Bereits totes Wildschwein überfahren – ein versicherter Wildschaden?

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Überfährt der Versicherungsnehmer (VN) ein totes Wildschein und wird dadurch der teilkaskoversicherte PKW beschädigt, ist der Versicherer (VR) aufgrund der Wildschadensklausel eintrittspflichtig – LG Stuttgart vom 07.02.2007, 5 S 144/06

1. Der Fall

Im entschiedenen Fall überfuhr der Kläger und VN mit seinem teilkaskoversicherten Fahrzeug ein Wildschwein. Die Besonderheit war nun aber, dass das Wildschwein bereits tot auf der Fahrbahn lag. Durch die Kollision wurde das Fahrzeug beschädigt. Der VN begehrte Schadenersatz.

Zu Wildschäden heißt es nun wörtlich in dem einschlägigen § 12 der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB): „Die Fahrzeugversicherung umfasst die Beschädigung (…) durch einen Zusammenstoß des in Bewegung befindlichen Fahrzeugs mit Haarwild (…)“.

Der Versicherer wandte unter anderem ein, das Wildschein sei, da es sich nicht bewegt und schon länger dort gelegen habe, wie jedes andere Hindernis zu bewerten, die spezifische Tiergefahr habe sich nicht verwirklicht und deswegen scheide eine Einstandspflicht des beklagten VR aus.

2. Die Argumente

Das LG bestätigte hingegen das zuvor entscheidende Amtsgericht, dass eine Einstandspflicht des Versicherers bejaht hatte. Der Wortlaut des (oben zitierten) § 12 AKB gebe für die vom Versicherer vertretene Auffassung nämlich nichts her. Für eine erweiterte Auslegung, wonach sich das Wild in Bewegung befunden haben müsse, fände sich kein Anhaltspunkt. Allgemeine Versicherungsbedingungen seien nach den Vorschriften der §§ 133, 157 BGB so auszulegen, dass sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der sie aufmerksam lese und verständig würdige, verstehen kann. Aus diesem Blickwinkel könne die vom Versicherer angenommene Auslegung nicht richtig sein. Es hätte sonst nahe gelegen, im Wortlaut den Zusatz „in Bewegung befindlich“ aufzunehmen.

Darüber hinaus habe sich gerade bei einem bereits überfahrenen, auf der Fahrbahn liegendem Tier die Tiergefahr verwirklicht. Diese Gefahr bestehe nämlich gerade darin, dass Tiere unkontrolliert auf die Fahrbahn liefen und den Verkehr behinderten. Diese Gefahr habe sich vorliegend auch verwirklicht, unabhängig davon, ob das Wild bereits überfahren worden sei (so auch das OLG Nürnberg in VersR 1994, 929, anders hingegen das OLG München in VersR 1986, 863).

3. Fazit

Der vorliegende Fall zeigt, dass die Auslegung allgemeiner Versicherungsbedingungen zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Das ist teilweise erstaunlich, berücksichtigt man doch, dass die zutreffenden Grundsätze der versicherungsnehmerfreundlichen Vertragsauslegung (Interpretation der Regelung durch den verständigen Versicherungsnehmer) der obergerichtlichen BGH-Rechtsprechung entsprechen.

Trotzdem sind viele Versicherer bedacht, die für sie günstige Auslegung im Einzelfall zu favorisieren. Natürlich darf dies nicht verallgemeinert werden. Bestimmt sind viele Versicherer bzw. Sachbearbeiter sehr bemüht um Ihre Kunden und um unkomplizierte Leistungen. Aber die Streitigkeiten kommen nach diesseitiger Erfahrung vor. Im Leistungsbereich kommt es daher entsprechend häufig darauf an, sich mit dem Vertragswerk und der richtigen Auslegung ausgiebig zu beschäftigen.

Dies kann bei Ihrem Versicherungsfall ausschlaggebend sein. Häufig gehen derartigen Auslegungsproblemen auch umfangreiche Diskussionen in der Fachliteratur sowie der Instanzenrechtsprechung voraus, die der Laie naturgemäß nicht oder nur teilweise kennt. Dies gilt natürlich für sämtliche Probleme im Leistungsbereich (etwa wegen Obliegenheitsverletzung, Leistungsausschlüssen, Kündigungen, Problemen mit Prämienzahlung etc.). Im Streitfall kann daher nur dringend angeraten werden, unbedingt den im Versicherungsrecht versierten Anwalt einzuschalten!

Noch ein abschließender Hinweis zum Thema Wildunfall: Wenn hier das Wild über die Straße gelaufen und der VN dann ausgewichen wäre, hätte der Versicherer den entstandenen Schaden (z. B. durch ausweichbedingte Kollision mit einem Baum) auch ohne Zusammenstoß mit dem Wild als sog. Rettungskosten ersetzen müssen. Dies gilt aber nicht, wenn bei kleinen Tieren (Hase, Kaninchen, Marder, Fuchs oder dergleichen) ausgewichen wird, weil dies nach allgemeiner Auffassung nicht geboten ist.

Burgwedel, den 09.08.2007
Hans-Christoph Hellmann
Rechtsanwalt

RA Hellmann ist u. A. Mitglied der Arbeitsgemeinschaften Verkehrsrecht und Versicherungsrecht im Deutschen Anwaltverein. Darüber hinaus hat er den Fachanwaltslehrgang Versicherungsrecht absolviert.