Die Scheinselbständigkeit

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Wann liegt sie vor und was für Konsequenzen ergeben sich hieraus?

Laut aktueller Statistik der Bundesagentur für Arbeit sinkt die Arbeitslosenquote in Deutschland. Das heißt aber nicht immer, dass Arbeitslose in sozialversicherungspflichtige Jobs vermittelt worden sind.

Das Gegenteil ist der Fall: Vielmehr steigt die Zahl der prekären Beschäftigungsverhältnisse sowie der Mini-Jobber und der Selbstständigen. Gerade Letzteres birgt ein gewisses Risiko, denn viele Selbständige sind in Wirklichkeit scheinselbständig, ohne sich meist diesbezüglich bewusst zu sein.

Abgrenzung zwischen selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist das Gesamtbild der Arbeitsleistung.

Indizien für eine selbständige Tätigkeit sind:

- Weisungsfreiheit

- die freie Verfügung über die Arbeitszeit und Erledigung der Arbeit an einem selbst gewählten Ort

- uneingeschränkte Tätigkeit für mehrere Geschäftsherren

- Verpflichtung zur Stellung eines Vertreters bei Abwesenheit, Einsatz eigenen Kapitals und eigener Betriebsmittel

- Tragen eines Unternehmerrisikos (Verlust und Gewinn)

- eigenständige Entscheidung über Einkaufs- und Verkaufspreise

- Einstellung von Personal

- Art und Umfang der Kundenakquisition

- Art und Umfang von Werbemaßnahmen für das eigene Unternehmen

- Unterhaltung einer eigenen Betriebsstätte

Indizien für eine nichtselbstständige Tätigkeit sind:

- Eingliederung in den Betrieb

- Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit, Dauer und Art der Tätigkeit

- Persönliche Leistung oder Einsatz

- Keine Beschäftigung von Arbeitnehmern

- Arbeitsmittel werden kostenfrei zur Verfügung gestellt

- Erhalt der Vergütung je Stunde(Verkauf der Arbeitskraft wie ein Arbeitnehmer)

- Keine Unterhaltung von Geschäfts- oder Betriebsräumen

- Keine Abgabe von Angeboten(keine freie Preisgestaltung)

- Keine Betreibung von Werbung

- Gemeinsame Außendarstellung mit dem Auftraggeber im Geschäftsverkehr

- Ausführung der Leistungen ausschließlich im Namen und auf Rechnung des Auftraggebers ausgeführt

- Kein Einsatz eines eigenen Kapitals

- Kein unternehmerisches Risiko

- Tätigkeit für ausschließlich einen Auftraggeber

- Mehr als 5/6 der Einnahmen kommen von einem Auftraggeber.

Ausschlaggebend ist für die Beurteilung  der Frage, ob eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt wird oder ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, nicht die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung, sondern allein die faktische Gestaltung der Beziehung.

Folgen der Scheinselbstständigkeit

Wird eine Scheinselbstständigkeit festgestellt, hat dies arbeits-, sozialversicherungs-, steuerrechtliche und unter Umständen strafrechtliche Auswirkungen auf den Arbeitgeber.

Arbeitsrechtliche Folgen der Scheinselbstständigkeit

Sofern die Prüfung ergeben sollte, dass eine Scheinselbstständigkeit vorliegt, ist der ehemalige Auftraggeber – jetzt Arbeitgeber – gehalten, die Lohnsteuer sowie die sozialversicherungsrechtlichen Beiträge einzubehalten und abzuführen. Außerdem muss dieser Umstand der Krankenkasse des Scheinselbständigen so schnell wie möglich mitgeteilt werden.

Da der Scheinselbstständige nunmehr als Arbeitnehmer behandelt wird, finden die arbeitsrechtlichen Regelungen bei ihm Anwendung.

Mangels eines schriftlichen Arbeitsvertrages wird davon ausgegangen, dass ein unbefristeter Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. Die Höhe des Urlaubsanspruches des Arbeitnehmers ergibt sich aus der tarifrechtlichen Regelung, sofern keine vorliegt, ist diese aus dem BurlG zu entnehmen.

Außerdem führen die arbeitsrechtlichen Regelungen dazu, dass er sich in einem Betrieb oder einem Unternehmen mit mehr als 10 Arbeitnehmern auf das KSchG berufen kann, sofern er für den Arbeitgeber länger als 6 Monate ohne Unterbrechung tätig gewesen ist. Der zuvor mit dem Scheinselbständigen geschlossene Dienstvertrag bezüglich der Kündigung findet keine Anwendung.

