Dashcams: Sind die Aufnahmen in Zivil- und Strafverfahren verwertbar?

Mehr zum Thema: Experteninterviews, Dashcam, Verwertbarkeit, Aufzeichnungen, Video, Unfall, Datenschutz, Bußgeld
3,48 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
21

Neues Gerichtsurteil bejaht Verwertbarkeit von Dashcam Aufzeichnungen - unter bestimmten Voraussetzungen

Die Kamera auf dem Armaturenbrett läuft, Verkehrsverstöße anderer werden aufgezeichnet. Wird man von anderen Verkehrsteilnehmern genötigt oder in einen Verkehrsunfall verwickelt, hat man das Geschehen beweissicher festgehalten und kann gelassen einen Gerichtsprozess bestreiten. So verlockend dieser Gedanke auch ist, Nutzer so genannter Dashcams gehen nicht unerhebliche Risiken ein, wenn sie die Kamera im Fahrzeug stets im Einsatz haben.

123recht.de spricht mit Rechtsanwalt Dr. Christian Fuchs über mögliche Risiken.

Christian Fuchs
Partner
seit 2009
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht, Fachanwalt für Steuerrecht
Würzburger Straße 100
90766 Fürth
Tel: 091123980180
Web: http://www.cf-recht.de
E-Mail:
Verkehrsrecht, Strafrecht, Erbschaftssteuerrecht
Preis: 100 €
Antwortet: ∅ 7 Std. Stunden

123recht.de: Herr Dr. Fuchs, was sind eigentlich Dashcams?

Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Dashcams sind Kameras, die in Fahrzeugen auf dem Armaturenbrett, der Frontscheibe oder am Rückspiegel angebracht werden. Der Name ist von diesem Anbringungsort abgeleitet, „Dashboard" ist das englische Wort für Armaturenbrett. Die Kameras filmen durch die Frontscheibe das Verkehrsgeschehen während der Fahrt. Die Videos werden üblicherweise auf einer integrierten SD-Karte oder einem ähnlichen Medium abgespeichert.

Videoaufzeichnungen können Aufschlüsse über Unfallhergang geben

123recht.de: Wieso müssen sich Gerichte mit diesen Dashcams beschäftigen?

Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Die Aufzeichnungen können in zivilrechtlichen Auseinandersetzungen vor allem nach Verkehrsunfällen eine erhebliche Rolle spielen. Oft sind sie das einzige objektive Beweismittel, insbesondere wenn neben den beteiligten Fahrern keine Zeugen vorhanden sind, die das Unfallgeschehen beobachten konnten. Es kommt nicht selten vor, dass die Fahrer selbst den Unfallhergang kontrovers schildern. In diesen Fällen kann das Video Aufschluss darüber geben, wer wem gegenüber schadensersatzpflichtig ist.

Auch in Strafverfahren können die Aufzeichnungen eine Rolle spielen. So z.B. wenn ein Drängler, der sich wegen Nötigung zu verantworten hat, von hinten bei der Tat gefilmt wird. Denkbar wäre auch der Fall, dass jemand bei einer Schlangenlinienfahrt gefilmt wird, der später bei der Polizei aussagt, er sei zwar sturzbetrunken, aber nicht gefahren. Die Fallbeispiele ließen sich beliebig fortführen.

Unbeteiligte filmen kann Datenschutzinteressen Dritter verletzen

123recht.de: Demnach sind die Dashcam-Aufzeichnungen doch eine gute Sache?

Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Hinsichtlich des Beweiswertes ist das sicherlich richtig. Allerdings muss man auf der anderen Seite auch die Datenschutzinteressen Dritter berücksichtigen. Es werden immerhin ungefragt Personen gefilmt, auch und vor allem unbeteiligte Dritte. Diese Aufnahmen werden zudem auch anderen zugänglich gemacht, sei es der Polizei oder dem Gericht oder sogar der ganzen Welt, wenn besonders spektakuläre Videos bei Youtube, Facebook und Co. verbreitet werden.

Man darf hierbei auch nicht vergessen, dass der technische Fortschritt dazu führt, dass die Kameras immer kleiner und billiger werden. Es ist durchaus vorstellbar, dass künftig nicht nur Autokameras eingesetzt werden, sondern jede Fußgänger eine Minikamera am Revers trägt und damit das gesamte öffentliche Leben ständig und überall aufgenommen wird. Dies muss sich der Einzelne sicherlich nicht gefallen lassen.

123recht.de: Also muss man Beweiswert und Datenschutz gegenüber stellen?

Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Darauf kommt es im Kern an. Es gab bereits in der Vergangenheit einige Gerichtsentscheidungen zu dieser Frage. Die meisten Gerichte haben den Datenschutzinteressen Vorrang eingeräumt. Auch möglicherweise entscheidende Beweisvideos wurden insbesondere in Zivilprozessen nicht als Beweismittel zugelassen. Das Amtsgericht München hat bspw. erst im letzten Jahr entschieden (Beschluss vom 13.08.2014, Az.: 345 C 5551/14), dass die permanente anlasslose Überwachung des Straßenverkehrs gegen § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG (Bundesdatenschutzgesetz) und § 22 S. 1 KunstUrhG (Kunsturhebergesetz) verstößt. Diese Entscheidung zeigt deutlich, dass der Richter nach dem Motto „Wehret den Anfängen" entschieden hat, wenn er betont, dass sich derartige Kameras noch weiter verbreiten würden, wenn die Gerichte die Videos als Beweismittel zulassen. Es sei unkontrollierbar, was mit derartigen Videos geschieht und wem sie zugänglich gemacht werden. Man könnte sogar Gesichtserkennungssoftware einsetzen und eine privat organisierte dauerhafte und flächendeckende Überwachung sämtlicher Verkehrsteilnehmer sei zu befürchten. Das Gericht beschwört ein orwellsches Horrorszenario herauf.

Dashcams solten nur Anlassbezogen genutzt werden, um den eigenen Schaden zu dokumentieren

123recht.de: Sind damit Dashcam-Videos generell unverwertbar?

Rechtsanwalt Dr. Fuchs: In dieser Allgemeinheit kann man das nicht sagen. Ein erst kürzlich veröffentlichtes Urteil des AG Nienburg (vom 20.01.2015, 4 Ds 155/14) hat die Verwertbarkeit von derartigen Aufzeichnungen zugelassen. Es ist das erste strafgerichtliche Urteil, das sich umfassend mit der Frage der Verwertbarkeit von Dashcam-Aufzeichnungen auseinandersetzt. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um ein Ausbremsen und ein Abdrängen auf der Autobahn, offensichtlich um den anderen Verkehrsteilnehmer für ein vorheriges vermeintlich verkehrswidriges Verhalten zu maßregeln. Die Abgedrängte bzw. Ausgebremste hatte eine Dashcam im Auto, die er erst anschaltete, als die Nötigungshandlung bereits begonnen hatte.

Das Gericht betonte, es kann für die Frage der Verwertbarkeit der Filmsequenzen nicht darauf ankommen, ob diese illegal im Internet verbreitet werden könnten. Eine Missbrauchsgefahr von zulässig erhobenen Beweismitteln bestehe immer. Auch die Angst vor einer Totalüberwachung könne nicht dazu führen, dass man den Bürgern technische Hilfsmittel zur effektiven Rechtsverfolgung vorenthalte. Entscheidend sei, dass hier die Kamera „anlassbezogen" eingesetzt wurde mit dem Ziel, eigene Schadensersatzansprüche zu dokumentieren. Anders sei allerdings der Fall zu beurteilen, wenn sich Bürger zu „Hilfssheriffs" ausschwingen und ständig Auszeichnungen mit dem Ziel fertigen, diese anschließend an die Polizei weiterzuleiten, um so für Recht und Ordnung zu sorgen. Derartige Aufnahmen sind nach wie vor unverwertbar.

Bei permanenter Dashcam-Nutzung drohen hohe Bußgelder

123recht.de: Was ist also den Verkehrsteilnehmern in Bezug auf Dashcams zu raten?

Rechtsanwalt Dr. Fuchs: Es muss klar herausgestellt werden, dass die Rechtsprechung noch keine einheitliche Linie für die Frage der Verwertbarkeit gefunden hat. Die Thematik ist noch relativ neu und es zeichnen sich erst langsam Konturen ab, ob und wenn ja wann Dashcam-Aufzeichnungen verwertbar sein können.

Stand heute ist entscheidendes Abgrenzungskriterium, ob die Kamera die ganze Zeit läuft oder nur anlassbezogen eingesetzt wird. Wer also eine derartige Kamera im Fahrzeug hat, der ist gut beraten, diese grundsätzlich auszuschalten und erst, wenn es kritisch wird, zu aktivieren.

Es reicht nicht aus, zunächst alles zu filmen und erst im Nachgang die für ein Gerichtsverfahren benötigten Sequenzen zu selektieren.

Filmt ein Dashcam-Nutzer permanent den übrigen Straßenverkehr, so muss er schlimmstenfalls mit saftigen Bußgeldern rechnen. § 43 BDSG sieht Bußgelder bis 50.000 EUR, in manchen Fällen sogar bis 300.000 EUR vor, und das Bayerische Landesamt für Datenschutzaufsicht hat bereits 2014 angekündigt, für den unzulässigen Einsatz von Dashcams Bußgelder zu verhängen.

Nach wie vor ist der Einsatz von Dashcams also mit Vorsicht zu genießen. Diejenigen, die eine Kamera nutzen, sollten jedenfalls den Grundsatz der Datenvermeidung und Datensparsamkeit anwenden, vgl. auch § 3a BDSG.

123recht.de: Wir bedanken uns ganz herzlich bei Ihnen für das informative Gespräch.

