Anspruch auf Jahresurlaub kann auch bei ruhendem Arbeitsverhältnis eines Schwerbehinderten verfallen

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BAG, Urteil vom 7. 8.2012, 9 AZR 353/10

In einer neuen Entscheidung hatte das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Frage zu entschieden, ob eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin für mehrere Jahre Urlaubsabgeltung verlangen kann. Die Arbeitnehmerin war von Juli 2001 bis März 2009 in der Rehabilitationsklinik der beklagten Arbeitgeberin gegen eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von zuletzt 2.737,64 EUR als Angestellte beschäftigt. Im Jahr 2004 erkrankte sie, bezog ab dem Dezember 2004 eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung und nahm bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihre Tätigkeit für die Beklagte nicht mehr auf.

Nach dem Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst (TVöD), der auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fand, ruht das Arbeitsverhältnis für die Dauer des Bezugs einer Rente auf Zeit und vermindert sich für die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen tariflichen Zusatzurlaubs für jeden Kalendermonat des Ruhens um ein Zwölftel. Die Arbeitnehmerin hatte insgesamt 149 Urlaubstage aus den Jahren 2005 bis 2009 mit 18.841,05 EUR brutto beansprucht.

Die obersten deutschen Arbeitsrichter gaben der Revision des beklagten Arbeitebers überwiegend statt. Zwar seien die auch durch Tarifvertrag nicht abdingbaren Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs und des Zusatzurlaubs trotz des Ruhens des Arbeitsverhältnisses entstanden. Die Klägerin könne gem. § 7 Abs.4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) jedoch nur die Ansprüche aus den Jahren 2007 bis 2009 durchsetzen, da einer Abgeltung der Ansprüche aus den Jahren zuvor § 7 Abs.3 BUrlG entgegenstehe. Mit Ablauf des 31. März des zweiten jeweils auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres seien die Ansprüche aus den Jahren 2001 bis 2006 verfallen.

Bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern ist § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG, wonach im Fall der Übertragung der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss, unionsrechtskonform auszulegen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seiner Entscheidung vom 22. November 2011 seine Rechtsprechung bezüglich des zeitlich unbegrenzten Ansammelns von Urlaubsansprüchen arbeitsunfähiger Arbeitnehmer eingeschränkt und eine Verfallsregelung gesetzlicher Mindesturlaubsansprüche für grundsätzlich zulässig erachtet. Einzelstaatliche Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträge, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt, verstoßen nach Ansicht des EuGH nicht gegen Art. 7 Abs. 1 der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG (EuGH vom 22.11.2011, KHS C-214/10).

Fazit: In ihrer Entscheidung vom 07.08.2012 setzen die Bundesarbeitsrichter die jüngeren Leitlinien des EuGH zu Art. 7 Abs.1 der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie konsequent um. Zu beachten ist, dass vereinbarter Mehrurlaub durch entsprechende Regelungen in Arbeits- oder Tarifverträgen wie bisher verfallen kann, da die Europäische Arbeitszeitlinie nur den gesetzlichen Mindesturlaub und Zusatzurlaub für Schwerbehinderte gem. § 125 SGB IX erfasst. Allerdings, so hat das BAG klargestellt, bedarf es hierzu einer ausdrücklichen Regelung. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die Regelung über den Verfall von Urlaubsansprüchen den Arbeitsvertrags- bzw. Tarifvertragsparteien überlässt oder eine entsprechende Ergänzung ins BUrlG aufnimmt.