Beweislast bei unerlaubtem Filesharing

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Erfolgreiche Rechtsverteidigung trotz Feststellung der IP-Adresse

Ein minimaler Zeitunterschied zwischen dem Feststellen einer IP-Adresse und dem Beginn einer unzulässigen Handlung ist entscheidend für Beurteilung eines Schadensersatzanspruchs. Spricht ein erhebliches Indiz dafür, dass ein Internetanschluss mehrfach für Rechtsverletzungen verwendet wurde, hat aber andererseits der Anschlussinhaber die Vermutung der Rechtsverletzung entkräftet, verbleibt es bei der Beweislast des Anspruchstellers für die Behauptung, dass der Anschlussinhaber die Rechtsverletzungen begangen hat. 

So entschied das LG Stuttgart mit Urteil vom 28.06.2011 (17 O 39/11).

Die Klägerinnen des Verfahrens besitzen die ausschließlichen online-Verwertungsrechte u.a. an zehn bestimmten Musiktitelnfür das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und verlangten von den Beklagten des Verfahrens Aufwendungs- und Schadensersatz wegen des unerlaubten Anbietens von Audiodateien in einer Internet-Tauschbörse. Im Auftrag der Klägerinnen hatte ein Dienstleister, der mit der Ermittlung von Verletzungen geistigen Eigentums befasst ist, ermittelt, dass am 18.09.2006 in der Zeit von 19:54:23 Uhr bis 20:01:56 Uhr insgesamt 253 Audiodateien unter einer IP-Nummer mittels einer Filesharing-Software zum Herunterladen im Internet verfügbar gemacht worden waren. Nachdem Sie deshalb Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet hatten, erteilte aufgrund eines Auskunftsersuchens der Staatsanwaltschaft Köln der Internetanbieter die Auskunft, dass in dem fraglichen Zeitraum die festgestellte IP-Nummer den Beklagten zugeordnet war. Außer dem beklagten Ehepaar lebt in der gemeinsamen Wohnung noch deren 15-jährige Tochter und deren 18-jähriger Sohn. In der Wohnung befindet sich lediglich 1 PC, auf welchem im Zuge der strafrechtlichen Ermittlungen weder ein Filesharing-Programm noch die besagten Audio-Dateien gefunden wurden. Die Kriminalpolizei konnte nicht ermitteln, wer zu den festgestellten Zeitpunkten die Audiodateien im Internet zum Download angeboten hatte.

In dem Zivilrechtsstreit behaupteten die Klägerinnen, es stehe fest, dass die festgestellten Rechtsverletzungen von der IP-Adresse der Beklagten ausgingen. Die Beklagten einschließlich ihrer Kinder seien bekennende Musikliebhaber, denen es an einem Motiv nicht gefehlt habe. Die Beklagten hätten ihre Kinder auch keineswegs so lückenlos überwacht, dass die Nutzung eines Filesharing-Programms sicher ausgeschlossen werden könne. Insbesondere der Sohn der Beklagten habe das nötige Know-how besessen. 

Die Klägerinnen meinen, die Beklagten hafteten als Täter, hilfsweise als Störer für die registrierten Rechtsverletzungen. Sie errechneten den ihnen zustehenden Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie und machten für 10 Titel jeweils 300 EUR geltend, die sie in Anlehnung an den dreifachen GEMA-Tarif VR-W I Ziff. IV schätzten. Weiter begehrten sie den Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Die Beklagten haben in dem Verfahren jegliche Beteiligung an den Urheberrechtsverletzungen bestritten. Weder sie noch ihre Kinder hätten die Audiodateien im Internet zugänglich gemacht, sie hätten weder einen Grund, sich Musikaufnahmen rechtswidrig zuzueignen noch sie Dritten zum Abruf bereitzuhalten. Sie kontrollierten die Internetnutzung ihrer Kinder und ermöglichten der Tochter jeweils nur zu bestimmten Zeiten und in eingeschränktem Umfang die Nutzung. Die Beklagten hätten darüber hinaus den auf sie registrierten Internetanschluss ausreichend vor unberechtigten Zugriffen geschützt.

Die Klage wurde durch das Landgericht Stuttgart abgewiesen, da nicht festgestellt werden könne, dass die Beklagten - sei es als Täter oder als Störer - für die Rechtsverletzungen verantwortlich sind.

