Darf ich gezwungen werden, meinen Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden?

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Wegweisender Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts für alle Zurruhesetzungsverfahren

Die gerichtliche Anordnung, alle bisher behandelnden Ärzte zu Beweiszwecken in einem Zurruhesetzungsverfahren von der Schweigepflicht zu entbinden und sich mit der Beziehung einer früheren ärztlichen Begutachtung einverstanden zu erklären, ist rechtswidrig. Eine derart weitgefasste Erzwingung verstößt nämlich gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die Erzwingung der Schweigepflichtentbindung muss die absolute Ausnahme bleiben. Das gilt insbesondere bei psychischen Erkrankungen. Das ist die erfreuliche Botschaft eines Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.05.2014 (Az. 2 B 69.12)

Dienstunfähigkeit und Polizeidienstunfähigkeit im Freiwilligen Polizeidienst

Der Kläger war ursprünglich Berufsschullehrer, aber bereits im Alter von 36 Jahren wegen Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. Seit dem Alter von 23 Jahren hatte er auch im Freiwilligen Polizeidienst Baden-Württemberg mitgewirkt. Im Jahr 2008 entließ ihn das Land aus diesem Dienst und stützte sich dabei auf die Feststellungen des Amtsarztes im Zurruhesetzungsverfahren.

Die hiergegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Bundesverwaltungsgericht hat nun die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs aufgehoben und das Verfahren noch einmal in die zweite Instanz zurückverwiesen. Dort muss nun neu entschieden werden.

Hat der Polizist die Aufklärung seiner Dienstunfähigkeit bewusst verhindert?

Im Berufungsurteil hat der Verwaltungsgerichtshof Mannheim ausgeführt: Die Annahme, dass der Kläger den gesundheitlichen Anforderungen des Freiwilligen Polizeidienstes nicht (mehr) gewachsen sei, sei gerechtfertigt. Diese Anforderungen entsprächen denjenigen, die an hauptberufliche Polizeibeamte zu stellen seien (Polizeidienstfähigkeit). Zwar sei die Verwendung des amtsärztlichen Gutachtens, auf das die Versetzung des Klägers in den (hauptberuflichen) Ruhestand gestützt sei, gesetzlich ausgeschlossen. Doch sei der Kläger als polizeidienstunfähig zu behandeln, weil er die Sachaufklärung bewusst verhindert habe. Er habe sich geweigert, seine früheren Ärzte und Therapeuten von ihrer Schweigepflicht zu entbinden, und es abgelehnt, dass deren Unterlagen von dem gerichtlich zu bestellenden Sachverständigen beigezogen werden. Ohne diese früheren Erkenntnisse sei die Erstellung eines neuen Gutachtens über den Gesundheitszustand des Klägers nicht möglich.

Tatsächlich hatte der Betroffene der Untersuchung und der Befragung einzelner Ärzte, sowie der Beiziehung von einzelnen Unterlagen zugestimmt. Er hatte nur – auch nach Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof in der 2. Instanz – die pauschale Schweigepflichtentbindung aller Ärzte und die Beiziehung aller Akten verweigert. Im Ergebnis zu recht, denn die Erzwingung muss die Ausnahme bleiben und so eng wie möglich gefasst sein.

Mediziner müssen (er)klären, welche Informationen benötigt werden

Das Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Beschluss aus, das Gericht müsse gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO den entscheidungserheblichen Sachverhalt von Amts wegen ermitteln. Fehlt dem Gericht die hierfür erforderliche Sachkunde, muss es sachverständige Hilfe in Anspruch nehmen. Kommt es maßgeblich auf den Gesundheitszustand eines Menschen an, ist daher regelmäßig die Inanspruchnahme ärztlicher Fachkunde erforderlich.

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über den Freiwilligen Polizeidienst (FPolDG BW) vom 12. April 1985 (GBl. BW S. 129) werden Angehörige des Freiwilligen Polizeidienstes entlassen, wenn sie den gesundheitlichen Anforderungen des Freiwilligen Polizeidienstes nicht (mehr) gewachsen sind. Die Beurteilung der (fehlenden) Polizeidienstfähigkeit unterliegt der inhaltlich nicht eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung. Erweist sich die von der Behörde für die Annahme der fehlenden Polizeidienstfähigkeit gegebene Begründung als nicht tragfähig, so hat das Gericht zu klären, ob der betroffene Polizeifreiwillige zu dem für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Entlassungsverfügung maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich dienstunfähig war.

