"Die Mehrzahl der Abmahnungen sollte nicht ungeprüft unterschrieben werden"

Mehr zum Thema: Experteninterviews, Abmahnung, Unterlassungserklärung, Wettbewerb, Impressum, Widerrufsbelehrung, Anti-Abzocke-Gesetz
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Abmahnungen bleiben weiter ein kontroverses Thema. Rechtsanwältin Birgit Marten berichtet im Interview mit 123recht.de aus der Praxis.

123recht.de: Frau Marten, mit was für Abmahnungen haben Sie hauptsächlich zu tun?

Rechtsanwältin Marten: Die meisten Abmahnungen betreffen wettbewerbsrechtliche Verstöße, wie z.B. ein fehlendes oder fehlerhaftes Impressum, eine falsche Widerrufsbelehrung, Fehler bei der Kennzeichnung oder Preisauszeichnung von Produkten in Shops. Gelegentlich werden Mandanten auch wegen Urheberrechtsverstößen abgemahnt, weil sie auf ihrer Website oder in ihrem Blog ein fremdes Foto veröffentlicht haben. Abmahnungen wegen Filesharing spielen in meiner Praxis dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

123recht.de: Sind die meisten Abmahnungen berechtigt?

Rechtsanwältin Marten: Ja. Die meisten Abmahnungen sind tatsächlich dem Grunde nach berechtigt, d.h. es liegt in den meisten Fällen tatsächlich ein Verstoß vor. Das bedeutet aber nicht, dass die Abmahnungen auch hinsichtlich des Umfangs der geforderten Unterlassung und der Höhe des Schadensersatzes gerechtfertigt sind.

123recht.de: Kann man sagen, dass die meisten Abmahnungen, die verschickt werden, überzogen sind?

Rechtsanwältin Marten: Ich würde schon sagen, dass die Mehrzahl der Abmahnungen, mit denen ich konfrontiert werde, auf die eine oder andere Weise zu weitreichend sind und nicht ungeprüft unterschieben werden sollten.

In der Mehrzahl der Fälle Änderungen zu Gunsten des Abgemahnten

123recht.de: In wie vielen Fällen erreichen Sie eine Abänderung oder Reduzierung einer Abmahnung oder der Unterlassungserklärung?

Rechtsanwältin Marten: Ohne dass ich mich auf eine konkrete Zahl oder einen Prozentsatz festlegen möchte, so erreicht man doch in der Mehrzahl der Fälle eine Änderung zu Gunsten des Abgemahnten. Das betrifft den Umfang der Unterlassungserklärung, die der Abgemahnte abgeben muss, und/oder die Höhe des Streitwertes und damit der Rechtsanwaltskosten. Nicht selten sind auch geforderte Schadensersatzsummen überzogen und lassen sich durch ein Anwaltsschreiben reduzieren.

123recht.de: Kostenpflichtige Abmahnungen gibt es so nur in Deutschland. Warum geht man hier diesen Sonderweg?

Rechtsanwältin Marten: Die so häufig verschriene Abmahnung in Deutschland ist eigentlich gedacht als ein letzter Warnschuss, der den Abgemahnten vor einem teuren Gerichtsprozess schützen soll. Sie müssen sich vorstellen, dass der Rechteinhaber (im Falle eines Urheberrechts- oder Markenrechtsverstoßes) oder der Wettbewerber/die Verbraucherzentrale (im Falle eines wettbewerbsrechtlichen Verstoßes) andernfalls den Verletzer sofort verklagen könnte, was deutlich höhere Kosten zur Folge hätte. Darüber hinaus soll dieses außergerichtliche Instrument auch die Gerichte entlasten.

123recht.de: Wird dieses Ziel Ihrer Meinung nach erreicht?

Rechtsanwältin Marten: Ich denke schon, dass die außergerichtliche Abmahnung grundsätzlich ein gutes Modell ist. Es ermöglicht eine im Vergleich zu einem Gerichtsverfahren sehr schnelle und kostengünstige Rechtsdurchsetzung. Aber natürlich gibt es hier, wie überall, auch schwarze Schafe. Und so kommt es immer wieder auch zu missbräuchlichen Abmahnungen, in denen Marktteilnehmer kleinste formale Verstöße auf der Website ihrer Wettbewerber suchen und abmahnen, um diesen zu schaden.

Anti-Abzocke-Gesetz wird Anzahl der Abmahungen nicht reduzieren

123recht.de: Wie könnte man den Missbrauch ausschließen? Halten Sie das geplante "Abzock-Gesetz" für geeignet?

Rechtsanwältin Marten: Das so genannte "Anti-Abzocke-Gesetz" oder Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken liegt bislang nur als Entwurf der Bundesregierung vor. Ob bzw. wann und in welcher konkreten Form es in Kraft treten wird, ist noch nicht abzusehen. In seiner jetzigen Fassung sieht es vor, dass der Streitwert für die erste Urheberrechtsverletzung eines Verbrauchers auf 1.000,- Euro und damit die Rechtsanwaltsgebühren auf 155,30 Euro begrenzt werden. In File-Sharing-Fällen würde der erste Verstoß damit in vielen Fällen günstiger. Ich rechne jedoch nicht damit, dass es dadurch weniger Abmahnungen geben wird. Denn nur wenn der Verbraucher wegen einer ersten Verletzung durch Vertrag, aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung oder einer einstweiligen Verfügung zur Unterlassung verpflichtet ist, können im Wiederholungsfalle höhere Gebühren erhoben werden.

Für Unternehmer gilt diese Gesetzesänderung gar nicht, d.h. Unternehmer müssen sowohl bei Urheberrechtsverletzungen als auch bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen von Anfang an mit höheren Gebühren rechnen. Die missbräuchlichen Abmahnungen von Wettbewerbern lassen sich mit diesem Gesetz also nicht eindämmen. Hier ist die bestehende Rechtslage aber auch ausreichend. Nach § 8 Abs. 4 des UWG bestehen keine Ansprüche, wenn die Geltendmachung missbräuchlich ist, insbesondere wenn nur Kosten produziert werden sollen. Aus meiner Sicht sind hier die Gerichte gefragt. Bagatellverstöße, die nicht zu einer spürbaren Beeinträchtigung führen, sind wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden und sollten daher auch nicht erfolgreich abgemahnt werden können.

Unterlassungserklärung sehr sorgfältig prüfen

123recht.de: Was sollte man im Falle einer Abmahnung tun?

Rechtsanwältin Marten: Das wichtigste ist, das abgemahnte Verhalten sofort zu beenden, also das fremde Foto sofort von der Website zu nehmen, das falsche Impressum sofort zu berichtigen. Dann sollte man die Unterlassungserklärung sehr sorgfältig prüfen bzw. am besten von einem/r spezialisierten Rechtsanwalt/Rechtsanwältin prüfen und ggf. modifizieren lassen, um sich nicht zu weitgehend zu verpflichten.

123recht.de: Was kostet die Überprüfung und außergerichtliche Abwehr oder Reduzierung einer Abmahnung bei Ihnen?

Rechtsanwältin Marten: Die Kosten sind abhängig vom Streitwert und dieser wiederum kann sehr unterschiedlich sein. Generell muss man allerdings mit Kosten zwischen 350,- und 650,- Euro rechnen. Im Bereich des Markenrechts wird es in der Regel deutlich teurer, da hier die Streitwerte sehr viel höher sind.

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