesen worden, weil A.H. die nach dem damaligen Schweizer Recht mögliche Einrede des Mehrverkehrs erhoben hatte. Kurz nach A.H.s Tod 1976 wurde auf Betreiben des Sohnes eine Blutgruppenuntersuchung durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass eine Vaterschaft A.H.s nicht ausgeschlossen werden könne. 1999 legte der Sohn Klage auf Revision gegen das Urteil von 1948 ein und verlangte eine DNA –Analyse. Die Klage wurde in allen Instanzen abgewiesen; der Sohn habe durch die Ungewißheit über seine Abstammung immerhin keinen Schaden erlitten.

Daraufhin rief der Sohn den EuGHMR an.

Der Gerichtshof wägt in seinem Urteil vom 13.07.2006 viererlei Interessen gegeneinander ab:

  1. das Interesse des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung
  2. das Rechts der Angehörigen auf die Unverletzlichkeit des Körpers des Verstorbenen
  3. das Recht auf Achtung der Toten
  4. das öffentliche Interesse auf Schutz der Rechtssicherheit

und kommt zu dem Ergebnis, dass das Recht auf Identität einen integrierenden Bestandteil des Rechts auf Schutz des Privatlebens bilde, und dass nach sorgfältiger Abwägung aller widerstreitender Interessen diesem Recht der Vorrang einzuräumen sei. Denn das Interesse, das ein Einzelner an der Kenntnis seiner Abstammung habe, höre keinesfalls mit zunehmendem Alter auf, im Gegenteil. Aus der Tatsache, dass der Sohn sich zeitlebens bemüht hatte, Sicherheit in der Frage seiner Abstammung zu erlangen, sei zu schließen, dass er moralisch und psychisch durch diese Unsicherheit belastet gewesen sei, auch wenn sich das nicht im medizinischen Bereich habe feststellen lassen.

Die Weigerung der nahen Angehörigen, den Körper des Verstorbenen exhumieren zu lassen, fiel nach Ansicht des Gerichtshofs nicht so schwer ins Gewicht, da sie keine Motive religiöser oder philosophischer Natur ins Feld geführt hätten.

Das Recht auf Achtung der Toten sei auch zu vernachlässigen, da das Recht, in Frieden zu ruhen, zeitlich begrenzt sei. Die sterblichen Überreste des Verstorbenen würden nach Ablauf der Konzession für die Grabstätte ohnehin exhumiert.

In seinem Urteil vom 13.07.2006 bestätigte der EuGHMR dem Antragsteller, dass sein Recht aus Art.8 MRK (Schutz des Privatlebens) verletzt worden sei. Im Ergebnisspricht der Gerichtshof damit dem Sohn im Ergebnis das Recht zu, durch DNA-Analyse die Vaterschaft des Verstorbenen feststellen zu lassen, um Sicherheit über seine Abstammung zu bekommen. Eine Exhumierung können die Angehörigen nicht verweigern.

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