Der Snowden in jedem von uns

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Edward Snowden hat uns daran erinnert, dass wir ebenfalls öfter sagen müssten: Dafür stehe ich nicht mehr zur Verfügung.

Viel wird geschrieben über Edward Snowden. Über Geheimnisverrat, Datenschutz, Abhöraktionen. Geheimdienste, Grundrechte. Überwachungsstaaten. Die große Empörung hat sich nicht eingestellt, wir machen weiter in unserem Trott. Allen voran Bundeskanzlerin Merkel, wieder einmal: das Problem aussitzen und auf Fragen möglichst inhaltslos antworten. Grundrechte? Rechtsstaat? Bloß keine Meinung! Eine Meinung haben hieße, Wähler zu verlieren, die das anders sehen könnten.

In der ganzen Diskussion untergegangen ist die eigentliche Bedeutung von Snowden. Das war nämlich nicht das Whistleblowing über die umfassenden Abhöraktionen der Geheimdienste. Die eigentliche inspirierende Wohltat von Edward Snowden war seine Integrität. Edward Snowden konnte seine Arbeit und das Schaffen seines Arbeitgebers nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Also gab er seine Heimat auf, Hawaii, eine rosige Zukunft, ein gutes Gehalt.

Edward Snowden befand etwas für Unrecht und stellte sich dafür nicht mehr zur Verfügung. Komme, was da wolle. Es ging Snowden weniger um etwas, was ihm selbst angetan wurde - stand er doch auf der Täterseite. Es ging ihm - so sagt er jedenfalls - um ein Unrecht an der Gesellschaft, heutigen und späteren Generationen.

Der normale, angepasste "Mit-dem-Strom-Schwimmer" hätte sich an Snowdens Stelle gegen seine Gewissensbisse in Hawaii gut eingerichtet, weiter ein tolles Gehalt kassiert, seinen Lebensabend abgesichert. Die innere Stimme - "meine Arbeit ist Unrecht gegenüber meinen Mitmenschen, in so einer Welt möchte ich nicht leben" - hätte er mit Statussymbolen, Gadgets und allerhand Ablenkungen betäubt. Dazu kommen dann noch Ängste und Sorgen und Krankheiten und Alltagsprobleme, und die innere Stimme wird nicht mal mehr erahnt.

Jetzt ist es sicher für die meisten etwas viel verlangt, Land und Familie fluchtartig zu verlassen. Darum geht es auch nicht. Es geht um die alltäglichen Entscheidungen des Lebens. Lassen wir uns von Snowden inspirieren und fragen wir uns: Verstoßen wir bei unserem täglichen Tun gegen unser Gewissen, gegen unsere innere Stimme? Ist es deswegen gerechtfertigt, weil alle - in der Firma, im Land, im Verein, im Freundeskreis - es ebenso machen?

Wer Unrecht fühlt, sollte sich dafür nicht mehr hergeben. "Da mache ich nicht mehr mit". Auch wenn das heißen würde, gegen den Strom zu schwimmen.

Wie viele von uns regen sich über Facebook, die Datenschutzbestimmungen und die neue rasterfahndungsartige Suche auf - und stürzen sich trotzdem jeden Tag wieder wie die Lemminge in den Like-Wahn?

Wie viele unterstützen und kaufen Produkte, obwohl sie es nicht gut finden, dass bei der Produktion Menschen und Umwelt ausgebeutet werden?

Wieviele machen, was der Chef sagt, obwohl sie das für unethisch, unfair oder rechtswidrig halten? Wieviele schweigen einfach, widersprechen nicht mal?

Wieviele finden es abstoßend, wie in der Massentierhaltung mit Tieren umgegangen wird, und kaufen trotzdem dreimal am Tag Fleisch aus eben diesen Einrichtungen?

Wieviele regen sich über Doping von den Gays und Powells und Armstrongs auf, schauen und jubeln aber trotzdem immer wieder fasziniert bei den Sportereignissen zu, freuen sich über neue Rekorde?

Wieviele Mitarbeiter in Telekommunikatonsunternehmen wissen, dass ihre AGB und Praktiken Kunden unrechtmäßig benachteiligen?

