Was ist denn jetzt eigentlich mit dem Mindestlohn?

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Tarifverträge, Allgemeinverbindlichkeitserklärungen, Mindestlohnverordnung - Wer hat schon jetzt ein Recht auf einen Mindestlohn und wie macht man ihn geltend?

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Mindestlohn gibt es nicht erst seit der bekannten 8,50 Euro Debatte. In vielen Bereichen ist schon seit einigen Jahren ein gesetzlicher Mindestlohn vorgeschrieben. Zum Beispiel in der Gastronomie in Niedersachsen seit 2011: So hat eine Küchenhilfe, ein Page oder eine Reinigungskraft Anspruch auf einen Stundenlohn von mindestens 7,94 Euro. Ungelerntes Bedienungspersonal und Zimmermädchen müssten sogar mindestens 8,71 Euro pro Stunde bekommen. Bei den Frisören gilt seit November 2013 im Westen ein Mindestlohn von 7,50 Euro, im Osten 6,50 Euro.

Dennoch wird dieses Geld nicht überall gezahlt. Wie kann das sein? Wir haben bei Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Frank Labisch nachgefragt.

123recht.de: Herr Labisch, ist eine Mindestlohnregelung allgemeinverbindlich? Oder gilt es nur für Betriebe, die irgendwelchen Verbänden angeschlossen sind?

Rechtsanwalt Labisch: Die Mindestlohnregelungen der Tarifverträge gelten grundsätzlich nur für die Mitglieder der Tarifparteien. Eine Ausnahme stellen Tarifverträge dar, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Die Allgemeinverbindlichkeit bewirkt, dass auch tarifungebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer der jeweiligen Branche an den Inhalt des Tarifvertrages gebunden sind. Die Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit erfolgt entweder aufgrund des Tarifvertrags-, des Arbeitnehmerentsende- oder des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes, wobei die Voraussetzungen und die Wirkungsweise vergleichbar sind; in den beiden letzten Fällen spricht man aber meist von Mindestlohnverordnungen.

Zur Zeit sind laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales von den geltenden 70.000 Tarifverträgen nur 501 für allgemeinverbindlich erklärt. Hinzu kommen bundesweit geltende Mindestlohnverordnungen für 12 Branchen, zu denen beispielsweise das Baugewerbe und die Arbeitnehmerüberlassung zählen.

Nach dem aktuellen Gesetzesentwurf sollen ab dem 01.01.2015 Allgemeinverbindlichkeitserklärungen unter leichteren Voraussetzungen möglich sein und zudem alle Branchen betreffen.

123recht.de: Spielt die Betriebsgröße dabei eine Rolle?

Rechtsanwalt Labisch: Nein.

Bundesministerium für Arbeit und Soziales informiert über Branchen mit Mindestlöhnen

123recht.de: Wie kann ein Arbeitnehmer herausfinden, ob es einen für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag bzw. eine Mindestlohnregelung für den jeweiligen Arbeitsplatz gibt?

Rechtsanwalt Labisch: Als Arbeitnehmer kann man sich zunächst auf der Internetpräsenz des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales www.bmas.de informieren. Dort wird auch eine Liste der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge sowie der Mindestlohnverordnungen - nach Branche sortiert - geführt.

Allerdings sind diese Listen mit Vorsicht zu genießen, da sie kein exaktes Bild abgeben. So kann ein Tarifvertrag schon lange abgelaufen sein, mangels neuer Regelung aber weiterhin Geltung beanspruchen (sog. Nachwirkungsprinzip). Mitunter werden Tarifverträge rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt oder vorzeitig beendet, ohne dass eine zeitnahe Aktualisierung der Listen erfolgt. Aus diesem Grund bietet sich im Zweifelsfall eine weitergehende Recherche nicht nur beim BMAS, sondern auch bei den branchennahen Gewerkschaften oder einem spezialisierten Rechtsanwalt an.

123recht.de: Ich kenne trotzdem diverse Betriebe, die keinen Mindestlohn zahlen. Die berufen sich aufs Trinkgeld, damit würden die Angestellten in jedem Fall den Mindestlohn bekommen oder überschreiten. Ist das korrekt?

Rechtsanwalt Labisch: Das Trinkgeld, das zufriedene Kunden einem Angestellten freiwillig überlassen, ist kein Arbeitslohn. Folglich können Arbeitgeber sich nicht von der Mindestlohnpflicht befreien, indem sie auf das Trinkgeld verweisen.

Zügige Lohnklage erforderlich

123recht.de: Was kann ich als Arbeitnehmer tun, um das Geld zu bekommen, das mir zusteht?

Rechtsanwalt Labisch: Arbeitnehmern steht grundsätzlich der Klageweg zu den Arbeitsgerichten frei. Aber Vorsicht: In der Praxis sehr verbreitet sind so genannte Ausschlussklauseln, die eine zügige Lohnklage sogar notwendig machen. Anderenfalls erlischt der Lohnanspruch in der angegebenen Frist – die Untergrenze beträgt 3 Monate.

Zudem weisen rückständige Lohnzahlungen oft auf eine finanzielle Krise des Arbeitgebers hin, sodass auch angesichts einer drohenden Insolvenz die notwendigen Schritte eingeleitet werden sollten, wie etwa die Suche eines neuen Arbeitsplatzes.

Der schnelle Gang zu einem auf das Arbeitsrecht spezialisierten Rechts- oder Fachanwalt ist mit Sicherheit der richtige Weg.

Ist im Arbeitsvertrag ein geringerer Lohn vereinbart, kann dennoch der Mindestlohn eingefordert werden

123recht.de: Wenn ich einen neuen Job beginne, könnte ich den Vertrag mit dem zu niedrigen Gehalt unterschreiben und die Differenz nachträglich geltend machen?