Aufgrund der Qualifizierung des Scheinselbständigen als Arbeitnehmer ändert sich unter Umständen auch die Höhe der Vergütung. Sein Bruttolohn richtet sich nämlich nicht danach, wieviel er als Scheinselbstständiger für seine Tätigkeit an Honorar erzielt hat. Vielmehr ergibt sich die Höhe des Arbeitslohnes aus einer tarifrechtlichen Vergütungsregelung, sofern aber keine existiert, ist die übliche Vergütung geschuldet, die der Arbeitgeber vergleichbaren Arbeitnehmern zahlt.

Es kann nunmehr durchaus vorkommen, dass das Arbeitsentgelt niedriger ist als das Honorar das der Arbeitgeber dem Scheinselbstständigen gezahlt hat. Die Feststellung des Scheinselbstständigen als Arbeitnehmer erfolgt rückwirkend, so dass auch der Arbeitgeber rückwirkend ein niedrigeres Arbeitsentgelt geschuldet hat. Der Arbeitgeber kann nun von dem Arbeitnehmer hieraus den Differenzbetrag verlangen. Sofern keine tarifvertragliche Ausschlussfrist vorliegt, in der beider alle Ansprüche innerhalb von drei Monaten geltend machen müssen, damit diese nicht verfallen, kann der Arbeitgeber rückwirkend bis zu 3 Jahren zurück seine Vergütungsansprüche gegen den Arbeitnehmer geltend machen.

Sozialversicherungsrechtliche Folgen der Scheinselbstständigkeit

Der Arbeitgeber muss rückwirkend sämtliche Sozialversicherungsabgaben (also sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmeranteile) nachzahlen. Wie weit zurück der Arbeitgeber zur Nachzahlung verpflichtet ist, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber die Beiträge vorsätzlich vorenthalten hat. Die Verjährungsfrist beträgt nämlich 30 Jahre bei einer Vorsatztat, in allen anderen Fällen 4 Jahre.

Allerdings kann der Arbeitgeber sich die Beiträge von dem Arbeitnehmer erstatten lassen. Dies jedoch unter Einschränkungen:

- Der Arbeitgeber kann nur den Arbeitnehmeranteil von dem Arbeitnehmer geltend machen.

- Außerdem kann dieser Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer nur bei den drei nächsten Lohn- oder Gehaltsnachzahlungen des Arbeitnehmers aufgerechnet werden, § 28g S. 2 SGB IV, danach nur dann, wenn der Abzug ohne das Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist.

Sollte der Arbeitnehmer nicht mehr für den Arbeitgeber tätig sein, erhält der Arbeitgeber gar nichts mehr, da der Arbeitgeber nichts mehr verrechnen kann.

Steuerrechtliche Folgen der Scheinselbständigkeit

Bei Vorliegen von Scheinselbständigkeit muss der Arbeitnehmer für die Vergangenheit Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Jedoch haften sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer für die nicht abgeführte Steuer gegenüber dem Finanzamt. Führt der Arbeitgeber die Lohnsteuer ab, so hat er einen Anspruch gegen den Arbeitnehmer auf den Betrag, den er als Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt hat.

Hinzu kommt, dass der Scheinselbständige nicht vorsteuerabzugsberechtigt gewesen ist, so dass das Finanzamt auch von ihm durch einen korrigierten Umsatzsteuerbescheid die zu Unrecht als Vorsteuer abgezogene Umsatzsteuer nachfordern kann. Gleichzeitig hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Finanzamt einen Anspruch auf die Rückzahlung der von ihm abgeführten Umsatzsteuer. Der Arbeitnehmer wiederum ist dazu verpflichtet, die vom Arbeitgeber an ihn ausgezahlte Umsatzsteuer zurückzuzahlen.

Strafrechtliche Folgen der Scheinselbständigkeit

Als wäre alles schon nicht schlimm genug, drohen dem Arbeitgeber unter Umständen auch noch strafrechtliche Konsequenzen. Nach § 266 a StGB macht sich strafbar, wer Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit vorenthält. Nur das Vorenthalten der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung ist gem. § 266 a Abs. 1 StGB strafbar. Die Tathandlung besteht hierbei im Vorenthalten von fälligen Sozialversicherungsbeiträgen gegenüber der zuständigen Einzugsstelle. Sofern der Arbeitgeber die Tathandlung vorsätzlich begangen hat – also im Wissen darauf, dass es sich bei dem freien Mitarbeiter um einen Scheinselbständigen gehandelt hat und er dennoch keine Beiträge abgeführt hat -, wird er um eine Verurteilung nicht mehr herumkommen.

Resümee

Es kann nur dringend empfohlen werden, allein schon wegen den weitreichenden Folgen, Kontakt mit einem Anwalt aufzunehmen, um überprüfen zu lassen, ob eine Scheinselbständigkeit vorliegt. Die nachträgliche Aufdeckung der Scheinselbständigkeit seitens der Deutschen Rentenversicherung oder seitens des Finanzamtes durch eine Betriebsprüfung kann ein Unternehmen in Existenznot und sogar in den Ruin bringen.