Wieviele fahren einfach weiter, obwohl sie beim Ausparken die Stoßstange eines anderen Autos angefahren haben?

Wieviele machen Dinge, lassen sie zu oder schauen weg, obwohl sie selbst diese als großes Unrecht empfinden würden, wenn sie ihnen widerfahren würden?

Wieviele wollen Veränderung, sind aber selbst nicht bereit, sich auch nur einen Jota zu bewegen?

Wir sind eine herrlich inkonsequente Spezies, und darin wenigstens sind wir konsequent. Ist Snowden anders? Ein Heiliger ist er sicher nicht. Seine Flucht und die Asylanträge in Ländern wie China, Russland, Kuba, Venezuela, Panama und Bolivien - nicht gerade glühende Verfechter von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - hinterlassen einen faden Beigeschmack. Fehlt eigentlich nur noch ein Asylantrag im Iran, Nordkorea und Syrien.

Vom Regen in die Traufe. Snowden ist kein Gandhi, Mandela, Martin Luther King, auch nicht Pussy Riot. Sie alle haben Missstände in ihrem Land kristisiert, mit offenem Visier, in der Höhle des Löwen, und wurden dafür zur Verantwortung gezogen. Trotzdem kann Snowden uns daran erinnern, dass jeder von uns eine innere Stimme hat, der wir öfter folgen sollten.

Dabei werden wir nie davor gefeit sein, paradoxe Ergebnisse zu erzielen. Wer sich aus Mitgefühl für Tiere dazu entschließt, weniger Fleisch und mehr Tofu zu essen, unterstützt anstatt Tierquälerei nun einen weltweit unethischen Sojaanbau, mit Gentechnik, Monokultur, verödenden Landschaften und ausgebeuteten Bauern. Aber es ist eine Abstufung. Ein Anfang. Ein Zeichen.

Es geht nicht um Gesetze, eine bestimmte Form der Moral oder Ethik, Gut oder Böse oder darum, ein Heiliger oder Gandhi zu sein. Jeder hat eine andere Wertevorstellung. Es geht darum, sich in den anderen zu versetzen - Mensch, Tier, Kunden, Partner, Mitarbeiter, Bürger, den Gegenüber - mögliches Unrecht zu fühlen und entsprechend die Konsequenz zu ziehen.

Diese Vorreiter und ihre Ideen sind es, die die Welt verändern können. Nicht Merkel, nicht die Empörung.

Da mache ich nicht mehr mit. Da stehe ich nicht mehr zur Verfügung. Auch wenn Du der erste bist - ist das nicht erfüllender, als in der Menge hinterherzutrotten?

Leserkommentare
von kumi am 17.07.2013 17:29:19# 1
Super! So sieht es aus! Danke!
    
von Faustusxy am 20.07.2013 00:56:48# 2
Tut mir leid, aber das ist ein selten unsinniger, weil einige Tatsachen vollkommen falsch darstellender Kommentar. Snowden konnte seine Arbeit nicht mehr mit seinem Gewissen vereinbaren? Snowden hat diesen Job in der Firma als Zuarbeiter für die NSA angenommen mit dem Ziel, diese auszuspionieren und die Machenschaften an die Öffentlichkeit zu bringen. Er hat also genau gewußt, auf was er sich einliess und auf was er an gutem Leben verzichten würde. Wer aber meint, eine Mission erfüllen zu müssen, sollte auch dafür grade stehen und sich jetzt nicht im Glanze des Opfers sonnen. Er hat eindeutig Recht gebrochen, was selbst nach unserem Rechtsverständnis strafbar wäre. Es bleibt der Justiz überlassen, über die Höherwertigkeit seiner Motive zu urteilen - ganz sicher ist das kein Fall für parteiliche populistische Ausschlachtung mit Blick auf die Wahl im September. Snowden verdient einen guten Anwalt in kommenden Verfahren, aber keine ungerechtfertigte Heroisierung. Man muss nicht King oder Mandela zur Erinnerung erwähnen - vor unserer Haustür gibts einen Wallraff, der ähnlich gearbeitet hat und motiviert war, dann aber auch zu seinen Enthüllungen gestanden hat.
    
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