Die so genannte Scheinselbständigkeit – ein brisantes Thema!

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Scheinselbständigkeit aus sozialrechtlicher Sicht

Aus arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Gründen besteht in der Wirtschaft eine starke Neigung, Arbeitsverhältnisse durch selbständige Beschäftigungsformen zu ersetzen: Tätigkeiten, die früher durch Arbeitnehmer ausgeführt wurden, werden auf so genannte Subunternehmer oder freie Mitarbeiter übertragen. Dies führt dann oftmals zu Streitigkeiten und Gerichte müssen klären, ob mit dieser Beschäftigungsform die Annahme einer so genannten Scheinselbständigkeit begründet worden ist.

Welche Risiken allerdings im sozialrechtlichen, arbeitsrechtlichen und steuerrechtlichen Bereich mit der Scheinselbständigkeit entstehen können, werden oft von den Vertragsparteien verkannt. Eine genaue Kenntnis der Rechtsprechung auf diesem Gebiet ist daher sowohl für den Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer notwendig, um mögliche Nachteile zu vermeiden.

Marcus Alexander Glatzel
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Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.08.2003 setzt eine nichtselbständige Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.

Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und eigener Betriebsmittel, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (vgl. BSG Urt. 12.02.2004, B 12 KR 26/02 R; BSG Urt.v.19.08.2003, B 2 U 38/02 R )

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG muss das Gesamtbild des Rechtsverhältnisses wertend beurteilt werden. Hierbei ist zu untersuchen, ob die Elemente die für eine selbstständige Betätigung sprechen oder solche, die für eine nichtselbstständige Betätigung sprechen überwiegen. (BSG Urt. v. 12.02.2004, B 12 KR 26/02 R; BSG Urt. v. 19.08.2003, B 2 U 38/02 R; BSGE 87, 53, 55).

Scheinselbständigkeit aus arbeitsrechtlicher und zivilrechtlicher Sicht

Während das BSG für die Beurteilung einer nichtselbständigen Beschäftigung stärker auf den Begriff der persönlichen Abhängigkeit des Auftragnehmers vom Auftraggeber abstellt (persönliche Abhängigkeit aufgrund der Weisungsgebundenheit), fokussiert die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und ihm folgend der Bundesgerichtshof (BGH), auf das Vorliegen einer wirtschaftlichen Abhängigkeit des Auftragnehmers.

Der Gesetzgeber hat des Weiteren durch § 5 Abs.1 Satz 2 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) die Figur der so genannten arbeitnehmerähnlichen Person geschaffen. Nach Ansicht des BAG sind Beschäftigte arbeitnehmerähnlich, wenn sie nicht oder in einem wesentlich geringeren Maße in die Betriebsorganisation des Auftraggebers integriert sind, dafür aber in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Auftraggeber stehen. Des Weiteren muss der wirtschaftlich Abhängige seiner gesamten sozialen Stellung nach einem Arbeitnehmer vergleichbar und sozial schutzbedürftig sein.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit wird nach Ansicht des BAG und ihm folgend der BGH dann bejaht, wenn die Gestaltung des Vertragsverhältnisses den Auftragnehmer so beansprucht, dass er daneben keine weiteren nennenswerten Erwerbstätigkeiten ausüben kann. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der im Verkauf tätige Auftragnehmer exklusiv an das Warensortiment des Auftraggebers gebunden ist und seine Einkünfte im unteren Einkommensbereich angesiedelt sind sowie keine eigenen Betriebs- oder Unternehmensorganisation unterhält (vgl. BAG Beschluss v. 16.07.1997 in NJW 2973, 2974; BGH Beschluss vom 04.11.1998 in NJW 1999, 218, 220.).

Scheinselbständigkeit aus steuerrechtlicher Sicht

Der BFH grenzt sich in scharfer Weise von der übrigen Rechtssprechung ab. Denn nur die Rechtssprechung des BSG, BAG und BGH verwenden mit Abweichungen und unterschiedlichen Gewichtungen dieselben Kriterien zur Abgrenzung selbstständiger von nichtselbstständigen Beschäftigten.

Anders der BFH, dieser stellt in erster Linie auf die Nähe der Steuerpflichtigen zum Marktgeschehen ab. Die Nähe des Steuerpflichtigen zum Marktgeschehen wird dabei anhand der Merkmale Tragung des Unternehmerrisikos und Unternehmerinitiative beurteilt. Unternehmerrisiko ist gegeben, wenn der Steuerpflichtige das Vermögensrisiko trifft. Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn der Beschäftigte für Ausfallzeiten nicht bezahlt wird. Unternehmerinitiative kann der Beschäftigte entfalten, wenn er durch den Umfang seines Arbeitseinsatzes den gewerblichen Erfolg seiner Tätigkeit beeinflussen kann. Die Einordnung der zu beurteilenden Tätigkeit in die Kategorie der nichtselbstständigen Tätigkeit durch das BSG, das BAG oder den BGH spielt für das Finanzgericht dabei praktisch keine Rolle (vgl. BFH Urt. v. 02.12.1998 in BStBl. 1999 II S. 534).

Konsequenzen aus der Qualifizierung als Scheinselbständiger

Aufgrund der unterschiedlichen Rechtsprechung kann es oft zu verschiedenen Ergebnissen führen, während meist das BSG, BAG wie auch der BGH Scheinselbständige als arbeitnehmerähnliche Personen ansehen, qualifiziert der BFH diese Personen mit großer Wahrscheinlichkeit als Unternehmer. Allerdings hat die Qualifikation durch den BFH aber auf die übrigen Gerichte keinen Einfluss, da jedes Fachgericht für sein Rechtsgebiet das Beschäftigungsverhältnis gesondert qualifiziert.

  1. Sozialrechtliche Konsequenzen

    Liegt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vor, so sind die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung grundsätzlich von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern je zur Hälfte zu tragen, §§ 346 Abs.1 SGB III, 249 Abs.1 SGB V, 168 Abs.1 Nr.1 SGB VI, 58 Abs.1 SGB XI. In der Unfallversicherung werden diese Beiträge vom Unternehmer alleine getragen, § 150 SGB VII. Soweit nicht etwas anderes bestimmt ist, hat derjenige die Beiträge zu zahlen, der sie auch zu tragen hat, §§ 348 Abs.1 SGB III, 252 SGB V, 173 SGB VI, 60 Abs.1 SGB XI. (vgl. Muckel Sozialrecht S.76 ).

  2. Zivilrechtliche und arbeitsrechtliche Konsequenzen

    Nach dem Urteil des BAG führt die Einstufung als arbeitnehmerähnliche Person dazu, dass für die Zeit der Tätigkeit rückwirkend der tarifvertraglich geltende Lohn geschuldet wird (BAG Urteil vom 29.05.2002, 5 AZR 680/00). Sollte es für die Branche keinen geltenden Tarifvertrag geben, so käme auch die übliche Vergütung nach § 611 Abs.1 BGB für eine solche Tätigkeit in Betracht. Die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes finden allerdings keine Anwendung.

  3. Steuerrechtliche Konsequenzen

    Hier ergeben sich die geringsten Risiken, da nach Ansicht des BFH die Scheinselbständigen steuerrechtlich als Unternehmer einzuordnen sind. Hier werden etwaige Lohnsteueransprüche bereits durch die vierteljährlich zu leistenden Vorauszahlungen des Scheinselbständigen gemäß § 37 Abs.1 EStG abgegolten.


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