Rechtsanwalt Labisch: Allgemeinverbindliche Tarifverträge bzw. Mindestlohnverordnungen gelten zwingend. Selbst wenn im Arbeitsvertrag ein niedrigerer Lohn vereinbart ist, können Arbeitnehmer den Mindestlohn einfordern.

123recht.de: In Zukunft soll 8,50 Euro als Mindestlohn gelten. Ist das dann für alle Branchen und Jobs verbindlich?

Rechtsanwalt Labisch: Der aktuelle Gesetzesentwurf für das Mindestlohngesetz sieht für die 12 Branchen, in denen Mindestlohnverordnungen gelten, eine Übergangsregelung vor. Demnach gelten die Verordnungen noch bis zum 31.12.2016 weiter; danach gilt auch dort der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 €.

Weiterhin sind folgende Personengruppen vom Mindestlohn ausgenommen: Kinder und Jugendliche ohne Berufsabschluss, Auszubildende, Praktikanten, Ehrenamtliche sowie Langzeitarbeitslose (innerhalb der ersten 6 Monate).

Mehr Geld für ca. 3,7 Millionen Beschäftigte

123recht.de: Was bedeutet das sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber?

Rechtsanwalt Labisch: Zunächst einmal werden Arbeitnehmer stärker geschützt.

Das Bundesministerium für Arbeit geht davon aus, dass ca. 3,7 Mio. Beschäftigte einen höheren Lohn erhalten werden. Zudem sorgt die klare Regelung für Transparenz, mit der Folge, dass Arbeitnehmer seltener Opfer von Ausbeutung werden. Auch lassen die höheren Löhne einen Rückgang der Aufstockungsleistungen erhoffen. Bisher sind zahlreiche Arbeitnehmer auf Leistungen der Sozialkassen angewiesen, weil ihr Lohn nicht einmal das Existenzminimum abdeckt.

Arbeitgeber, die bisher Niedriglöhne gezahlt haben, müssen die höheren Personalausgaben stemmen. Den einen oder anderen Kleinbetrieb könnte das in die Insolvenz treiben. Daher sollten Arbeitgeber in jedem Fall die Ausnahmeregelungen des Mindestlohngesetzes sorgfältig studieren.

Noch nicht absehbar ist, welche Arbeitszeit- und Entlohnungsvereinbarungen von Arbeitgebern eingesetzt werden, um den Mindestlohn rechtswidrig zu umgehen, und wie Arbeitnehmer sich davor schützen können.

123recht.de: Vielen Dank Herr Labisch.

Leserkommentare
von Mitdenkender am 01.05.2014 20:41:54# 1
Die Aussage Ihres Experten, dass für die 12 Branchen, in denen Mindestlohnverordnungen gelten, eine Übergangsregelung dergestalt vorgesehen sei, dass die Verordnungen nur noch bis zum 31.12.2016 weitergelten und danach auch dort der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 € gelten soll, (es also zu einer Absenkung bisher höherer Branchenmindestlöhne kommen wird) ist leider falsch. Ihr Experte hat übersehen, dass das Konkurrenzverhältnis zwischen dem neuen allgemeinen Mindestlohn und den Branchenmindestlöhnen in § 1 Abs. 3 des Entwurfs zum Mindestlohngesetz geregelt wird und nicht in der Übergangsbestimmung in § 24 E. Es wird auch zukünftig höhere Branchenmindestlöhne als 8,50 € geben.
    
von Rechtsanwalt Frank Labisch am 02.05.2014 12:35:49# 2
Lieber Mitdenker,

vielen Dank, für Ihre Rückmeldung.

Ihre Aussage, dass es zu einer Absenkung bisher höherer Branchenmindestlöhne kommen werde, findet sich in meinen Ausführungen nicht und stellt lediglich Ihre Interpretation dar. Selbstverständlich wird es auch nach dem 31.12.2016 Verordnungen geben, die einen höheren Lohn als 8,50 € vorsehen. Schließlich geht es nicht um einen Maximal- sondern um einen Mindestlohn. Im Interesse derjenigen Arbeitnehmer, die aufgrund einer aktuellen und bis 2017 fortgeltenden Verordnung weniger als 8,50 € verdienen, sollte die Überlagerung des Mindestlohns durch die Verordnung betont werden.

Zu Ihrem Verständnis:

Es ist zwischen dem zeitlichen Anwendungsbereich und der Subsidiarität des MiLoG zu unterscheiden.

§ 24 MiLoG sieht eine Übergangsregelung bis zum 31.12.2016. Abweichende Regelungen eines Tarifvertrags repräsentativer Tarifvertragsparteien gehen dem Mindestlohn nach dem MiLoG vor, wenn sie für alle unter den Geltungsbereich des Tarifvertrags fallenden Arbeitgeber mit Sitz im In- und Ausland sowie deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbindlich gemacht worden sind. Entsprechendes gilt für Rechtsverordnungen, die nach § AENTG § 11 AEntG sowie § AUEG § 3 a AÜG erlassen worden sind. Ab 1.1.2017 gilt das MiLoG jedoch uneingeschränkt.

Der von Ihnen in Bezug genommene § 1 III regelt die grundsätzliche Subsidiarität. Das MiLoG ist nach § 1 III als Auffangregelung geschaffen worden. Die Regelungen des AEntG, des AÜG und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes zwar grundsätzlich vor, allerdings nur soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nach dem MiLoG nicht unterschreitet.

Mit freundlichen Grüßen
Frank Labisch

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Frank Labisch
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kanzlei für Arbeitsrecht
Wormser Straße 15
55130 Mainz

Tel.: 06131/ 480 888 7
Fax: 06131/ 480 572 4

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