Wie bei einer von der Behörde erlassenen ärztlichen Untersuchungsanordnung setzt auch eine gerichtlich angeordnete Beweiserhebung dieses Inhalts deren Rechtmäßigkeit voraus. In beiden Fällen muss die Anordnung hinsichtlich Gegenstand und Umfang bestimmten – aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgenden – formellen und inhaltlichen Anforderungen genügen, die das Bundesverwaltungsgericht bereits mehrfach beschrieben hat.

Die strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist verfassungsrechtlich geboten, weil Angaben eines Arztes über Anamnese, Diagnose und therapeutische Maßnahmen an dem Schutz teilnehmen, den das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Einzelnen vor dem Zugriff der öffentlichen Gewalt gewährt. Dieses Grundrecht schützt vor der Erhebung und Weitergabe von Befunden über den Gesundheitszustand, die seelische Verfassung und den Charakter. Diese Grundrechtsbetroffenheit ist insbesondere bei Untersuchungen auf psychische Erkrankungen gegeben (siehe auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Mai 2013).

Keine Pflicht zur unbegrenzten Schweigepflichtentbindung

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die im Streitfall ergangene Beweisanordnung rechtswidrig, weil sie dem Kläger eine unverhältnismäßig weitgehende Entbindung von der Schweigepflicht und ein ebensolches Einverständnis zur Aktenbeiziehung abverlangt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 1. März 2012 dem Kläger aufgegeben, sämtliche Ärzte und Therapeuten, die ihn in der Vergangenheit behandelt und/oder untersucht haben, von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden; des Weiteren solle er sich damit einverstanden erklären, dass die Akten des Gesundheitsamtes und verschiedener Kliniken beigezogen werden. Schließlich solle der Kläger sein Einverständnis erklären, dass vom Berufungsgericht ggf. zu beauftragende Sachverständige Unterlagen von Ärzten und Therapeuten, die den Kläger in der Vergangenheit behandelt und/oder untersucht haben, beiziehen und bei diesen Erkundigungen einholen. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese umfassende Schweigepflichtentbindung und Einverständniserklärung zur Aktenbeiziehung zur „Voraussetzung für eine Beauftragung des Sachverständigen" erklärt. Ohne Kenntnis der bereits vorliegenden Befunde sei es einem Sachverständigen „schlechterdings nicht möglich", die Polizeidienstfähigkeit des Klägers zum hier maßgeblichen, in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt (Oktober 2008), zu beurteilen.

Dies geht dem Bundesverwaltungsgericht zu weit. Denn den Verwaltungsrichtern am Verwaltungsgerichtshof habe hierfür das medizinische Fachwissen gefehlt.

Eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügende Verfahrensweise hätte nach Ansicht der Leipziger Richter beispielsweise dahin gehen können, den in Aussicht genommenen Sachverständigen zunächst mit einer Begutachtung auf der Grundlage derjenigen Erkenntnisse zu beauftragen, mit deren Verwertung der Kläger einverstanden war. Dieses Einverständnis umfasste immerhin Auskünfte der damaligen Stationsärztin und des ärztlichen Leiters der Klinik, also unmittelbarer Erkenntnis- und Auskunftspersonen betreffend die frühere Begutachtung. Daher lag es nahe, den Sachverständigen zunächst mit einer Begutachtung auf dieser Grundlage zu beauftragen. Erst wenn der Sachverständige sich – nach Auswertung der vom Einverständnis des Klägers getragenen und mit dessen Mitwirkung gewonnenen Erkenntnisse – außerstande erklären sollte, auf dieser Grundlage eine hinreichend zuverlässige Antwort auf die Beweisfrage geben zu können, würden sich ggf. weitergehende Fragen zur Bedeutung des erwähnten spezialgesetzlichen Verwertungsverbots betreffend das Gutachten aus dem Zurruhesetzungsverfahren stellen.

Nur diese abgestufte Vorgehensweise ist demnach recht- und verfassungsgemäß. Dies müssen die Behörden und Gerichte zukünftig stärker beachten.

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