Bundesverfassungsgericht: Eigenverantwortliche Konfliktlösung gegenüber richterlicher Streitentscheidung vorzugswürdig

Mehr zum Thema: Zivilrecht, Mediation, Konfliktlösung, Streitschlichtung
4,33 von 5 Sterne
Bewerten mit: 5 Sterne 4 Sterne 3 Sterne 2 Sterne 1 Stern
9

Ein Plädoyer für Mediation

Bundesverfassungsgericht: Eigenverantwortliche Konfliktlösung gegenüber richterlicher Streitentscheidung vorzugswürdig

Als Plädoyer für die Mediation, die außergerichtliche Konfliktlösungsmethode auf der Grundlage fairen Verhandelns begleitet von einem neutralen Dritten, kann ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Februar dieses Jahres verstanden werden (Aktenzeichen 1 BvR 1351/01). In diesem Beschluss hat das Gericht deutlich und ausführlicher, als es in dem Rahmen der Ablehnung einer Verfassungsbeschwerde nötig gewesen wäre, Stellung für die einvernehmliche außergerichtliche Konfliktlösung bezogen. Es hat die Auseinandersetzung vor Gericht mit klaren Worten als die schlechtere und nachrangige Alternative bezeichnet: „Eine zunächst streitige Problemlage durch eine einverständliche Lösung zu bewältigen, ist auch in einem Rechtsstaat grundsätzlich vorzugswürdig gegenüber einer richterlichen Streitentscheidung."

Denn: „Im Erfolgsfalle führt die außergerichtliche Streitschlichtung dazu, dass eine Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte wegen der schon erreichten Einigung entfällt, so dass die Streitschlichtung für die Betroffenen kostengünstiger und vielfach wohl auch schneller erfolgen kann als eine gerichtliche Auseinandersetzung. Führt sie zu Lösungen, die in der Rechtsordnung so nicht vorgesehen sind, die von den Betroffenen aber – wie ihr Konsens zeigt – als gerecht empfunden werden, dann deutet auch dies auf eine befriedigende Bewältigung des Konflikts hin."

Damit könnte das Gericht in einer Gesellschaft, in der bisher umgekehrt die kontradiktorische, gegensätzliche Auseinandersetzung mit Konflikten, eben der direkte Gang zum Gericht als die fast eher normale Methode gilt, den Weg für eine grundlegende Neuorientierung des Rechtsdenkens bereitet haben.

Anlass für das Gericht, zu dieser Frage Stellung zu beziehen, war die Verfassungsbeschwerde eines durch eine Körperverletzung Geschädigten, der Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 310 Euro direkt beim Gericht eingeklagt hatte, ohne zuvor das in Nordrhein-Westfalen bei Streitwerten bis 1200 Euro vorgeschaltete außergerichtliche Schlichtungsverfahren bei einer Gütestelle versucht zu haben. Aus diesem Grund wies das Amtsgericht die Klage auch ab. Die dagegen eingelegte Berufung wurde ebenfalls verworfen, da die Durchführung des Schlichtungsverfahrens nicht entbehrlich gewesen sei.

Dagegen nun erhob der Schadensersatzkläger Verfassungsbeschwerde.

Er brachte an Argumenten einiges vor, das von Gegnern der Mediation und anderen außergerichtlichen Konfliktlösungsmethoden immer wieder benutzt wird:
Durch die Vorschaltung des Schlichtungsverfahrens sei sein Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt.
Außerdem sei das Verfahren überflüssig, wenn keinerlei Aussicht auf eine einvernehmliche Einigung bestehe.
Die Qualität der Schlichtung leide dadurch, dass es erlaubt sei, dass auch Nichtjuristen als Schlichter tätig sein können.

Allen diesen Argumenten hat das Bundesverfassungsgericht widersprochen:

Zum Argument der Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten führt es aus: „Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, nur kontradiktorische Verfahren vorzusehen. Er kann auch Anreize für eine einverständliche Streitbewältigung schaffen, etwa um die Konfliktlösung zu beschleunigen, den Rechtsfrieden zu fördern oder die staatlichen Gerichte zu entlasten."

Ergänzend – aber eben nur ergänzend – müsse der Weg zu einer Streitentscheidung durch die staatlichen Gerichte eröffnet bleiben.

Zur vermeintlich höheren Güte der Streitentscheidung durch Juristen sagt das Bundesverfassungsgericht: „Der Erfolg eines auf eine einverständliche Konfliktbewältigung zielenden Verfahrens kann auch davon abhängen, dass nicht oder nicht vorrangig die rechtliche Prägung eines Konflikts beachtet wird, sondern auch andere Gesichtspunkte berücksichtigt werden, etwa die Beziehung der Parteien belastende und in der Folge den Konflikt prägende Elemente wie beispielsweise sozialpsychologisch erklärbare Verhärtungen in den Beziehungen, oder dass weitere Konfliktpunkte in die Einigung einbezogen werden."

Zum Einwand, die vorgeschaltete Streitschlichtung sei von vornherein nutzlos, da eine Einigung aufgrund der im Vorfeld bereits geführten Gespräche sowieso aussichtslos sei, sagt das höchste deutsche Gericht:

„Das Schlichtungsverfahren unterscheidet sich von derartigen Gesprächen wesentlich: Normalerweise verhandeln Beteiligte – gegebenenfalls durch ihre Rechtsanwälte – ausschließlich als Parteien miteinander, wobei jeder, auch wenn er sich um Objektivität bemüht, für den anderen der potentielle Verfahrensgegner ist. Beim Schlichtungsverfahren tritt gegenüber der Schlichter als neutrale Person hinzu, der sich um eine Einigung zwischen den Parteien bemüht. Der Schluss vom Scheitern der Gespräche zwischen „Gegnern" auf die Aussichtslosigkeit einer unter Vermittlung eines neutralen Dritten geführten Schlichtungsverhandlung ist nicht ohne weiteres gerechtfertigt. …
Das Schlichtungsverfahren soll gerade in Fällen zu einer Einigung motivieren, in denen der Gegner ihr zunächst ablehnend gegenübersteht. Auch scheint es keineswegs ausgeschlossen, dass der Beklagte in einem Ausgangsverfahren wie dem vorliegenden bereit sein wird, sich auf die Schlichtung durch eine neutrale Gütestelle einzulassen, obwohl er zunächst den Einigungsvorschlag der Gegenseite abgelehnt hatte."

Alles in allem ist das Gericht der Kritik an Methoden außergerichtlicher Konfliktlösung wie z.B., diese seien weichgespült, hätten mit den harten Fakten nichts zu tun und Interessen und Gefühle hätten da nichts verloren, mit erstaunlicher Deutlichkeit entgegengetreten. Es hat vielmehr ganz klar der Austragung von Konflikten vor Gericht die zweite Geige zugewiesen.

Dies könnte, was zu wünschen ist, eine Änderung im Rechtsdenken einleiten und der außergerichtlichen Streitkultur einen Schub verleihen.

Anmerken möchte ich noch, dass der damalige Kläger erst sechs Jahre nach seiner 310-Euro-Klage die Ablehnung seiner Verfassungsbeschwerde in der Hand hält. Höchstwahrscheinlich wäre er in einer Mediation oder sonstigen außergerichtlichen Streitschlichtung schneller zumindest an etwas Geld gekommen. So bleiben ihm neben negativen Emotionen (aber die spielen im Recht ja angeblich keine Rolle) nur Kosten.


Volker Hensdiek
Rechtsanwalt & Mediator
Goldstraße 10
33602 Bielefeld
0521/404 25 25
info@hensdiek.de