Beweisantragsrecht: Offenbar massiver Abbau von Angeklagten- und Verteidigerrechten geplant

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Roswitha Müller- Piepenkötter, Justizministerin des Bundeslandes Nordrhein- Westfalen, plant offenbar den „großen Rundumschlag“ gegen grundlegende Angeklagten- und Verteidigerrechte im Strafverfahren.

Wie die Ministerin am 17.06.2009 verlautbaren lies, soll noch im Herbst diesen Jahres ein Gesetzesentwurf des Bundeslandes Nordrhein- Westfalen eingebracht werden, welcher unter dem Vorwand des „angeblichen Missbrauchs des Rechts zur Beweisantragsstellung“ das Beweisantragsrecht zu Lasten der Verteidigung empfindlich begrenzen soll.

Die Justizministerin will erkannt haben, dass Strafprozesse durch Verteidiger, die es wagen, zahlreiche Beweisanträge zu stellen, angeblich unangemessen in die Länge gezogen werden, was ins solchen Fällen natürlich einer „kostengünstigen Schnellverurteilung“ des Angeklagten im Wege steht.

Kernstück des Gesetzentwurfs soll eine Neuregelung in der Strafprozessordnung sein.

Danach soll das Gericht in länger dauernden Strafprozessen zum Ende der Beweisaufnahme eine Frist zur Stellung von Beweisanträgen setzen können. Nach deren Ablauf soll das Gericht Anträge – anders als nach der geltenden Rechtslage – schon allein deshalb ablehnen können, weil sie "zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sind."

Zu einer ähnlichen Erkenntnis kam offensichtlich Strafrechtsausschuss der Justizminister-konferenz in Leipzig, welche sich eifrig mit der Frage der Prozessverschleppung durch „rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme des Beweisantragsrechts durch Strafverteidiger“ befasst hat.

Schützenhilfe bekommt die Ministerin u. a. vom 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, welcher wiederholt unter Verbiegung der geltenden Gesetzeslage entschieden hat, dass es eine Fristsetzung des Gerichts für die Stellung von Beweisanträgen zulässig sei und nach dieser Frist gestellte Beweisanträge pauschal dem „Verdacht der Prozessverschleppung“ unterliegen sollen, wenn nicht Gründe für das späte Stellen eines Beweisantrags ersichtlich sind.

Der geplanten Gesetzesinitiative des Bundeslands Nordrhein- Westfalen, welche sich nahtlos in die besorgniserregende Tendenz eines zunehmenden Abbaus von strafprozessualen Bürgerrechten einreiht, muss schon allein folgendes entgegengehalten werden:

 

  1. Jeder Strafverteidiger dient nicht nur den Interessen seines Mandanten, sondern ist gleichzeitig als „Organ der Rechtspflege“ zur Einhaltung der Gesetze verpflichtet. Verstöße hiergegen können ggf. sogar als "Strafvereitelung" geahndet werden. Missbräuchliches Verteidigerverhalten ist daher äußert selten, nach Ansicht des Verfassers seltener als beispielsweise „Privilegienmissbrauch“ und Fehlverhalten von Politikern. Es ist unangänglich, dass bedauerliche Einzelfälle des Missbrauchs von Verteidigerrechten seitens der Politik nunmehr eifrig herangezogen werden, Bürgerrechte weiter einzuschränken.
  2. Der Ablauf einer willkürlich gesetzten Frist vermag noch lange nichts darüber aussagen, ob eine Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist oder nicht.
  3. Sollte die Gesetzesinitiative durchdringen, kann von einer Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung nicht mehr gesprochen werden. Denn erstaunlicherweise ist nicht die Rede davon, Rechte der Anklage zur Stellung von Beweisanträgen durch Fristsetzungen zu beschneiden.
  4. Bei „offenkundiger Sinnlosigkeit" von Beweisanträgen, ist es schon nach geltendem Recht möglich, diese mit einer sachlichen kurzen Begründung zurückzuweisen.
  5. Gerade bei komplexen Verfahren – z.B. bei Kapitalverbrechen oder Wirtschaftsstrafsachen – ergeben sich während des Verfahrens oftmals erhebliche neue Erkenntnisse, in der Regel aufgrund Zeugenaussagen. Selbst die Stellung von darauf aufbauenden Beweisanträgen wäre nach der Gesetzesinitiative – je nachdem in welcher Form das Gesetz in Kraft tritt – zumindest erheblich gefährdet.
  6. Übertriebene Sparmaßnahmen im Bereich der Justiz und Polizei führen zu immer öfter zu beobachtenden Defiziten im Bereich des Ermittlungsverfahrens. Die hierdurch bedingten Mängel der Anklageschrift lassen sich in vielen Fällen nur durch einen erheblichen Mehraufwand im Rahmen der Beweisaufnahme korrigieren. Wenn das Beweisantragsrecht beschnitten würde, können Ermittlungsdefizite in vielen Fällen künftig nicht mehr korrigiert werden und gehen daher unmittelbar zu Lasten des Angeklagten.

Der geplanten Gesetzesinitiative muss daher nach Ansicht des Verfassers seitens der Anwaltschaft, der Strafverteidigerorganisationen und der anwaltlichen Berufsverbände entschieden entgegengetreten werden.

 

 

 

Leserkommentare
von CONDOR_X am 12.08.2010 17:16:59# 1
Gerade die Beweisrechte (-möglichkeiten) des Angeklagten sind ein wsentlicher Pfeiler zu einer objektiven Recht-Sprechung. Werden nun die Rechte des Angeklagten auf Beweisverfahren beschnitten, d.h., für die Vertreidigung verkürzt, dann kann dies i.d.R. nur zum Nachteil des Angeklagten geschehen. Es ist ein Unding, einem Richter, der keinerlei intime Kenntnis des Sachverhaltsablaufes besitzt (Anklageschrift der StA und Akteninhalte reichen dafür absolut nicht aus) die Beurteilung zu überlassen, ob ein Beweisantrag in der Sache dienlich und notwendig ist, oder nicht. Die StA wird eine solche Beschneidung von Angeklagtenrechten regulär befürworten, da sie selbst ein berufliches Interesse an einer Verurteilung besitzt (Dem weisungsgebundenen StA ist eine jede Veruteilung föderlicher, als ein rechtsfehlerfreier Freispruch). Im Zuge der "Waffengleichheit" (die in der Regel ohnehin schon ziemlich ungleich ist), ist es unvertretbar, die Verteidigungsmöglichkeiten eines Angeklagten weiterhin so drastisch zu beschneiden. - Irgend wann wird dann auch ein Verfahren zur Farce.