In diesem Zusammenhang hat das Landgericht zunächst darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des BGH dann, wenn ein geschütztes Werk der Öffentlichkeit von einer IP-Adresse aus zugänglich gemacht wird, die zum fraglichen Zeitpunkt einer bestimmten Person zugeteilt ist, eine tatsächliche Vermutung dafür spricht, dass diese Person für die Rechtsverletzung verantwortlich ist. Daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Anschlussinhabers, der geltend macht, eine andere Person habe die Rechtsverletzung begangen. In dem entschiedenen Fall hätten die Klägerinnen zwar Ausdrucke der im Rahmen der Ermittlungen erstellten Screenshots mit Ansichten der Filesharing-Software, einen Ausdruck der Protokolldatei sowie Ausdrucke zweier "Screenshots" mit Datenauszügen der Datei, die die Protokollierung des Datenverkehrs enthält, der im Rahmen der durchgeführten Downloads erfolgte, vorgelegt. Diesen Screenshots lasse sich entnehmen, welche Audio-Dateien im einzelnen von der angegebenen IP-Adresse aus für den Abruf durch andere Teilnehmer des Filesharing-Systems verfügbar gemacht wurden. Weiter wurden dort die einzelnen Ermittlungsschritte mit den zugehörigen Seiten protokolliert, so dass sich daraus ergibt, wann der erste Downloadvorgang begonnen und der letzte Downloadvorgang abgeschlossen wurde. Aus der Auskunft des Internet-Anbieters ergibt sich, dass die fragliche IP-Adresse am 18.09.2006 den Beklagten zugeordnet war. Diese Auskunft belege aber nur, dass die festgestellte IP-Adresse am 18.09.2006 um 19:54:23 Uhr den Beklagten zugeordnet war. Allerdings habe der streitgegenständliche Vorgang erst um 19:54:25 Uhr begonnen. Unter Berücksichtigung von Ermittlungsungenauigkeiten könne dieser minimale Zeitunterschied bereits eine Rolle spielen, da es  denkbar sei, dass ab 19:54:25 Uhr die IP-Adresse bereits einem anderen Nutzer zugeordnet war. Vor diesem Hintergrund bestehe zwar eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Rechtsverletzung von den Beklagten ausgegangen sind. Allerdings seien die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem sie geltend gemacht haben, mit den Rechtsverletzungen nichts zu tun zu haben, auf ihrem PC befinde sich kein Filesharing-Programm und sie besäßen auch die angeblich zum Download bereit gestellten Audiodateien nicht. Darüber hinaus sei ihr WLAN-Router ausreichend gesichert. Diese Behauptungen der Bekl. werden gestützt durch die Feststellungen der Kriminalpolizei. Die Beklagten hatten sich vorliegend nicht darauf beschränkt, die Rechtsverletzung zu bestreiten, sondern vielmehr zu den Vorwürfen substantiiert Stellung genommen und außerdem - ohne dazu verpflichtet zu sein - eine überraschende Nachschau durch den Polizeibeamten ermöglicht. Dieses Verhalten spreche nach Auffassung des Landgerichts dafür, dass die Beklagten nichts zu verbergen hatten und durch ihr Verhalten gerade zur Aufklärung beitragen wollten, um sich zu entlasten und ihrerseits zu "beweisen", dass die im Raum stehenden Vorwürfe unberechtigt sind. Es verbleibe daher bei der Beweislast der Klägerinnen für die Behauptung, dass die Beklagten die streitgegenständlichen Rechtsverletzungen begangen haben. Der Beweis hierfür lässt sich nach Meinung des Landgerichts weder durch eine Vernehmung der mit der Ermittlung seinerzeit befassten Zeugen und auch nicht durch ein Sachverständigengutachten zur Richtigkeit und zur Aussagekraft dieser Ermittlungsergebnisse erbringen, da durch diese Beweismittel nicht festgestellt werden könne, ob die Auskunft des Internet-Anbieters  zutreffend war. Solange nicht bewiesen sei, dass die fragliche IP-Adresse während des gesamten festgestellten Downloadvorgangs den Beklagten zugeordnet war, der hier immerhin ca. 7 1/2 Minuten angedauert hatte, stehe die Verantwortlichkeit der Beklagten nicht fest.


  Hinweis:  Immer häufiger werden Nutzer von einschlägigen Rechtsanwaltskanzleien wegen angeblicher rechtsverletzender Download-Vorgänge abgemahnt. In diesen Abmahnungen wird insbesondere darauf hingewiesen, dass die IP-Adresse der Nutzer über einen gerichtlichen Beschluss ermittelt worden sei. Das Urteil des LG Stuttgart macht deutlich, dass der Nutzer auch dann, wenn ihm die ermittelte IP-Adresse tatsächlich zugeordnet war, nicht schutzlos ist. Er kann - spätestens im Laufe des Rechtsstreits - detailliert darlegen, dass er selbst und mit ihm zusammen lebende Personen keine Rechtsverletzungen begangen haben und geeignete Sicherungsmaßnahmen gegen die unberechtigte Nutzung seines Anschlusses durch Dritte getroffen hat. 

Dann obliegt es dem Anspruchsteller, die Rechtsverletzung nachzuweisen, was auch im Falle einer entsprechenden Auskunft des Internet-Anbieters über die Zuordnung der IP-Adresse - wie der entschiedene Fall zeigt - durchaus gerade in zeitlicher Hinsicht Schwierigkeiten bereiten kann.