Dr. Christian Fuchs

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Steuerrecht
Fachanwalt für Strafrecht

CF Rechtsanwälte

Tel: 0911 - 23 98 01 81
Fax: 0911 - 23 98 01 89
kanzlei@cf-recht.de

www.cf-recht.de


Wollen Sie mehr wissen? Lassen Sie sich jetzt von diesem Anwalt schriftlich beraten.
Leserkommentare
von MBGucky am 13.05.2015 20:42:12# 1
Wäre es nicht Sache der Hersteller, Dashcams anzubieten die zwar permanent aufzeichnen, die Aufzeichnung aber automatisch nach 1 Minute wieder löschen wenn es keinen Unfall gegeben hat?
Ich meine, gerade im Falle eines Unfalls trete ich doch zuerst auf die Bremse. Da schalt ich doch nicht vorher noch schnell die Dashcam ein. Und auch bei einer Nötigung wie im oben beschriebenen Fall ist doch das Gröbste in der Regel schon passiert bevor ich überhaupt daran denke die Kamera einzuschalten.
    
von guest-12304.06.2018 10:31:36 am 13.05.2015 21:10:19# 2
Die generelle Nutzung der Dashcam unter Strafe zu stellen, trifft nicht den Tatbestand des Datenmissbrauchs. Verkehrsdauerüberwachung sowie zahlreiche weitere Liveaufnahmen öffentlicher Orte ohne konkreten Anlass, die sogar zum Teil ungefiltert im Internet jedermann verfügbar sind, sind bereits weit verbreitete Praxis,
Weshalb soll eine Dauervideoaufnahme aus einem Fahrzeug anders zu bewerten sein ?
Die Kameras überschreiben die Aufnahmen zyklisch, so dass üblicherweise ständig durch überschreiben "gelöscht" wird.
Der Missbrauch der Daten und Verletzung des Persönlichkeitsrechtes findet erst statt, wenn eine Videosequenz mit klar erkennbarer Person ohne deren Einverständnis z.B. ins Internet hochgeladen wird. Das Vorhalten von Gegenständen, die einen Gesetzesverstoss ermöglichen ist bisher noch nicht strafbar gewesen.
Diese Argumentation ist jedoch müssig - die Anwaltsgilde hingegen hat ihre ganz eigenen Gründe gegen die Dashcam: Verkehrsunfälle generieren sehr hohe Zahlen juristisch schlicht strukturierte Prozesse, die in einigen Kanzleien sogar durch eingearbeitete Fachangestellte abgewickelt werden, ohne dass ein "echter" Anwalt überhaupt eine Seite der Akte lesen muss, noch dem Mandanten je persönlich begegnet ist.
Die Mehrzahl der Fälle schliesst mit einem Vergleich, der die pekuniäre Lukrativität für die Anwälte noch steigert.
Das Horrorszenario für die Anwälte wäre nun, wenn es künftig genügte, eine Videodatei an die generische Versicherung zu schicken, aus der eindeutig hervorgeht, dass der Gegner in Schlangenlinien die komplette Strasse über alle Spuren beanspruchte, während der Geschädigte noch vor dem Zusammenstoss zum Stillstand kam. Mit so einer Beweislage würde niemand gegen den Anspruch des Geschädigten prozessieren - das ist ganz klar völlig aussichtslos.
Ohne Videoaufnahme ist jedoch laut gegnerischem Anwalt der Geschädigte mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Gegenspur geraten, was den Verursacher dazu zwang, auszuweichen, wodurch er ins Schleudern geriet. Der einzige Zeuge des Geschehens berichtet bei der Vernehmung: "Nachdem ich hörte, dass es gekracht hat, habe ich mich umgedreht und genau gesehen, wie der grüne Golf heranraste. Dann stiessen die Autos zusammen."
Das ist doch eine wunderschöne Vorlage, um einen fetten Prozess zu führen, der der Versicherung des eigentlichen Verursachers einige Tausender erspart und den beteiligten Juristen einige Tausender einbringt.
Kein Wunder, dass ein Gerät, dass solche wundervollen Geschäfte vermasseln könnte, dringendst verboten werden muss!
Wer nun zufällig weiss, dass in den gesetzgebenden Institutionen (sog. Regierung, Parlament, etc.) ein erschreckend hoher Anteil an Juristen beteiligt ist, der kann sich nun an einem Finger abzählen, wie demnächst der Besitz eine Dashcam geahndet wird.


    
von Probsteier am 14.05.2015 00:38:33# 3
Die Kameras arbeiten üblicherweise im sog. Loop Verfahren.
Hierbei wird die Aufzeichnung im 3/5/ oder zb. 8 min Zyklus überschrieben.
Erst nach Registrierung eines Unfall .etwa durch Erschütterungen, wird die Aufnahme gesichert.
Hiermit sollte den Anforderungen nach Datensparsamkeit und Vermeidung genüge getan sein. Insbesondere da die Aufzeichnungen Ja Erst Anlassbe ogen gesichert und dadurch verwertba wird.

Wie sind in diesem Zusammenhang denn die überall zu sehenden und im Www verfolgbaren Webcams zu bewerten die nicht Anlass bezogen rund um B die Uhr öffentliche Plätze filmen und aufzeichnen? ??