Erwerb eines Hörgerätes: "Haftungsfalle" für den Akustiker und den Versicherten - zur gegenwärtigen Situation in der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung

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Klärt der Verkäufer eines Hörgerätes seinen Kunden anlässlich eines ersten Besuches in einem Hörgeräte-Akustik-Betrieb nicht darüber auf, dass er einen Erstattungsanspruch gegen seine Krankenkasse nur nach vorheriger Deckungszusage habe, so handelt es sich um eine schuldhafte Verletzung des Beratungsvertrages. Der Anspruch auf den Kaufpreis ist nicht durchsetzbar, da ihm ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe entgegensteht. Das hat das OLG Hamm mit Urteil vom 19.02.2010 (19 U 106/09, I-19 U 106/09) entschieden.


    Beim Erwerb eines Hörgerätes ist darauf zu achten, dass ggf. ein Anspruch auf volle Kostenübernahme gegen die gesetzliche (oder die private) Krankenversicherung besteht.

    1. Haftung des Hörgeräteakustikers
    In dem vom OLG Hamm entschiedenen Fall hat der Akustiker gerade nicht auf die Möglichkeit hingewiesen, dass die Kosten der Hörgeräteversorgung ggf. auch von der (gesetzlichen) Krankenversicherung zu übernehmen gewesen wären.

    Kauft der Kunde das Hörgerät, ohne die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten, eben weil er über die Möglichkeit nicht informiert wurde, besteht nach Ansicht der Hammer Richter ein Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen den Hörgeräteakustiker (da der Kostenerstattungsanspruch gegen die gsetzliche Krankenversicherung wegen Nichteinhaltung des Versorgungsweges ausscheidet). Die Hinsweispflicht folge als Nebenpflicht aus dem Vertrag mit dem Kunden. Der Entscheidung ist vollumfänglich zuzustimmen.

    2. Situation in der gesetzliche Krankenversicherung
    Der Akustiker, der nach Verodnung des HNO-Arztes verschiedene Hörsystem beim Kunden anpasst, ist wiederum aufgrund des BIHA-Vertrages verpflichtet, eine ausreichende Versorgung (mit "Kassengeräten") sicherzustellen.

    Die gesetzlichen Krankenkassen nehmen daher derzeit vermehrt Akuster in Regress, die dieser vertraglicher Verpflichtung angeblich nicht nachgekommen sind. Hier ist der Fokus darauf zu richten, welche Regelungen der regionale BIHA-Vertrag im Detail enthält. Ferner ist zu berücksichtigen, ob überhaupt eine Versorgung mit Vertrags- oder Festbetragsgeräten objektiv möglich war.

    3. Streitigkeiten mit der gesetzlichen Krankenkasse
    Die gesetzlichen Krankenkassen verweisen derzeit auf eben diese Verpflichtung der Akustiker aus dem BIHA-Vertrag, um einer Verurteilung im Streit mit dem Versicherten zu entgehen, der die volle Kostenübernahme eingeklagt hat. Allerdings haben bereits mehrere Sozialgerichte entschieden, dass dies Sache der Vertragspartner sei und nicht auf dem Rücken der Versicherten ausgetragen werden dürfe. Wichtig: Das Gerät darf erst nach Entscheidung der Krankenkasse über den Antrag auf Kostenübernahme erworben werden, es sei denn, es wurde Kostenerstattung gewählt.

    4. Private Krankenversicherungen
    Die privaten Krankenversicherungen argumentieren in der Regel damit, dass die Versorgung mit hochwertigen Hörgeräten medizinisch nicht notwendig sei und nehmen wegen angeblicher "Übermaßbehandlung" unberechtigte Kürzungen vor.

    Hier ist der Fokus auf die vereinbarten Versicherungsbedingungen (MB/KK) und den konkreten Tarif zu lenken. Oftmals wird eine Kostenerstattung zu 100% oder eine Versorgung in "einfacher Ausführung" versprochen. Von besonderen Bedeutung ist stets, dass dem Versicherer vor Augen geführt werden muss, unter welchen Voraussetzungen die Versorgung tatsächlich medizinisch notwendig ist. Dabei sollte auf eine versierte fachanwaltliche Unterstützung nicht verzichtet werden.

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